Der gute Ton
Mittag? Hans-Jürgen? Müsste man den kennen? Nein, auch wenn man seine Arbeit in der DDR bei jedem Kinobesuch zur Kenntnis nehmen konnte. Hans-Jürgen Mittag legte über Jahrzehnte letzte Hand an die DEFA-Wochenschau »Der Augenzeuge«. Als Mischtonmeister. Auch bei zahllosen Dokumentarfilmen.
Der Mann ist unter Kollegen eine Legende. Und die meinen, wenn Schauspielern und Regisseuren in der Presse unter Umständen bereits zum Sechzigsten gratuliert wird, dann hätte es einer aus den hinteren Reihen des Metiers spätestens mit neunzig verdient. Wenn er schon diesen Geburtstag erlebt. Filme sind bekanntlich Gemeinschaftsleistung eines mehr oder weniger großen Orchesters. Und da spielt der Mann am Mischpult nicht die letzte Geige. Wenn in einem perfekten Gesamtklang aufgehen soll, was Rechercheure, Autoren, Kameraleute, Schnittmeister, Texter, Sprecher, Komponisten, Musiker und viele technische Mitarbeiter in langer Arbeit beisteuerten, bedarf es eines sehr erfahrenen Dirigenten, der, ohne selbst viel Zeit für Proben zu haben, zuletzt das Beste aus allem macht. Darauf kam es in den großen Zeiten des »Augenzeugen« ein Mal – einige Jahre lang sogar zwei Mal die Woche – an. Da musste bei der Mannschaft im Atelier jeder Handschlag sitzen, um im organisatorischen Takt zu bleiben und die Nachrichten aus aller Welt bereits in der gleichen Woche in Hunderte von Kinos in der DDR bringen zu können. Das Fernsehen war noch kein Konkurrent.
Mittag saß in der Drei, dem Atelier im 3. Stock des DEFA-Dokumentarfilmstudios in der Berliner Otto-Nuschke-Straße 32, jetzt wieder Jägerstraße. Und er war eine Instanz. An einem Mischpult, das nach heutigen Maßstäben so weit entfernt war wie die Steinzeit von der Raumfahrt, rang er mit den Einspielbändern sehr verschiedener Regisseure und ihren Filmen um das jeweilige Optimum. Höhepunkte in der Arbeit: wenn er eigene Töne mischen konnte, weil er mit am Drehort war – in Ägypten, Tunesien, Vietnam, Kuba.
Die Filme, darunter wichtige, große Zeitdokumente, teilen heute vielfach das Schicksal ihrer Macher. Sie sind so gut wie vergessen. »Lebensläufe – Die Kinder von Golzow« (1980/81) ist eine der Ausnahmen von der Regel. Und so kommt dieser Glückwunsch von unsereinem.
Ein anderer abendfüllender Film, dem Hans-Jürgen Mittag seine Handschrift gab, aber dem das Schicksal nicht so gnädig war, ist am Donnerstag, dem 11. Dezember um 10.30 Uhr im Kino »Union« in Berlin-Friedrichshagen in seinem Beisein wiederzusehen: »China – Land zwischen gestern und morgen« (1956). Kamera und Koregie Joop Huisken, früherer Mitarbeiter von Joris Ivens, dem Pionier des politisch-sozialen Dokumentarfilms. Auch zwei dieser Namen, die nicht vergessen sein sollten.
Heute feiert Hans-Jürgen Mittag seinen Neunzigsten. Und fände das ND es nicht erwähnenswert, welche Zeitung dann? Die ihn kannten und sich freuen, ihn noch immer unter sich zu wissen, gratulieren, danken und wünschen einem verdienten Kollegen, der sich heute mit dem Computer fit hält, Zufriedenheit, Zuversicht und bestmögliche Gesundheit.
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