Die schöne Fremde

Elsa Triolet: eine verkannte Schriftstellerin

  • Florence Hervé
  • Lesedauer: 6 Min.
In meiner französischen Jugend war sie berühmt - natürlich kannte man »Die Liebenden von Avignon«. Es gab Schulen, Straßen, Bibliotheken, die nach ihr benannt waren, und später die Chansons meiner Lieblingsschauspielerin Jeanne Moreau, nach Texten von Elsa Triolet.
In meiner bundesrepublikanischen Danach-Zeit kannten nur wenige ihr literarisches Schaffen. Bestenfalls galt sie als Freundin Majakowskis, als Muse und »Gattin des Kulturfunktionärs der französischen KP Louis Aragon« (Der Spiegel, 1954) und wurde entsprechend totgeschwiegen. Anders bei meinen Freundinnen und Freunden aus der DDR: Dort hatte Elsa Triolet einen Namen, es waren aber nur Teile ihres Werkes bekannt, denn ihre letzten Romane wurden gar nicht übersetzt. Das Leipziger Meyer-Lexikon befand 1970, dass die parteiliche Aussage ihrer jüngsten Werke durch »skeptizistische Tendenzen reduziert wird«.
Heute, wohl im Zuge der Schwärmerei für die Neuen Frauen der Zwanziger Jahre, wird sie in Deutschland wiederentdeckt. Eine literarische Collage und die Veröffentlichung von zwei frühen Romanen bilden den Anfang.* Manche meiner schreibenden Kolleginnen erliegen der Faszination für die schönen Russin, »im neuesten Pariser Chic und in teuren Pelz gehüllt«, aber auch einer platten Übernahme von antikommunistischen Klischees aus den 50er Jahren - die inneren Widersprüche, die Zerrissenheit dieser Frau, die zeitweise Stalin-Anhängerin war, werden nicht wahrgenommen. »Ich habe diese Augen, nämlich Elsas Augen. Ich habe einen Mann, der Kommunist ist. Und ich bin daran schuld«, so Elsa Triolet bitter über ihr Bild in der Öffentlichkeit. »Ich bin ein Spielzeug der Sowjets. Ich bin ein Luxusgeschöpf. Ich bin Grande Dame und Schandfleck. Ich bin dem sozialistischen Realismus ergeben. Ich bin eine Moralistin und ein frivoles, strickendes, fabulierendes Geschöpf. Ich bin Scheherazade, die große Erzählerin. Ich bin die Muse und der Fluch des Dichters. Ich bin schön und ich bin abstoßend.«
Wer war Elsa Triolet? Da ist zunächst eine geborgene Kindheit im Haus der fortschrittlichen, in Intellektuellenkreisen verkehrenden Familie Kagan - der Vater ist ein brillanter Rechtsanwalt, die Mutter eine begabte Pianistin. Französisch und Deutsch werden fließend gesprochen. Ein Schatten über dieser privilegierten Kindheit: die jüdische Abstammung (»mit jüdischen Kindern spielt man nicht«). Und außerdem war da die schöne, dominierende, bewunderte und beneidete große Schwester Lilja. Elsa, »Walderdbeere« genannt, empfand Einsamkeit, ein Gefühl, das auch ihr Werk prägen sollte. Die Jugendjahre waren beherrscht durch die Dichtung und die Liebe zu Majakowski, dieser wandte sich jedoch bald der großen Schwester Lilja zu. Es folgten Wanderjahre in Tahiti, London, Berlin und Paris, zunächst mit ihrem französischen Ehemann, bis sie, die schon mit der Idee des Selbstmords spielte, 1928 auf den Surrealisten Aragon traf.
Über die »Liebenden des Jahrhunderts - als Gegenstück zum Paar Sartre/ Beauvoir - ist viel geschrieben worden. Aragon und Triolet waren verbunden durch das Schreiben, ihre politischen Ansichten, verbunden auch durch die Liebe zur russischen Literatur. Elsa Triolet war allerdings nie Mitglied der kommunistischen Partei. Es wurden 42 gemeinsame Jahre - es war keine einfache Liebe. Elsa Triolet litt zeitweise unter ihrer Rolle als Muse des geschäftigen Dichters. Während der Résistance geriet das Paar in eine schwere Krise. Aragon, der für die Résistance-Gruppe der Intellektuellen in der südlichen Freien Zone zuständig war, bangte um Elsa, die als Jüdin laut Befehl der Gestapo sofort verhaftet werden sollte. Er wollte sie vor dem gefährlichen Engagement schützen und versuchte sie zu überreden, ihr Schreiben selbst sei Widerstand. »Glückliche Liebe gibt es nicht/ Und doch ist's unser beider Liebe,« schieb er in einem seiner schönsten Gedichte.
Die Zeit der Résistance war literarisch für das Paar äußerst produktiv. Elsa Triolet schrieb einige ihrer besten Romane, so »Das weiße Pferd« (1943), in dem Michel Vigaud davon träumt, ein Märchenheld zu sein, und »Die Liebenden von Avignon«, eine märchenhafte Liebesgeschichte während der Besetzung und des Krieges, für die sie 1944 den Prix Goncourt erhielt.
