»Neues Spiel, neues Glück«

Gestartet: Rudolstadts neuer Intendant Steffen Mensching

  • Hanno Harnisch
  • Lesedauer: 4 Min.

So ist das manchmal in einem Stadttheater zur neuen Saison: Der alte Intendant ist weg – und mit ihm ein Dutzend der Schauspieler. Ein völlig neues Repertoire muss her, und man weiß noch nicht genau, was man vom neuen Chef so alles vorgesetzt bekommt. Zumal, wenn er aus der Hauptstadt kommt, zwar schon mal ein paar Inszenierungen abgeliefert hat, früher Gedichte schrieb, jetzt Bücher und in den vielen Jahren mittendrin die eine Hälfte eines linksbissigen Clownsduos war.

Steffen Mensching ist der neue Intendant (und Geschäftsführer). »Neues Spiel, neues Glück« heißt es nicht nur beim Skat. Und so startete der drahtige Neue (der in diesem Jahr noch seinen 50. feiern wird) am Wochenende in die 225. Spielzeit des Rudolstädter Theaters, dem weiland Goethe vorstand, gleich mit einem ganztägigen Theaterfest – und einer eigenen Inszenierung.

»Sei personaggi in cerca d'autore« von Luigi Pirandello war bei seiner Premiere 1921 in Rom noch ein Theaterskandal. Um dann seinen dramaturgischen Siegeszug durch Europa anzutreten. Max Reinhardt inszenierte »Sechs Personen suchen einen Autor« in Berlin – und auch in Rudolstadt wagte sich der damalige Intendant 1925 an die Inszenierung dieses Stückes um philosophische Begriffe und leidenschaftliche Gefühlskomplexe, welches »in die Kulissenwelt des Theaters hineingespiegelt, eine Scheinwelt in die Realität des wunderlichen Kosmos des Theaters projiziert, der selber Schein ist«, wie eine zeitgenössische Kritik konstatierte.

Sechs Personen suchen einen Autor. Das ist Theater um das Theater. Erst mal probiert ein Schauspielensemble ein neues Stück. Langsam trudeln sie auf der Bühne ein, erzählen vom gestrigen Abend beim Italiener »Pronto Pronto«, den es natürlich in Rudolstadt wirklich gibt. Das Publikum wagt einige erste Lacher. Doch so lustig, das konnte man im Vorfeld schließlich lesen, soll es nicht bleiben. Die Kollegen sind ein wenig maulig, ganz schön routiniert und durchaus professionell, Schauspieler eben (»Sind wir gerade im zweiten oder im dritten Akt?«). Ihr abgeklärter Direktor (Hans Burkia, der Herr vieler Glanzrollen in Rudolstadt) weiß schon ungefähr, wohin die Reise (zum x-ten Mal) gehen soll. Doch da kommt Pirandellos genialer Grundeinfall auf die Bühne geschlurft, der Vater (Gottfried Richter, atemberaubend ernsthaft auf der Suche nach seiner eigenen Wahrheit) mit dem traurig-zornigen Rest seiner Familie. Diese sechs Menschen wurden von einem Theaterdichter erschaffen, der ihre Geschichte, die sich als eine hochtragische erweist, nicht zu Ende geschrieben hatte. Nun besetzen sie diese Probe, dieses Theater und diese Schauspieler. Fordern vom Direktor ihr Recht auf Leben. Und, fast noch wichtiger: Sie fordern ihr Recht auf Wahrheit. Eigentlich gibt es sie gar nicht, diese Auswüchse einer Dichterfantasie. Bei Pirandello aber, und nun auch in Rudolstadt, okkupieren sie die Bühne. Sprengen jeden Widerstand der Theaterleute (der sowieso nicht allzu groß ist, denn die ahnen, dass da etwas ganz Ungeheuerliches geschieht).

Steffen Mensching macht aus diesem Stoff anrührendes Theater. Er nimmt diese sechs tragischen Personen so ernst, dass er die hohe Tragik ihrer verkrumpelten Geschichte keinen Augenblick der Lächerlichkeit preisgibt. Der Vater, der seine Familie zerstörte, sich (fast) an seiner Tochter verging, der alle um sich herum unglücklich machte, will endlich mit seiner Schuld zurechtkommen.

Es gibt eine Szene, für die sich die sonst sehr temporeiche Inszenierung erfreulich viel Zeit lässt. Der Vater klärt mit dem Direktor Grundfragen. Sind wir nicht selber das Drama? Wo kommen wir her, wo gehen wir hin? Was ist Wahrheit? Was Schuld?

Die Stieftochter (Anne Kies, verletzlich und verletzend, intensiv bis zur Schmerzgrenze) erträgt nichts und niemanden mehr, weder Vater, Bruder Mutter, und schon gar nicht die Schauspieler, die jetzt ihr Leiden spielen sollen.

Die Zuschauer waren reineweg begeistert vom Einstand ihres neuen Intendanten. Bald können sie ihn auch auf der Bühne erleben, dann mehr als Entertainer denn als Löser der Weltfragen. »Höchste Eisenbahn AG oder: Wer hat an der Uhr gedreht« heißt ein Schlagerabend, der am 2. Oktober Premiere hat und ein »Heiteres Beruferaten« nach Robert Lembke aus dem Westfernsehen mit richtigen Menschen aus der Region ist auch schon in Vorbereitung. Eine Stadt scheint ihren Intendanten gefunden zu haben. Ein Ensemble auch.

Nächste Vorstellung am 19. 9., Karten unter Tel.: (03672) 422766

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