• Politik
  • Die 74. Grüne Woche öffnet am Freitag ihre Pforten

Jammern auf hohem Niveau

Deutsche Ernährungsindustrie sieht sich als Opfer der Discounter und will Exportgeschäft ausbauen

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 4 Min.
Noch wird in den Berliner Messehallen gehämmert und geschraubt. Ab Freitag locken dann 1600 Aussteller aus 56 Ländern zu einer »internationalen Schlemmertour«. Bauernverband und Lebensmittelindustrie nutzten die Ruhe im Vorfeld der Messe, um auf einer Pressekonferenz Bilanz zu ziehen.

Neben Bauernpräsident Gerd Sonnleitner saß auch der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), Jürgen Abraham, auf dem Podium im Pressezentrum der Grünen Woche. Messegeschäftsführer Christian Göke betonte in seiner Eröffnungsrede, dass die Grüne Woche vom Image einer reinen Produktmesse weg wolle. Man sei sich der politischen Dimension bewusst, so Göke, deshalb werden am Rande der Messe rund 1000 Agrarexperten aus aller Welt »globale Lösungsstrategien« diskutieren. Neben mehr als 30 Agrarministern erwarte man auch den russischen Premier Wladimir Putin. Gerd Sonnleitner ging auf die Probleme seiner Verbandsmitglieder ein. Auch sie seien von den Auswirkungen der Finanzkrise betroffen, allerdings nicht so stark wie »Banken oder die Automobilindustrie«. Deutschlands mächtigster Landwirt konnte mit beeindruckenden Zahlen aufwarten: So seien im letzten Jahr landwirtschaftliche Produkte im Rekordwert von 53 Milliarden Euro ausgeführt worden. Dem stehen Importe für etwa 63 Milliarden Euro entgegen. Somit weist die Handelsbilanz noch ein Defizit aus. Doch Sonnleitner gab sich optimistisch, dass deutsche Bauern auf dem Weg zu »dauerhaften Nettoexporteuren« seien.

Dabei verschwieg der Präsident, dass die billigen und hoch subventionierten Produkte »Made in Germany« den Bauern in Osteuropa und Afrika schon jetzt zu schaffen machen. Obwohl es in diesem Preiskampf offensichtlich keine Gewinner gibt. Denn auch die hiesigen Landwirte könnten von den derzeitigen Erzeugerpreisen für Milch, Schweinefleisch und Getreide »auf Dauer nicht überleben«, warnte Sonnleitner. Doch wer profitiert vom Preisdumping? Natürlich die deutschen Lebensmitteldiscounter wie Lidl und Aldi. Die zunehmende Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel bereite auch der Ernährungsindustrie große Sorge, meinte der BVE-Vorsitzende Jürgen Abraham. Seine Branche erwirtschaftete im letzten Jahr einen Umsatz von 155 Milliarden Euro, doch die Wachstumsmärkte liegen außerhalb Deutschlands. Hierzulande stagniere das Geschäft zusehends, da fünf große Lebensmittelhändler bereits 75 Prozent des Marktes kontrollierten. Abraham empfahl der Ernährungsindustrie deshalb, »ihr Auslandsgeschäft auszubauen«. Für den deutschen Konsumenten wäre der verschärfte Preiskampf jedoch von Vorteil, so Abraham, denn der Preisanstieg bei Lebensmitteln sei gestoppt.

Der Industrie-Lobbyist nutzte die Gelegenheit und machte Stimmung gegen die viel diskutierte Kennzeichnung von Lebensmitteln: »Wir brauchen weniger Kontrollen und auch keine Ampel.« Damit spielte er auf die Forderungen von Verbraucherschützern an, die sich für ein besseres Kennzeichnungssystem für Lebensmittel stark machen. So sollen Konsumenten auf einen Blick erkennen, wie viel Zucker, Fett und Salz ein Produkt enthält. Oftmals werben die Hersteller mit der angeblich gesundheitsfördernden Wirkung ihrer Cornflakes oder Kinder-Riegel. Diese stark zuckerhaltigen Produkte haben für die Konzerne vor allem einen Vorteil: Sie sind billig in der Herstellung.

Jürgen Abraham zeigte sich auch besorgt über die Pläne der Drogenbeauftragten Sabine Bätzing, zukünftig stärker gegen den Alkoholmissbrauch von Kindern und Jugendlichen vorzugehen. Es sei nicht Aufgabe des Staates, »auf eine Senkung des Alkoholkonsums insgesamt hinzuwirken«. Zwar bereite der steigende Alkoholkonsum unter Kindern und Jugendlichen auch der Brau- und Spirituosenindustrie Sorge, doch die geplante Einschränkung der Werbung für alkoholhaltige Getränke helfe den Betroffenen nicht, ist sich Abraham sicher.

Auf der Grünen Woche dürfen Deutschlands Brauer jedenfalls nach Herzenslust um die Gunst der etwa 400 000 Besucher buhlen.


Zahlen & Fakten

Es ist bereits die 74. Grüne Woche, die vom 16. bis 25. Januar auf dem Berliner Messegelände stattfindet. Die erste Veranstaltung gab es bereits 1926. Heute gilt die Grüne Woche als wichtigste internationale Leistungsschau der Ernährungs- und Landwirtschaft sowie des Gartenbaus. Hersteller und Vermarkter aus aller Welt präsentieren sich Fachbesuchern und dem allgemeinen Publikum.

Begleitet wird die Mega-Ausstellung von einem breiten Rahmenprogramm mit Symposien, Seminaren, Kongressen und Ausschusssitzungen. Zudem gibt es Kongressforen zu speziellen Themen. So steht der 22. Januar ganz im Zeichen der Agrar- und Verbraucherschutzpolitik. Der 23. Januar ist der Tag des Ökologischen Landbaus. Für den 17. Januar wird zu einer Internationalen Agrarministerkonferenz (11 Uhr) geladen.

Die Grüne Woche verteilt sich über das gesamte Messegelände. Bei Besuchern besonders beliebt war in den vergangenen Jahren der ErlebnisBauernhof (Halle 3.2). Tierschauen von Kaltblutpferden und gefährdeten Nutztierarten gibt es in Halle 25. Die Fach- und Informationsschau Heim-Tier & Pflanze findet sich in Halle 1.2. In der Halle 4.2 werden die Möglichkeiten nachwachsender Rohstoffe als Energieträger präsentiert. Hobbygärtnern gehört die Halle 9a. Das fachliche Begleitprogramm der Messe findet vor allem im Internationalen Congress-Centrum statt.

Öffnungszeiten der Grünen Woche sind täglich von 10 bis 19 Uhr, am zweiten Freitag bis 21 Uhr.

Preise: Die Tageskarte kostet 12 Euro (ermäßigt 7 Euro). Eventuell günstiger kommt die Familienkarte (maximal zwei Erwachsene und drei Kinder bis 14 Jahre) für 25 Euro. Ab 15 Uhr ist der Eintritt verbilligt (7 Euro). Wer sich gar nicht mehr losreißen kann, kauft sich eine Dauerkarte für 35 Euro. ND

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