Kein Geringerer als Maxim Gorki hatte sie einst zum Schreiben ermuntert. Drei ihrer Romane erschienen in den 20er Jahren in der Sowjetunion. Als weitere dann abgelehnt wurden - Elsa Triolet empfand die Kritik an ihren Büchern wie eine Ohrfeige -, versuchte sie französisch zu schreiben. Insgeheim. Von Aragon erhielt sie zunächst keine Unterstützung. Ihr erster Roman in französischer Sprache, »Bonsoir Thérèse«, hatte Erfolg und wurde u.a. von Sartre hoch gelobt. Doch der Russin bereitete die Entwurzelung Schmerz: »Ich stieß überall an Grenzen, war von allen Seiten beschnitten ... Zweisprachig zu sein, das ist ein bisschen wie bigam sein; aber wen betrügt man?«
Zwischen 1939 und 1956, wechselte Elsa Triolet vom Autobiografischen zum Roman und zum politischen Essay. 1941 wurde sie Mitbegründerin der Zeitschrift der literarischen Resistance »Lettres Françaises«, für die sie später über den Nürnberger Prozess berichtete.
In der Nachkriegszeit wurde die psychische Zerstörung und die Entwurzelung des Menschen als Folge des Krieges Elsa Triolets Thema, so in »Der Ruineninspektor« (1948), einem Roman, der weder in der DDR noch in der Sowjetunion erschien. Boris Polewoi befand in einer Geheimgutachten für das ZK der KPdSU: »Ein völlig belangloses Buch, das von dekadenter Zerrissenheit, von Erotik und Phantasie schlechten Geschmacks zeugt.« Im Science-Fiction-Roman »Das rote Pferd« (1953) geht es um den dritten Weltkrieg und die Atombombe - dafür ließ sich die Autorin von Frédéric Joliot-Curie beraten. Parallel zur Apokalypse erzählt sie von ihrer Angst vor dem Altern.
Fast alle ihre Romanfiguren sind Ausgegrenzte, Fremde: So die Emigranten im preisgekrönten Roman »Le Rendez-Vous des Etrangers« (1956). Elsa Triolet selbst, die »schöne Fremde«, fühlte sich einsam und ausgestoßen: als Ausländerin, als verdächtigte Kommunistin, als Künstlerin und als Liebende. »Die Einsamkeit ist nicht das große Thema meiner Bücher, sie ist es in meinem Leben.« In »Das Monument« (1957) kritisierte sie den Stalinismus und den sozialistischen Realismus in der Kunst. Nach den erbitterten politischen Auseinandersetzungen des Kalten Krieges zog sich die Schriftstellerin, gesundheitlich angeschlagen, des öfteren in ihr Landhaus zurück, eine alten Mühle im Rambouillet-Wald westlich von Paris. Dort wandte sie sich in den 60er Jahren neuen Romanen zu, näherte sich dem Nouveau Roman an. So in der Trilogie »Das Nylon-Zeitalter«, eine Anspielung an Sartres »Zeitalter der Vernunft«, in der die Verwahrlosung der Menschen unter dem Terror der Konsumgesellschaft beschrieben wird. In »Das große Nimmermehr« (1965), den humorvollen Betrachtungen eines toten Historikers, der sein eigenes Begräbnis beschreibt, geht es um die Zeitlichkeit der Liebe, um Lüge und Fälschung, um die Unmöglichkeit der historischen Wahrheit.
Aus dem Leben gerissen wurde Elsa Triolet im Juni 1970, zwölf Jahre vor Aragon, müde des Lebens. Im selben Jahr hatte die alte Dame mit hochgeschlossener Bluse und strengem Knoten ihren letzten Roman geschrieben. »Die Nachtigall verstummt im Morgengrauen« - eine Art Schwanengesang.
Frankreich heute: Schlendern im winterlichen Park der Alten Mühle im Rambouillet-Wald, und dort am Grab des Schriftstellerpaars unter den Buchen die Ruhe genießen, rumwühlen in der Montparnasse-FNAC-Riesenbuchhandlung bei den Taschenbüchern und bei der Triolet-Suche mehrmals fündig sein, an Theaterplakaten mit der Ankündigung »Zwei Schwestern« vorbeispazieren: Elsa Triolet ist präsent. »Eine Schriftstellerin der Phantasie«, schrieb seinerzeit Albert Camus, »etwas sehr Seltenes in Frankreich«.

Werke von Elsa Triolet bei Edition Ebersbach: Colliers de Paris (152 S., geb., 14 EUR); Die Frau mit dem Diamanten (87S., geb., 13 EUR); Die Frau im Netz / Die Betrogenen (11S., geb., 14 EUR).
Susanne Nadolny: Elsa Triolet. Eine biografische und literarische Collage. Edition Ebersbach, 166S., geb., 40 EUR).

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