Moment der Freiheit

Ingo Schulze und sein Wenderoman »Adam und Evelyn«

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Eigentlich ein seltsamer Begriff: Wenderoman. Klingt wie Wendejacke, von zwei Seiten zu tragen. Ein Vergleich, der nicht ganz so abwegig ist. Denn die sogenannte »Wende« – die Angliederung des untergehenden Staates DDR an die BRD – will ja von zwei Seiten betrachtet werden. Das Verlorene, das Gewonnene – Schulze stellt es abgewogen, ausgewogen dar. Vorwiegend heiter, was bei dem Thema gar nicht so einfach ist. Ein Roman, passend zum Jubiläum des Mauerfalls im nächsten Jahr. Vielleicht kommt dann schon der gleichnamige Film.

Ich kann mich irren, aber es könnte ein Erfolg wie »Goodbye Lenin« werden. Zum Szenischen hat Ingo Schulze Talent. Der Forderung nach Unterhaltsamkeit entzieht er sich nicht. Es geht turbulent zu, wenn Adam im Sommer 1989 seiner Evelyn gen Ungarn nachreist. Dabei will er sie nur wiedergewinnen, nachdem sie ihn mit einer fremden Frau erwischte. Dass gerade eine Grenzöffnung stattfindet, dass ein ganzes politisches System zusammenbricht, ist ihm überhaupt nicht klar. Er möchte ein bisschen Urlaub machen am Balaton und dann zurück nach Hause ins Sächsische, in seine Schneiderwerkstatt, zu seinen Entwürfen und Modellen. Zu der Arbeit, die ihm Freude macht.

Aber seiner Freundin ist es eben nicht genug, Serviererin zu sein, es zieht sie hinaus in die weite Welt. Und sie setzt sich durch mit ihren Wünschen – wie die biblische Eva es einst mit dem Apfel tat. Adam bekommt ein Stück bayrischen Leberkäse unter die Nase gehalten und ahnt nicht, dass sich das Tor zu seinem Garten Eden schon geschlossen hat. Mit seinen Fähigkeiten wird er im Westen nicht gebraucht. Ein Besonderer einst, wird er nun zum Auswechselbaren degradiert. Dafür schreibt sich Evelyn voller Hoffnungen zum Kunststudium ein. Noch war der Weg zur Universität »von keiner Sorge verdorben ... Und sie selbst war nicht jene, die sie kannte, sondern eine, die sie sich immer vorgestellt hatte, wenn sie an die Zukunft dachte.«

Beim zweiten Lesen merkt man umso deutlicher, wie präzise Schulze mit Sprache umgeht. Wie bedacht er formuliert und dabei noch Späßchen macht. Es ist wie ein Kunststück auf dem Seil, bei dem Balance zu halten ist, um auf keine Seite abzukippen. Dabei jongliert er geschickt mit dem biblischen Gleichnis von Adam und Eva, die Geborgenheit verlieren und Freiheit gewinnen.

Der Roman lebt fast ausschließlich von Dialogen, man hört die Gestalten reden, sieht sie agieren, kann sie alle verstehen in ihrem so unterschiedlichen Wollen. Ein ganz kurzer Moment der Freiheit war ihnen gegeben – damals am Balaton, als sie entscheiden konnten, in diese oder jene Richtung zu reisen. Doch was auch immer sie hätten tun wollen, die Gegebenheiten würden sie einholen. Das zu erkennen, zu durchschauen, darin ist der Leser bzw. Zuschauer dem Pärchen Adam und Evelyn voraus. Lachen kann man oder wissend lächeln. Das, was man ohnehin zu tragen hat, wird durch die Lektüre nicht noch beschwert. So war es damals, so ist es heute, das Bild ist stimmig, wir können es nicht ändern, wir regen uns nicht auf.

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