Direkter Draht ins Hirn

Pheromone und Düfte steuern nicht nur bei Tieren das Verhalten

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer im Hochsommer in der Hauptverkehrszeit mit der Bahn fährt, kennt das: Eine Wolke von Gerüchen bedrängt die Nase. Das reicht vom Schweißgeruch über den Knoblauch des Mittagessens bis hin zu Deo und Parfüm. In dieser Situation wünscht man sich oft, ohne Nase durchs Leben zu gehen, und versteht das böse Verdikt des Philosophen Immanuel Kant, dass der Geruchssinn der »undankbarste« und »entbehrlichste« aller Sinne sei. Dieser Sinn, so klagt er in seiner »Anthropologie in pragmatischer Hinsicht«, sei »der Freiheit zuwider«, weil er einen ungefragt zwinge, Gerüche wahrzunehmen.

Tatsächlich ist der Geruchssinn mächtiger als das Auge oder Ohr, denn die Millionen Sinneszellen der Riechschleimhaut haben anders als die übrigen Sinne direkten Zugang zum Gehirn, beispielsweise zum sogenannten Mandelkern (Amygdala). Dieser nussgroße Teil des Gehirns, so erläutert der Geruchsforscher Hanns Hatt von der Bochumer Ruhruniversität in dem neuen Buch »Das Maiglöckchen-Phänomen«, kann »blitzschnell reagieren, wenn ein Duftreiz ankommt, sodass wir Angst oder Erregung empfinden, noch ehe wir wissen, wie uns geschieht«.

Solche unvermittelten, durch unseren Verstand kaum kontrollierbaren Reaktionen kennen wir sonst eher aus dem Tierreich. Auch dort ist in der Regel der Geruchssinn oder ein ähnlich aufgebautes chemisches Signalsystem an entsprechenden Reaktionen beteiligt. Am wichtigsten hierbei sind die sogenannten Pheromone. So benannten vor 50 Jahren in einer Veröffentlichung im britischen Fachjournal »Nature« der deutsche Biochemiker Peter Karlson und der Schweizer Zoologe Martin Lüscher eine kurz zuvor von dem Chemie-Nobelpreis-Träger Adolf Butenandt nachgewiesene Klasse von Botenstoffen. Pheromone, so schrieben sie damals, sind »Substanzen, die von einem Individuum nach außen abgegeben werden und bei einem anderen Individuum der gleichen Art spezifische Reaktionen auslösen«. Butenandt hatte eine solche Substanz, den Sexuallockstoff Bombykol aus 500 000 weiblichen Seidenspinnern (Bombyx mori) isoliert, den Stoff analysiert und seine Wirkung an männlichen Seidenspinnern erfolgreich nachgewiesen. Seither wurden bei einer Vielzahl von Insekten Pheromone gefunden, manche davon werden heute auch bei der Schädlingsbekämpfung genutzt, um beispielsweise Borkenkäfer oder Traubenwickler von der Vermehrung abzuhalten.

Karlson und Lüscher hatten vermutet, dass nicht nur Insekten Pheromone benutzen würden. Immerhin waren schon die ersten Meerestiere auf ein verlässliches Signalsystem angewiesen, um in der Weite des Ozeans Partner zur Paarung zu finden. Dafür eignet sich ein chemischer Sinn, der exakt auf spezielle Moleküle reagiert, hervorragend. Bereits die Eizellen der Seeigel benutzen einen Botenstoff, um die Spermien zu sich zu locken, ein System, das sich auch außerhalb des Meeres gehalten hat. Wie nämlich die Forschungsgruppe von Hanns Hatt vor einigen Jahren herausfand, werden menschliche Spermien auf dem Weg zur Eizelle von einer Art Maiglöckchenduft angelockt.

Darüber, ob Wirbeltiere oder gar der Mensch tatsächlich Pheromone besitzen und wahrnehmen, sind sich die Forscher weit weniger einig. Zahlreiche Zoologen lehnen die Verwendung des Begriffs Pheromon für die Säugetiere ganz ab. Sie vertreten den Standpunkt, dass bei Säugern die Reaktion auf bestimmte individuelle Duftstoffe erlernt sei und deshalb nicht zur Pheromondefinition passe. Der Zoologe Tristram D. Wyatt von der Universität Oxford unterscheidet in einem Essay im aktuellen Heft von »Nature« (Bd. 457, S. 262) bei Säugetieren zwischen Pheromonen und »Signaturdüften«. Für Hatt ist es offenbar auch keine Frage: Säugetiere benutzen das Pheromonsystem ebenfalls. In seinem Buch nennt er durchaus schlüssige Beispiele wie etwa das Androstenon des Ebers, mit dem er bei der Sau die sogenannte Duldungsstarre auslöst (und die das Fleisch von Ebern ziemlich übelriechend macht). Die Substanz hat sich inzwischen als »Dosen-Eber« bei der künstlichen Besamung unentbehrlich gemacht. Pheromone sorgen auch bei den Nacktmullen für die ameisenähnliche soziale Hierarchie im unterirdischen Bau.

Ob es allerdings auch beim Menschen ganz so einfach zugeht, ist noch offen. Das bei einigen anderen Säugetieren für die Wahrnehmung von Pheromonen zuständige Vomeronasalorgan (VNO) konnte zwar vor einigen Jahren von Volker Jahnke und Hans-Joachim Meisner auch bei Menschen identifiziert werden. Es zeigte sich aber, dass der verkümmerte Schlauch in der Nase bei den untersuchten 14 Patienten nur noch eine Art abgeschaltetes Relikt ist.

Aber womöglich hat sich die Natur da gar nicht so festgelegt. Selbst bei Mäusen, wo das VNO hochsensibel funktioniert, fanden US-Forscher vor sechs Jahren, dass das Fortpflanzungsverhalten auch bei defekter Riechschleimhaut und intaktem VNO gestört wurde. Auch das Androstenon beim Schwein und das Pheromon, das Kaninchenbabys die Zitzen finden lässt, werden mit der Nase wahrgenommen, nicht mit dem VNO. Beim Menschen sind fünf Pheromonrezeptoren vorhanden. Bleibt die Frage, ob sie irgendwo eine Funktion haben. Hirnuntersuchungen, die Hatts Team gemeinsam mit Thomas Hummel von der Dresdner Uni-Klinik machte, belegen, dass wenigstens ein Teil davon in der Riechschleimhaut aktiv ist. Und kaum weniger wichtig: Die Zersetzungsprodukte aus dem Urin und Stoffe dem Immunsystem enthalten wichtige genetische Informationen für die Partnerwahl. Diese werden sowohl von Geruchsrezeptoren als auch von Pheromonrezeptoren registriert. Ob es allerdings jemals zum funktionierenden Pheromon-Parfüm reichen wird, da ist auch Hatt skeptisch.

Zum Weiterlesen: Hanns Hatt, Regine Dee: Das Maiglöckchen-Phänomen. Alles über das Riechen und wie es unser Leben bestimmt. Piper, geb., 317 S., 19,90 EUR.

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