Schmerz und heile Welt

Am Sonntag wird der Filmregisseur Michael Verhoeven 70

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Arbeit eines Künstlers hat immer wieder zu ertragen, auf eine – unabdingbare! – Handwerklichkeit heruntergerechnet zu werden. Denn: Auch was aus dem Geheimnis komme und ins Geheimnis ziele, müsse doch trotzdem einen realen Kern erlernbarer Techniken haben. So kam einst die entsetzliche Rede auf die Ingenieure der Seele, und die Künstler wehrten sich gegen solche Vereinfachung, indem sie just den Beruf des Arztes heranzogen: Man könne schließlich nicht die Seele eines Menschen suchen, indem man ihn obduziere.

Michael Verhoeven war, bevor er Regisseur wurde, Arzt. Friedrich Wolf war es auch, Anton Tschechow ebenfalls. Der Weg in die Kunst bedeutet für einen Mediziner, nicht mehr Therapeut zu sein, sondern »nur« Diagnostiker. Kunst bietet Hilfe zur Selbsthilfe. Das Einverständnis mit dem Schmerz kann Leiden eher lindern als dauernde Narkosen. Der Trost liegt nicht in der Gesundheit, sondern im gesunden Empfinden, dass nichts im Dasein dauerhaft hält. Die heile Welt ist möglich, wenn man denn einen heiteren Sinn für Sekundensachen hat.

Der Filmemacher – sein Vater Paul Verhoeven drehte den DEFA-Märchenfilm »Das kalte Herz« – blickt so, wie man sich einen Arztblick wünscht. Er möchte nicht härter sein, als nottut. Er wirkt nicht wie ein Besessener, und vielleicht liegt da eine Ursache für die unangestrengte Vielseitigkeit seines Schaffens, das scheinbar behende die Stile wechselte und serielle Unterhaltung (»Lilli Lottofee«, »Die schnelle Gerdi«) mit dem ernsten aufklärerischen Film verband.

»O.K.«: ein Film gegen den Vietnamkrieg, der 1970 als Skandal die Berlinale sprengte. »Die Weiße Rose«: die Geschichte der Geschwister Scholl als bewegende Kontroverse zwischen dem gefährlichen Sog einer gleichschaltenden Kollektivität und jener kühner Courage Einzelner, denen die Geschichte erschütternd gnadenlos Todeszeichen ins junge Gesicht kratzt. »Das schreckliche Mädchen«: der Spielfilm über die Passauer Schülerin Anna Rosmus, die bundesrepublikanische Furore machte, weil sie ihren Heimatort als hartnäckigen, biedersinnmaskierten Nazihort entdeckt – Nestbeschmutzung als wahres Schönheitsideal. Und »Mutters Courage«: eine Hommage an George Tabori und dessen Mutter, die auf seltsame Weise vor den deutschen Gasöfen gerettet wurde.

Mit seiner Frau Senta Berger gründete Verhoeven die Filmproduktionsfirma »Sentana«. Wohl auch, um Werke wie die eben genannten drehen zu können, und zwar im beruhigenden Geist einer Unabhängigkeit, die drängendes filmisches Fragen erlaubt. Die Güte von Verhoevens Filmen kommt aus dem Wunsch nach der guten Welt, diese Filme scheuen das didaktische Moment nicht – da möchte der Künstler wohl doch, vom Gesellschaftselend berührt, am liebsten Arzt sein, wieder Therapeut, Veränderer des großen Stoffwechsels, der uns verarbeitet.

Der Arzt und der Künstler. Des Menschen Innerstes als Forschungsfeld. Das Zentrum des Geheimnisses Leben steckt im unlösbaren Widerspruch: Muskeln und Nervenbahnen, Blut und Wasser, Haut und Haar bilden die Hülle und den Halt für ein überlegenes Bewusstsein, das operativ nicht zu packen ist, indem man es auf chemisch-physikalische Vorgänge reduziert – aber just die schnöde Natur in uns hat Anfang und Ende, arbeitet nach erforschbarer Formel und beendet das Experiment und Wunder Mensch nach den ganz banalen Gesetzen von Verschleiß und Verwitterung. Wir sind aus Bausteinen, aber zugleich, in unserer Fantasie, endlos. Verhoevens Filme: Medizin gegen Narkotika.

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