Beim Rabenmeister im Londoner Tower

Legendenumrankte Vögel werden gehätschelt, damit sie Britannien vor Feinden bewahren

  • Axel Pinck
  • Lesedauer: 5 Min.
Tom Trent mit einem der gehätschelten Kolkraben im Garten des Tower.
Tom Trent mit einem der gehätschelten Kolkraben im Garten des Tower.

Sie gehören zum Tower von London wie die Kronjuwelen. Die Kolkraben im Innenhof der mehr als 900 Jahre alten königlichen Festung an der Themse. Solange sie dem berühmten Gemäuer treu bleiben, wird, einer Legende nach, kein Feind Britannien erobern. Der königliche Rabenmeister und seine Mitarbeiter sorgen für das Wohlergehen der kostbaren Vögel und dafür, dass sie den Tower nicht verlassen.

Tom Trent, Rabenmeister im Tower von London, macht einen ernsten, aber durchaus entspannten Eindruck. Dabei ruht auf seinen Schultern die Verantwortung für den Fortbestand des gesamten britischen Königreiches. »Das besagt zumindest die Sage«, schmunzelt der in die traditionelle schwarzrote Uniform gekleidete sogenannte Beefeater.

Vorsichtiger Monarch

Seit dem 17. Jahrhundert garantiert ein königliches Dekret von Karl II. den blauschwarzen Raben besondere Pflege und Schutz. Nach dem großen Brand von 1666, der den Tower im Gegensatz zu 13 000 verstörten Häusern Londons unversehrt ließ, beschwerte sich der Astronom des Königs, dass Raben seine sorgsam geputzten Linsen in der Sternwarte des Tower immer wieder bekleckerten. Ausgerottet sollten sie werden, befand der zornige Monarch. Doch als er die Überlieferung hörte, dass ohne Raben der Tower und mit ihm auch das Königreich zerbröckeln würde, ließ er lieber die Sternwarte nach Greenwich umziehen und die Raben unversehrt bei der Festung. »Ich bin zwar nicht abergläubisch, soll der König gesagt haben, aber es ist sicher besser, das Schicksal nicht unnötig herauszufordern«, berichtet Trent so lebhaft, als sei er dabei gewesen.

So stehen die Raben, die in vielen Kulturen als böses Vorzeichen, als Boten des Todes angesehen werden, im Tower hoch im Ansehen und unter besonderem Schutz der Krone. Fünf der 35 Beefeater, mit dem königlichen Rabenmeister an der Spitze, hegen und pflegen zusätzlich zu ihren sonstigen Diensten die illustren Vögel. »Die Tiere sind sehr kräftig und haben einen scharfen Schnabel«, weiß Tom Trent, und zieht sich einen dicken Lederhandschuh an. Zwei Mal am Tag erhalten die Vögel Futter, eine spezielle Diät, hart gekochte Eier, Weintrauben, und in Blut getränkte Kekse. Dazu gibt es einmal am Tag, Hühnchenkeulen oder Rindfleisch.

Ein mächtiger Rabe mit einem weißen Beinring kommt näher, »Hardey ist 27 Jahre alt. Raben in der freien Natur werden nur sechs bis sieben«, sagt Trent. Nicht nur die gute Verpflegung hält die Tiere innerhalb der Mauern des Festungsbaus. Tom: »Wir stutzen ein paar der Flugfedern, dadurch können die Raben nicht mehr sicher fliegen und bleiben hier auf dem Rasen.« Merlin, der jüngste Rabe, ist erst seit etwas mehr als einem Jahr im Tower. »Wanderer haben ihn verletzt in den Waliser Bergen gefunden. Er wurde dann von Wildhütern gesund gepflegt und erfreut sich jetzt hier seines Lebens«.

