Ein prägnanter Entwurf am falschen Ort

  • Wolf R. Eisentraut
  • Lesedauer: 5 Min.
Ein prägnanter Entwurf am falschen Ort

Die Staatsoper Unter den Linden ist ein repräsentatives und geschichtsträchtiges Haus, ein festlicher Ort und ein stimmungsvoller Raum für große Opernerlebnisse. Technische Verbesserungen sind nötig und dafür gibt es erfreulicherweise auch Geld. Das scheint zum Leichtsinn zu verleiten. Plötzlich steht ein preisgekrönter Entwurf für einen Umbau in völliger Abkehr vom Bestand in der Diskussion, der in sich zwar seine Qualitäten hat und als zeitgenössische Architektur zu begrüßen wäre, würde er nicht den Totalverlust des bestehenden Zuschauerraumes erfordern. Ein prägnanter Entwurf am falschen Ort.

Die Intervention ist nicht nur überflüssig, sondern inakzeptabel, weil ignorant gegenüber Geschichte und Gegenwart. Einmal gebiert die unprofessionelle Vermischung von Vergabebürokratie und Architekturwettbewerb solche Ungeheuer, zum anderen werden diese auch noch mangels kultureller und ästhetischer Souveränität in blindem Fortschrittsglauben bejubelt. Der Zuschauersaal ist nicht nur Mittelpunkt des Hauses, sondern auch des einmaligen Ensembles von Bebel- und Opernplatz und seiner dominierenden Gebäude. Sowohl Innenraum als auch äußere Erscheinung werden als untrennbare baukünstlerische Einheit empfunden. Der Zuschauersaal ist in der über fünfzigjährigen realen Aneignung durch Benutzung des Hauses ein kognitives Zeichen für festliche Opernstimmung, für die Besonderheit des kulturellen Erlebnisses und auch für die Geschichte der historischen Mitte der Stadt.

Langjährige intensive Nutzung und technischer Verschleiß verlangen eine Sanierung, doch es gibt keine Notwendigkeit und keine Berechtigung, den Saal zu zerstören. Dabei geht es nicht zuerst um den Denkmalschutz des Gebäudes, sondern vielmehr um die kulturelle Haltung des Gemeinwesens und der Verantwortlichen, die gegebenen Werte zu erhalten oder vermeintlicher Modernität zu opfern, austauschbar bis zu nächsten Erneuerungswelle.

Das durch Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff errichtete Gebäude erfuhr eine wechselvolle Geschichte der Umbauten und Zerstörungen, bis schließlich der Wiederaufbau nach Plänen Richard Paulicks erfolgte, der das heutige Bild des Opernhauses bestimmt. Wenn auch nicht mehr ursprünglich tragen die Paulicksche Fassung des rokokoähnlichen Zuschauerraumes und auch die zeitgleiche Neuerfindung des Apollosaales entscheidend zur Spezifik des Hauses bei und vermitteln die ganz spezielle Raumstimmung, die am Ort des historischen Ensembles einmalig sein dürfte. Sie macht die erlebbare Einheit von Stadtraum, Gebäude und Innenraum aus. Es ist die Leistung Richard Paulicks, mit sensibler Gestaltung Knobelsdorffs Haus aus den Trümmern wiedergefunden zu haben.

Dieses Zeugnis der Geschichte und des Wiederaufbaues ist gerade in Berlin unverzichtbar, angesichts schwerwiegender Verluste infolge des Krieges und auch radikaler Eingriffe. Wenn einerseits entgegen jeder künstlerischen Authentizität ein verlorenes Schloss in seinen ehemaligen Fassaden als Nachbau errichtet werden soll, wenn das benachbarte Kommandantenhaus als zwiespältige Replik eines verlorenen Originals die Geschichte verunklärt, ist es wünschenswert, wenigstens die gebaute Realität zu erhalten. Die Kraft der Moderne sollte sich am Neubau des Humboldtforums entfalten. Dort bestehen Bedarf und Berechtigung, weil es eben keine historische Bausubstanz mehr gibt.

