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Auf den Spuren des Quecksilbers
Der Goldrausch im Amazonasgebiet befördert den illegalen Handel mit dem Schwermetall
Vergangenen Juni entdeckten peruanische Zollbeamte vier Tonnen aus Mexiko geschmuggeltes Quecksilber in einem Frachtschiff mit Ziel Bolivien. Es war die bisher größte jemals in einem Amazonasstaat beschlagnahmte Ladung des hochgiftigen, silbrig glänzenden Flüssigmetalls. Und doch war es nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ausgelöst von hohen Edelmetallpreisen erlebt Amazonien seit zwei Jahrzehnten einen grenzüberschreitenden Goldrausch, der auch Handel und Schmuggel von Quecksilber vervielfacht hat. Legale und illegale Goldschürfer nutzen das Schwermetall, um feine Goldpartikel aus den Flusssedimenten zu binden. Große Mengen des als Nervengift geltenden Schwermetalls gelangen bei dieser Art der Goldgewinnung in die Umwelt und belasten Luft, Boden und Gewässer.
Eine im vergangenen Juli im medizinischen Fachjournal »Annals of Global Health« veröffentlichte Studie eines internationalen Wissenschaftlerteams zeigt alarmierend hohe Quecksilberkonzentrationen sowohl in Fischen als auch in der lokalen Bevölkerung mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen in den von Goldschürfern betroffenen Amazonasgebieten von Brasilien, Kolumbien und Peru.
Die Forscher bezeichnen die Quecksilberkontamination insbesondere für die indigenen Völker als »zunehmend besorgniserregend«. Die höchste, mit Gesundheitsschäden verbundene Belastung fanden sie bei den Indigenen des kolumbianischen Yaigojé Apaporis-Nationalparks an der Grenze zu Brasilien. Die Indigenen zeigten Quecksilberwerte im Haar von durchschnittlich 23 µg/g, weit über dem vom Forschungsrat der Vereinigten Staaten festgelegten Grenzwert von lediglich 1 μg/g.
Es bestehe »dringender politischer Handlungsbedarf, insbesondere da die Quecksilberverschmutzung durch die weltweite Nachfrage nach Gold vorangetrieben wird – einem Metall mit begrenztem praktischem Nutzen, dessen Hauptfunktion darin besteht, Vermögen in Banken und Tresoren anzuhäufen. Ganze Ökosysteme und indigene Bevölkerungen werden für eine Handelsware geopfert, die der Menschheit keinen wesentlichen Nutzen bringt.«
Laut einem aktuellen Bericht der Nichtregierungsorganisation Environmental Investigation Agency (EIA) wurden vom April 2019 bis Juni 2025 mehr als 200 Tonnen Quecksilber aus den mexikanischen Minen nach Bolivien, Kolumbien und Peru geschmuggelt. Die EIA schätzt, dass mit dieser Quecksilbermenge in Amazonien »illegales« Gold im Wert von mindestens 8 Milliarden US-Dollar geschürft wurde. Aufgrund des weiter steigenden Goldpreises habe der Quecksilberpreis in diesem Jahr ein neues Rekordniveau von 330 US-Dollar pro Kilogramm erreicht und damit in Mexiko ein neues »Quecksilberfieber« ausgelöst.
Große Mengen des Nervengifts gelangen in die Umwelt.
Offiziellen Daten aus Mexiko zufolge exportierte das Land zwischen 2009 und 2021 insgesamt 740 Tonnen Quecksilber hauptsächlich zur Goldgewinnung nach Bolivien, 429 Tonnen nach Peru und 466 Tonnen nach Kolumbien. Aus diesen Ländern bringen es Schmuggler auch in legale und illegale Goldgräbercamps in Brasilien.
Auch das Institut Escolas aus São Paulo bescheinigt einen schwunghaften Quecksilberschmuggel im Amazonasgebiet vor allem von Bolivien nach Brasilien. Einer 2024 veröffentlichten Untersuchung des Instituts zufolge förderten allein die legalisierten, also staatlich erlaubten Goldminen zwischen 2018 und 2022 rund 127 Tonnen des Edelmetalls. Die Goldschürfer verbrauchten dabei zwischen 165 und 254 Tonnen Quecksilber. Doch offiziell importierte Brasilien in diesem Zeitraum lediglich 68,7 Tonnen. Dies zeige, dass zwischen 96 und 185 Tonnen Quecksilber möglicherweise illegalen Ursprungs waren.
Die Verlagerung zum geschmuggelten Quecksilber mag daran liegen, dass es nur halb so teuer ist wie legal gehandeltes. Außerdem braucht es keine umständliche Genehmigung der Umweltbehörde.
Ein weiterer deutlicher Hinweis auf einen zunehmenden Quecksilberschmuggel sei die drastische Zunahme von Goldexporten und Abbaufläche in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Brasilien bei gleichzeitigem Rückgang der offiziellen Quecksilberimporte. Zwischen 2002 und 2022 vervielfachten sich die »legalen« brasilianischen Goldexporte von 35 Tonnen auf 96 Tonnen pro Jahr und die Gesamtfläche der legalen Goldminen im Amazonasgebiet von 68 000 Hektar auf 224 000 Hektar.
Außerdem nahm auch der illegale Goldabbau in Schutzgebieten und indigenen Reservaten im brasilianischen Amazonasgebiet drastisch zu. Daten des wissenschaftlichen Netzwerks MapBiomas zufolge erhöhte sich die gesamte Fläche der illegalen Goldminen zwischen 2000 und 2022 von rund 4000 Hektar auf 36 000 Hektar. Die offiziellen Quecksilberimporte aber sanken von 67 Tonnen auf 15 Tonnen pro Jahr.
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Bolivien hat sich in diesem Zeitraum zum größten südamerikanischen Quecksilberimporteur aufgeschwungen. Zwischen 2018 und 2022 führte Brasiliens Nachbar 723 Tonnen Quecksilber hauptsächlich aus Mexiko, Russland und Tadschikistan ein, während es nur 196 Tonnen Gold exportierte. »Bolivien importierte also etwa zehnmal mehr Quecksilber als Brasilien, produzierte aber nur 1,5-mal mehr Gold«, so die Escolas-Studie. Es sei daher höchstwahrscheinlich, dass das meiste »bolivianische« Quecksilber illegal nach Brasilien gelangte.
Die internationale Minamata-Konvention zur Reduzierung der Verwendung von Quecksilber und zur Reduzierung der gefährlichen Quecksilberemissionen von 2013 erlaubt die Produktion des Metalls noch bis 2032.
In ihrem Bericht fordert die EIA hingegen eine umgehende Stilllegung der Minen in Mexiko: »Quecksilber sollte als das behandelt werden, was es ist: ein hochgiftiger Katalysator für damit zusammenhängende Verbrechen wie Menschenrechtsverletzungen, Waffenhandel, Drogenhandel und illegale Goldgewinnung.« Eine weitergehende Quecksilberproduktion in Mexiko bis 2032 werde tödliche Langzeitfolgen für Generationen haben.
Doch auch ein Stopp des mexikanischen Quecksilbers wird wahrscheinlich nur die Schmuggelrouten verlagern. Der weltweit größte Quecksilberproduzent ist China, gefolgt von Tadschikistan, das das Minamata-Übereinkommen noch nicht unterzeichnet hat.
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