Straßenschlachten nach Wahlen in Nicaragua

In Managua erklärten sich zwei Kandidaten zum Sieger

  • Ralf Leonhard
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach den nicaraguanischen Gemeindewahlen vom Sonntag haben sich in der Hauptstadt Managua sowohl der sandinistische als auch der liberale Kandidat zum Sieger erklärt. Bei Zusammenstößen zwischen aufgeheizten Anhängern floss Blut. Erste Bilanz: eine Tote und vier Verletzte.

Die regierenden Sandinisten wollten offenbar nichts dem Zufall überlassen. In manchen der 146 Gemeinden begann die Siegesfeier schon nach Auszählung von nur drei Prozent der abgegebenen Stimmen. Auch in Managua ließ sich der ehemalige Boxchampion Alexis Argüello schon feiern, bevor noch zuverlässige Tendenzen sichtbar waren. Argüello hat die Zahlen des Obersten Wahlrates auf seiner Seite. Der Liberale Eduardo Montealegre beruft sich dagegen auf Kopien der Wahlakten, deren Zahlen in seiner Parteizentrale zusammengerechnet wurden.

Unweit vom Obersten Wahlrat bezogen sandinistische Getreue bald nach Schließung der Wahllokale Position. »Wir machen von unserem demokratischen Recht Gebrauch, die öffentlichen Plätze zu besetzen, damit unsere Gegner das nicht mehr tun können«, sagte ihr Wortführer.

Darauf berief Widersacher Montealegre noch in der Wahlnacht eine Pressekonferenz ein, bei der er versicherte, er hätte knapp über 50 Prozent der Stimmen erreicht. Sein Parteichef, Expräsident Arnoldo Alemán, der wegen Korruption verurteilt wurde und noch unter Hausarrest steht, verlangte eine Neuauszählung der Stimmen in allen umstrittenen Gemeinden.

Luis Marenco, ein Vertreter der Liberalen, witterte grobe Manipulation. So seien in einem Wahllokal, wo kein Oppositionsvertreter bei der Auszählung zugegen war, von 442 gültigen Stimmen 400 auf die Sandinisten und keine einzige auf die Liberalen entfallen. Mehrere liberale Beobachter seien aus den Lokalen geworfen worden, weil ihre in letzter Minute vom Obersten Wahlrat ausgehändigten Akkreditierungen Formfehler aufwiesen. Viele Lokale sollen vorzeitig geschlossen worden sein, obwohl noch Schlangen von Wahlberechtigten warteten.

Da unabhängige Beobachter nicht zugelassen waren, gab es keine unparteiische Instanz, deren Urteil man abwarten konnte. »Der gesamte Wahlapparat wird von unten bis oben von den Sandinisten kontrolliert«, erklärt der Politologe Manuel Ortega Hegg von der Jesuitenuniversität in Managua das Misstrauen. Deswegen kam es schnell zur Eskalation auf den Straßen von Managua, wo Gruppen von Anhängern der rivalisierenden Parteien aufeinander stießen. Brennende Reifen blockierten eine der Hauptverkehrsadern der Stadt. Zuerst flogen nur Steine. Dann fielen auch Schüsse aus einem Gebäude. Ein achtjähriges Mädchen auf der Seite der Liberalen blieb blutüberströmt liegen und starb wenig später. Die Polizei, die sich mit dem Eingreifen viel Zeit ließ, meldete vier weitere Verletzte. 33 Personen wurden festgenommen.

Am Erfolg der Sandinisten insgesamt dürfte kein Zweifel bestehen. Nach noch inoffiziellen aber auf größtenteils kompletter Auszählung beruhenden Angaben des Wahlrates konnte die Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) in 102 Gemeinden die Mehrheit erringen. Das sind 15 mehr als bisher. Darunter die meisten Provinzhauptstädte, nämlich Ocotal, Somoto, Estelí, Chinandega, León, Masaya, Rivas (erstmals seit 1990), Boaco, Matagalpa und San Carlos. Die Liberalen eroberten Jinotepe, Juigalpa, Jinotega und Granada und hielten Bluefields an der Atlantikküste. Neben Managua bleiben aber auch einige andere wichtige Städte wie León umstritten.

Als die Sandinisten 1990 abgewählt wurden, blieben neben mächtigen Basisorganisationen einige Gemeinden in sandinistischer Hand. Diese konnten eine gewisse Unabhängigkeit erobern, zumal die Gemeindeautonomie in der Verfassung verankert ist. Jetzt zieht die Zentrale in Managua die Zügel straffer. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die nicht auf das Kommando Daniel Ortegas hören, sehen sich schikaniert. Sandinistische Bürgermeister mussten sich verpflichten, sich den sogenannten Bürgerbeteiligungskomitees unterzuordnen, die von der FSLN kontrolliert werden.

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