Zwischen »Change« und Demokratieverlust
Auf dem »15. Friedensratschlag« in Kassel diskutierte man über Barack Obama und die Finanzkrise
Die internationale Politik streitet gegenwärtig intensiv über zwei Fragen: Wie ist der schwersten Finanzkrise seit rund siebzig Jahren beizukommen? Und welche Politik wird die USA unter dem künftigen Präsidenten Barack Obama verfolgen? Der »15. Friedensratschlag« bildete da keine Ausnahme. Unter dem Motto: »Die Welt nach Bush. Friedlicher? Gerechter? Ökologischer?«, diskutierten rund 400 Interessierte in der Kasseler Universität. Dabei kamen besonders unterschiedliche Ansichten über die künftige US-Außenpolitik zum Ausdruck.
Ekkehart Krippendorff, emeritierter Professor für Internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin, äußerte sich geradezu euphorisch über den zukünftigen US-Präsidenten. Er unterstrich in seinem Plenarvortrag die »kulturelle Erfahrung« Obamas, die er durch die kenianische Herkunft seines Vaters und das Aufwachsen in Indonesien gesammelt hätte. Der Bezug Obamas zu der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung während des Wahlkampfes zeige Parallelen zu dem schwarzen Bürgerrechtler Martin Luther King und verdeutliche, dass sich in den USA etwas einmalig Neues ereignet habe, so Krippendorff.
Diesen Optimismus konnte viele Friedensaktivisten nicht teilen: Sie störten das Referat Krippendorffs mit Zwischenrufen und zum Teil abfälligen Kommentaren. Norman Paech, Mitglied der Linksfraktion im Bundestag und schon im vergangenen Jahr Gast auf dem Kasseler Friedensratschlag, widersprach dem Berliner Politikwissenschaftler. Paech prognostizierte eine Kontinuität von der Bush-Administration zu Barack Obama. Diese zeige sich unter anderem in dem Umgang mit Iran, dem die aktuelle und voraussichtlich auch die künftige US-Regierung »mit Zuckerbrot und Peitsche« – sprich Sanktionen und Verhandlungen – begegne bzw. begegnen werde. Doch Paech streifte das Thema Obama in seinem Vortrag nur am Rande. Er kritisierte die NATO und deren »Drang nach Osten«. Paech warf der internationalen Politik vor, sie lasse angesichts gigantischer Rüstungsausgaben die Forderung nach Abrüstung zu einer »leeren Worthülse« verkommen und bezeichnete die Beziehungen zwischen USA und Europäischer Union als »Vasallenverhältnis«. Dafür gab es deutlich mehr Applaus vom Publikum. Der Marburger Politikwissenschaftler Frank Deppe führte die Gedanken von Paech am frühen Sonntagmorgen indirekt weiter. Er konstatierte eine Machtverschiebung zuungunsten der Vereinigten Staaten sowie ein Ende der US-amerikanischen Hegemonialpolitik. Denn mit China, Indien, Russland und den progressiven Staaten in Lateinamerika hätten sich in der internationalen Politik neue Pole entwickelt, die auf eine Rückkehr zum Multilateralismus hindeuten, so Deppe. Gleichzeitig aber steige das Risiko einer zwischenimperialistischen Konkurrenz. Der zurückliegende Krieg in Georgien zeige erste Tendenzen einer Konkurrenz zwischen dem wiedererstarkten Russland und den Vereinigten Staaten. Das gut vorgetragene Referat Deppes war sicherlich ein Highlight des diesjährigen Ratschlags.
Die Finanzkrise leicht verständlich zu erklären, war auch in Kassel eine Herausforderung, die aber von Rudolf Hickel und Leo Meyer am ersten Kongresstag gemeistert wurde. Hickel, Wirtschaftswissenschaftler aus Bremen und Gründungsmitglied der Gruppe Alternative Wirtschaftspolitik, benannte die aus seiner Sicht relevanten Gründe der Krise: Die Entkopplung der Finanzmärkte von der realen Produktion, die Kapitalmachtkonzentration auf den Finanzmärkten sowie die Umverteilung von Kapital zu Lasten der lohnabhängig Beschäftigten.
Meyer, Mitarbeiter des Instituts sozial-ökologischer Wirtschaftsforschung (isw), konstatierte nicht nur das Fehlen jeglicher Manager-ethik, sondern kritisierte auch die Reaktion der Bundesregierung auf die Krise. Sie zeige nach seiner Auffassung einen »Verlust von Demokratie«. Da wurde monatelang über eine karge Rentenerhöhung von zehn Euro debattiert, während man das milliardenschwere Rettungspaket für die Banken quasi »übers Wochenende« abnickte.
Wie die vergangenen Jahre lebte der Friedenspolitische Ratschlag in Kassel von den Diskussionen in den etwa 30 Arbeitsgruppen und Workshops. Und man darf bereits auf den 16. Ratschlag im nächsten Jahr gespannt sein. Dann wird wohl auch die Frage geklärt sein, ob Obama wirklich das erhoffte »Change« der US-amerikanischen Außenpolitik anstrebt. Am Wochenende zeigte sich die überwältigende Mehrheit der Aktivisten noch skeptisch.
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