Die historisch entwickelte Staatsoper steht in einer der Entstehungszeit des 18. Jahrhunderts angenäherten Gestalt. Wir haben ebenso die Komische Oper in der Behrenstrasse aus dem 19. Jahrhundert in einer Erhaltung und Ergänzung vereinenden Fassung. Nicht zuletzt ist die Deutsche Oper an der Bismarckstraße ein beeindruckendes Original aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in strenger Modernität. So spannt sich die Berliner Opernlandschaft mit ihren Häusern stilistisch über mehr als zweieinhalb Jahrhunderte. Ein Kaleidoskop unterschiedlicher architektonischer Ansätze, das in seiner Gesamtheit die Berliner Spezifik ausmacht. Das gilt es unbedingt zu erhalten und nicht durch das Herausbrechen eines Teiles zu schädigen. Gerade die Wahlmöglichkeit zwischen unterschiedlichen Häusern im qualitativen Wettstreit der Inszenierungen ist ein Pfund, mit dem Berlin wuchern kann, dessen Gewicht aber nicht in kleinmütigem Opernstreit oder neuerdings mittels Abriss und Nivellierung verringert werden darf. Unbestritten ist die Notwendigkeit von Baumaßnahmen, doch deshalb muss man nicht den ganzen Saal abreißen.

Mängel in Sicht und Akustik erfordern Verbesserung. Hier steht eine Architekturlösung, die ohne Not Substanz vernichtet, einer fehlenden Grundsatzuntersuchung über zweifellos gegebene Verbesserungsmöglichkeiten unter Nutzung moderner Mittel und Kenntnis der baulichen Raumakustik und der Optimierung von Sichtbeziehungen gegenüber. Da wird allerhand bauakustisches Halbwissen kolporiert. Für die Oper sind aber Kriterien wie Deutlichkeit, Klarheit und Schallpegelverteilung ebenso wichtig. Die Mängel werden teilweise dramatisiert und es gibt vielerlei Beeinflussungsmöglichkeiten des Bestandes. Sicher ist es der schwierigere Weg, verbesserte Funktionalität und den Erhalt des bestehenden Innenraumes in Übereinstimmung zu bringen. Dabei kann auch nicht, wie von anderen Preisträgern vorgeschlagen, eine zweite Neuerfindung der Paulickchen Neuschöpfung zielführend sein. Nur im Bemühen angemessenen Umgangs mit der Substanz im Blick auf bessere Funktionalität kann die Einheit von Architektur und spezifischem Klangbild als Alleinstellungsmerkmal des Hauses kultiviert werden. Dabei muss man die Zielfunktion neu bestimmen: Die Staatsoper muss nicht zu einem Konzertsaal werden. Ein Opernhaus gehorcht auf differenzierte Weise bautechnisch-funktionell und akustisch anderen Kriterien als ein Konzertsaal, und beide haben eben ihre eigenen architektonischen Erscheinungen.

Mit der Philharmonie haben wir einen einmaligen und international bedeutenden Konzertsaal. Ein Opernhaus in überzeugender Formensprache der Moderne gibt es auch und so sollten wir uns das historisch anmutende und inzwischen historisch gewordene Opernhaus unter den Linden unbedingt erhalten. Besinnung auf die gegebenen Werte und Nachdenken über die mögliche Optimierung, das ist die aktuelle Aufgabe.

Prof. Dr. Wolf R. Eisentraut, 1943 geboren, ist seit 1968 in Berlin als Architekt tätig. Parallel zu praktischer Bautätigkeit erfolgten Promotion und Habilitation an der TU Dresden, an der er ab 1986 auch lehrte. Seinem Architekturbüro entstammen neben Wohnungen und Stadtplanungen auch Bauten kultureller Nutzung sowie Umbauten denkmalgeschützter Häuser. Wolf R. Eisentraut arbeitete als Bühnenbildner, u. a. für Inszenierungen unter der Regie von Ruth Berghaus und Peter Konwitschny.

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