600 Millionen Ausgleich für die Maut

Naturschutzbund fordert Ausbau des Schienennetzes und wirft Spediteuren Unseriosität vor

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Noch ist unklar, ob die Bundesländer am 19. September der geplanten Erhöhung der Lkw-Maut zustimmen werden. Umweltschützer fordern eine Ausweitung der Lkw-Maut. Private Pkw in dieses Systems einzubeziehen, hält Carsten Wachholz aber für unrealistisch. Mit dem Referenten für Energiepolitik und Klimaschutz beim Naturschutzbund Deutschland (NABU), sprach Michaela von der Heydt.
Streit um die Lkw-Maut: 600 Millionen Ausgleich für die Maut

ND: Die Zustimmung im Bundesrat zur geplanten Anhebung der Lkw-Maut schien reine Formsache. Warum wollen CDU-geführte Länder das Vorhaben jetzt kippen?
Wachholz: Es ist wohl ein Versuch, sich über die steigenden Preise für Energie und Transporte zu profilieren, sich vor die heimischen Spediteure zu stellen und jegliche zusätzlichen Belastungen für die Wirtschaft abzuwehren. Die inhaltliche Argumentation trägt aus NABU-Sicht überhaupt nicht. Ein Blick auf die Kostenseite des Güterstraßenverkehrs zeigt eine paradoxe Situation: Die Mauteinnahmen würden selbst nach der geplanten Erhöhung nicht mal die Kosten für den Bau und Unterhalt von Straßen abdecken, die durch den Schwerverkehr verursacht werden. Natur- und Landschaftsschäden sowie Lärm, Unfälle und Klimafolgen bleiben bislang unberücksichtigt. Auch die hessische Bundesratsinitiative moniert zu geringe Einnahmen hierfür. Wo sollen aber die Gelder herkommen, wenn nicht über die Maut?

CDU-geführte Länder wollen, dass Maut-Gelder nur in den Straßenbau gehen. Wie sehen Sie das?
Die Mauterhöhung ist Bestandteil des Energie- und Klimapakets der Bundesregierung. Man wollte mit der Spreizung der Mautsätze Fahrzeuge mit höheren Feinstaubemissionen stärker belasten. Einen Umwelteffekt wird man aber nur erzielen, wenn diese Nutzfahrzeuge umgerüstet und Transporte auf die Schiene verlagert werden. Der NABU fordert deswegen, dass zumindest 50 Prozent der Einnahmen in den Ausbau des Schienenverkehrsnetzes fließen.

Sind die Sorgen der Spediteure berechtigt? Sie sprechen von 60 Prozent Mehrbelastung.
Erstens kann man die erhöhte Maut leicht umgehen. Mit dem Einbau eines Rußpartikelfilters wird man in eine niedrigere Mautklasse einsortiert. Die Kosten amortisieren sich ungefähr nach einem Jahr. Wir sehen also selbst für ältere Fahrzeuge nicht, dass Spediteure unter der Mauterhöhung besonders zu leiden haben. Außerdem wurde bereits vor zwei Jahren eine Entlastung bei der Kfz-Steuer auf den Weg gebracht, wodurch die deutschen Spediteure um 600 Millionen Euro pro Jahr entlastet werden. Das war in Bezug auf den EU-Wettbewerb grenzwertig. Dass die Spediteure jetzt die neue Belastung, aber nicht die Entlastung nennen, halte ich für unseriös.

Was halten Sie von der Idee, Diesel von der Ökosteuer zu befreien?
Für das Ziel, gesundheitsgefährdende Feinstaubwerte zu senken, wäre das kontraproduktiv. Und wir müssen aufhören, die Energieträger unterschiedlich zu behandeln. Die Ökosteuer war der Ansatz, alle Energieträger zu erreichen und darüber zusätzliche Einnahmen für die Sozialversicherung zu erzielen. Dieses System kann man nicht mehr wirklich in Frage stellen und es bietet sinnvolle Anreize, den Treibstoffverbrauch zu senken.

Reicht die Lkw-Maut? Müsste nicht auch eine Pkw-Maut her?
Wir haben uns als NABU dagegen ausgesprochen, weil der technische Aufwand für Privatpersonen doch sehr hoch ist. Stattdessen sollte man schrittweise für Lkw ab 7,5 Tonnen und später für Lkw ab 3,5 Tonnen eine Maut einführen. Nur dann erhöht sich das Gesamtvolumen und die Lenkungswirkung, um zu verhindern, dass der Güterverkehr ins Unermessliche wächst.

Für das Erreichen der Klimaschutzziele kritisieren wir das Paket der Bundesregierung, weil es den Verkehrsbereich fast vollständig ausklammert. Insbesondere für private Pkw halten wir Anreize wie die immer noch unsichere Umstellung der Kfz-Steuer auf den CO2-Ausstoß für ein hilfreiches Instrument, genau wie das leider nicht auf der politischen Agenda stehende Tempolimit von 120 Kilometer pro Stunde auf Autobahnen.

Und eine Jahresvignette für Pkw wie in der Schweiz?
Eine Pauschalgebühr wie eine Vignette unterscheidet aber nicht zwischen einem 3-Liter-Auto und einem alten Spritfresser.


Chronik

1986: Umweltverbände wie der Verkehrsclub Deutschland fordern die Einführung einer EU-weiten leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe, weil der Lkw-Verkehr sich binnen 30 Jahren verdreifacht hat.

1995: Die Bundesregierung führt die zeitbezogene Autobahngebühr (Euro-Vignette) für Lkw ab 12 Tonnen Gewicht ein. Sie bringt aber nur 33 Millionen Euro pro Monat ein.

August 2003: Der Starttermin für die Maut fällt wegen schlechter Vorbereitung und Skandale beim Konsortium Toll-Collect aus Telekom, DaimlerChrysler und der französischen Cofiroute aus. Es entstehen Verluste von 180 Millionen Euro pro Monat.

Januar 2004: Das Mautsystem läuft wegen technischer Probleme in abgespeckter Version an, 2005 dann in Vollversion. Die Maut von 12,4 Cent pro Kilometer giilt bis 2006.

2006: Die EU-Kommission stimmt den von der Bundesregierung beschlossenen Hilfsmaßnahmen für Lkw nicht zu, Unternehmen über Senkung der Mineralölsteuer zu entlasten.

August 2007: In Meseberg beschließt die Bundesregierung Eckpunkte eines Integrierten Energie- und Klimaprogramms, die Absenkung der Kfz-Steuer für Lkw und die Anhebung der Maut um 1,1 Cent pro Kilometer auf im Schnitt 13,5 Cent.

Juni 2008: Die Bundesregierung beschließt im Rahmen ihres zweiten Klimapakets eine Neuordnung der Mautverordnung.

Juli 2008: Der Europäische Gerichtshof schafft ein einklagbares »Recht auf saubere Luft«. Laut der Deutschen Umwelthilfe sterben allein in Deutschland jährlich rund 75 000 Menschen vorzeitig aufgrund der Feinstaubbelastungen. Die Nachrüstung aller auf deutschen Autobahnen betriebenen Lkw der Schadstoffklassen Euro II und Euro III mit Filtern würde die Emissionen um etwa 3000 Tonnen pro Jahr mindern.

EU-Vergleich: Deutschland liegt laut dem Bundesverband Güterverkehr bei der Maut-Belastung im unteren Mittelfeld – auch nach der geplanten Erhhöhung.
ND

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