In den vergangenen 350 Jahren haben die Raben viel gesehen. Berühmtheiten, Staatsbesucher, aber auch illustre Gefangene des Königs, die den Tower nicht über die Zugbrücke beim Löwenturm, sondern auf einem Kahn durch das Verrätertor, das »Traitors Gate«, an der Themse erreichen. Dort, wo die Raben heute ihre Mahlzeiten einnehmen, stand früher der Richtblock des Henkers, auf dem unter vielen anderen Anne Boleyn, Walter Raleigh und Thomas Morus ihr Leben lassen mussten.

Strenge Personalauswahl

Tom Trent war nicht sein Leben lang Beefeater und verantwortlich für die Pflege königlicher Raben. Wer sich für den Dienst im Tower bewirbt, muss mindestens 22 Jahre in den Streitkräften seiner Majestät gedient haben und zwar ohne sich etwas zu Schulden kommen zu lassen, wie Tom ausdrücklich betont. Er war in Italien stationiert, auf den Hebriden und bei der britischen Rheinarmee in Mönchengladbach. »Günther Netzer habe ich damals kennengelernt« betont er, »ein sympathischer Junge«.

Zum Dienst der Beefeater im Tower gehört die Betreuung der Besucher von Londons beliebtester Touristenattraktion und die Bewachung der Kronjuwelen. 2,5 Millionen kommen jährlich. Wer sich darüber hinaus für das Ehrenamt eines Hüters der zur Zeit neun königlichen Raben bewirbt, sollte Zuneigung zu den intelligenten Vögeln entwickeln.

Thor, ein 13-jähriger Kolkrabe aus Hampshire, kann sogar menschliche Stimmen imitieren, oft sogar den Tonfall nachahmen. »Das führt natürlich zu den lustigsten Irritationen«, erzählt Tom. »Auch der abendliche Rückzug ins Rabenhaus kann zu einem Spektakel werden. Ab und zu hat einer der Raben noch keine Lust und nimmt eine angriffslustige Position ein, mit gespreizten Flügeln und geducktem Kopf. Dann muss ich selbst den Oberraben herauskehren, mich zu ihm hinunter beugen, die Arme mit dem Uniformcape zur Seite gestreckt wie Flügel vor ihm aufbauen und drohend krächzen. Das Signal wird sofort verstanden und der Abmarsch ins Nachtlager ist kein Problem mehr.«

Zwei kritische Situationen hatten die Rabenhüter im Tower bisher zu überstehen. 1946 sicherte nach einem bis heute ungeklärten Kidnapping der Rabendame Mabel für kurze Zeit nur ihr Gefährte Grip den Bestand des Königreiches. Und Anfang 2006, zur Zeit der Vogelgrippe, wurden die Raben aus Furcht vor Ansteckungsgefahr für mehrere Wochen erstmals in einem geschlossenen Käfig gehalten. Prinz Charles, als Thronfolger unmittelbar am Fortbestand der Monarchie interessiert, ließ damals durch seinen Sprecher britisch knapp verkünden: »Wir sind froh, dass die Vögel in Sicherheit sind.« Ein eigenes Zuchtprogramm sowie die enge Zusammenarbeit mit dem Londoner Zoo und Wildschutzgebieten im ganzen Land sollen Krisen in Zukunft gar nicht aufkommen lassen. Wenn es nach den Beefeatern des Londoner Tower geht, ist ein Ende des Britischen Königreich kein Thema. »Wir tun weiter unsere Pflicht«, so Tom Trent.

  • Infos: VisitBritain, Dorotheenstrasse 54, 10117 Berlin, Tel.: (01801) 46 86 42 (Ortstarif), www.visitbritain.com/de, www.visitlondon.com ( auf Deutsch)
  • Öffnungszeiten vom Tower: So-Mo 10-16, Di-Sa 9-16 Uhr
  • (1. November-28. Feb), Mo-Sa 9-17, So 10-17 (1.März-31.Oktober). 24.-26.Dez und 1.Januar geschlossen, Eintritt: 11,50 £ (Erwachsene), 7,50 £ (Kinder von 5 bis 15 Jahren), frei (Kinder unter 5 Jahren). Ermäßigungen und Familienkarten erhältlich.
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