Fantasievolle Läuterung

»Eine Weihnachtsgeschichte« von Reiner Feistel in Radebeul

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.
Fantasievolle Läuterung

Nach fast zwei Stunden harter Arbeit der drei Weihnachtsgeister ist das Läuterungswerk vollbracht: Der Halsabschneider Scrooge hat sich vom Misanthropen zum Menschenfreund gewandelt und verteilt an die ehemals aus seinem Kontor komplimentierten Bedürftigen, was die Geldschatulle hergibt. Sogar seine in der Jugend verekelte Braut ist noch für ihn frei. Das wird auf dem häusergesäumten, sternbesäten Stadtplatz, wie ihn Stefan Wiel zauberhaft blau malen und bis zum Proszenium vorziehen ließ, vor Karussell, Riesenrad und Naschbude von den 13 Mitwirkenden gebührend gefeiert.

So tröstlich enden Stücke vorm Fest. Eine starke Vorlage hat sich Reiner Feistel allerdings auch für seine Radebeuler Premiere ausgesucht: Charles Dickens' »Eine Weihnachtsgeschichte« von 1843, als turbulentes Ballett schon von Youri Vámos bekannt. Feistels Fassung für die Landesbühnen Sachsen setzt auf Stimmung, Verwandlung, Farblicht und rückt den geizigen, dann seelisch veredelten Geschäftsmann ins Zentrum.

Schnee vom Video fällt, als eine Stimme die Story für die Kleinsten vorerzählt. Aus dem Stand beleben sich Figuren zu fröhlich flüssigem Tanz. Nur wenn Scrooge zu Zaubergeklimper sein Geld zählt, frösteln alle, besonders Sekretär Bob, weil es im Kontor so kalt ist, dass schon Eiszapfen hängen. Wie variantenreich hinterhältig Scrooge nacheinander Notleidende ohne Gabe abspeist, da er so arm ist, steht als Kabinettstück an durchdachter Charakterzeichnung in Geste und Tanz. Feistel selbst, lange Jahre führender Solist in Dresden, brilliert wegen Erkrankung seines Protagonisten in diesem Part, bringt Reife als Mensch wie als Bühnendarsteller ein, macht auch Tragik sichtbar.

Froh ist der Griesgram erst, als er sein Geld gerettet weiß und sich nach einem dahinfliegenden Solo mit zeitgemäßer Bewegungssprache zur Ruhe bettet. Damit jedoch beginnt die Unruhe. Denn sein verstorbener Teilhaber entsteigt wie Frankenstein dem Gemälde, rasselt mit den Ketten des Schuldbeladenen, mahnt zur Besserung. Öffne dein Herz, dröhnt nach dem gemeinsamen Duett seine Stimme.

Das sollen drei Wesen besorgen. Der Geist der vergangenen Weihnacht führt Scrooge die Kindheit vor Augen: wie niemand mit ihm spielen will und der Alte sein jugendliches Alter ego tröstend umfangen möchte; wie er der Liebsten den Verlobungsring wieder abluchst und sie verliert. Der Geist der gegenwärtigen Weihnacht zaubert drei Kitschengel herbei, die den Geizhals witzig drängen, seinen armen Sekretär mit dem kranken Kind zu bescheren. Bevor Scrooge ins alte Klischee abrutschen kann, ängstigt ihn der Geist der zukünftigen Weihnacht als Sensenmann mit einer Beerdigungsvision. Fast gerät diese Szene zu dramatisch für Kinder. Auf Scrooge hat sie indes genau die rechte Wirkung. Als er erwacht und merkt, dass sein Herz noch pocht, öffnet er Tür und Fenster, verteilt Gaben, und als er der Ex seine Liebe gesteht, flackert Feuer im Kamin auf.

So erzählt es die Choreografie stringent und mit dich ausmodelliertem, bisweilen groteskem Tanz. Alles entwickelt sich aus dem Spiel, nirgends verselbstständigt sich Bewegung zu leerer Virtuosität. Musik von Hans-Peter Preu, Radebeuls 1. Kapellmeister, Filmkompositionen von John Williams, Ausschnitte aus Rachel Portmans Dickens-Musical »Oliver Twist« sowie, von den Kindern gleich mitgesungen, Weihnachtslieder mit Matthias Freihof kolorieren ein atmosphärisches Festballett in der Gewandung der Dickens-Ära.

Auch wenn Feistel, gerade mit dem Radebeuler Kunstpreis geehrt, als Scrooge dominiert, fallen zumindest Norbert Kegel als Bob und Christian Schreier als jungem Scrooge prägnante Rollen zu.

Nächste Vorstellungen: heute, am 9., 10., 12., 17., 18., 21. und 23.12. in Radebeul, am 7.12. in Bad Elster, am 26.12. in Großenhain und am 27.12. in Bernburg

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -