»Nevermore«

Zum 200. Geburtstag von E. A. Poe

  • Klaus Walther
  • Lesedauer: 4 Min.

Natürlich ist er nicht nur der Erfinder der Detektivgeschichte, sondern vielleicht der bedeutendste Schriftsteller in den Gründerzeiten der amerikanischen Literatur. Man weiß ebenso viel über ihn, wie man nicht weiß. Man hat dicke Bücher über ihn geschrieben, und doch bleiben Rätsel, die mit seiner Herkunft beginnen und mit seinem Tod enden.

Edgar Allan Poe, geboren am 19. Januar 1809 in Boston, ist eine Gestalt zwischen Fantasie und Wirklichkeit. So auch seine Literatur. Da sind die merkwürdigen Geschichten, die das Grauen beschwören, wie auch sein berühmtes Gedicht »Der Rabe«, das mit seiner Schlusszeile »Nevermore« so etwas wie ein Schlüsselwort der literarischen Moderne bietet. Solche Romantik der Angst und des Grauens setzt sich fort in etlichen seiner Prosatexte, wie in »Die Abenteuer des Gordon Pym«, die man als Abenteuergeschichte lesen kann, aber zugleich ist es auch eine Metapher für die Einsamkeit des Menschen und die Undurchschaubarkeit der Welt. Seine Geschichten kommen allesamt aus der Isolierung und Vereinsamung des Autors Poe selbst.

Vor ein paar Jahren in New York wollte ich das Haus in der Bronx sehen, wo er die letzten Jahre seines kurzen Lebens verbrachte. Freilich war das mittlerweile nicht mehr freies Land, Stadtrand, wie zu seinen Lebzeiten. Das kleine weißgetünchte Holzhaus war längst von dem Moloch Großstadt eingeholt worden. Hier an der Ecke Kingsbridge Road und 192. Straße gab es noch ein paar Grasstücke, Bäume und eben diese letzte Bleibe, wo er wie in seinem ganzen Leben in Armut lebte. Ich war an diesem herbstlichen Nachmittag der einzige Besucher in den schmalen Museumsräumen, die ein Stück seines Lebens zeigten. Merkwürdig: Während hierzulande die Großen der Literatur kaum unter Besuchernot leiden, man denke an Weimar oder Marbach, war dort niemand, der sich für diesen Autor interessierte.

Aber die Amerikaner und nicht nur sie begegnen ihm ja Tag für Tag in den Detektivstücken des Fernsehens. Denn, wie gesagt, Poe hat die Detektivstory in ihrer ursprünglichen Gestalt erfunden. Als im April 1841 in Graham’s Magazin die Geschichte »The Murder in the Rue Morgue« erschien, war damit ein neuer Literaturtyp entstanden, den der tschechische Schriftsteller Josef Skvorezky einmal das »Paradoxon des lebendigen Schematismus« nannte. Denn die Grundstruktur der Geschichte ist immer die gleiche: Ein Verbrechen geschieht, wer ist der Täter?

Arthur Conan Doyle, einer der erfolgreichen Nachfolger in diesem Genre, meinte: »Wenn jeder Autor, der ein Honorar für eine Geschichte erhält, die ihre Entstehung Poe verdankte, den Zehnten für ein Monument des Meisters abgeben müsste, dann ergäbe das eine Pyramide so hoch wie die von Cheops«. Nun, diese Pyramide gibt es nicht, aber Poes Werk wird immer wieder auf neue Weise entdeckt. Und nicht nur die strenge Logik der Detektivgeschichte verdankt sich ihm, so ist etwa seine Leistung als Literaturkritiker kaum bekannt, obwohl Hans Wollschläger und Arno Schmidt schon vor Jahren wichtige Teile dieses Werkes ins Deutsche übertrugen.

Doch mit seinen Kritiken schuf er sich kaum Freunde, wenn er etwa seine Kollegen charakterisierte: »Nun sind aber die populärsten, die erfolgreichsten Schriftsteller unter uns in neun und neunzig von hundert Fällen nichts, denn Leute von einiger Gewandtheit, der jedoch beharrlichste Unverschämtheit zu Hilfe kommt – mit einem Wort also, es sind geschäftige Nichtskönner, Speichellecker und Sudelköche ...« Hat solche Aussage nur historischen Wert oder wäre damit mancher heutige Schreiber aus den Bestseller-Listen auch zu charakterisieren?

Poe wäre übrigens wohl in der amerikanischen wie in der europäischen Literatur längst vergessen, hätte sich seiner nicht Baudelaire angenommen, der 1856 zwei Bände Erzählungen in französischer Übersetzung vorlegte. Von solcher Weiterwirkung, aber eben auch von dem armseligen Leben war etwas in diesem Holzhaus in der Bronx zu sehen. Und zwei Jahre, nachdem seine Frau hier gestorben war, fand man ihn am 3. Oktober 1849 in Baltimore in fremden Kleidern bewusstlos, ehe er vier Tage später im Washington College Hospital starb. Wie eine Ironie des Schicksals mutet es an, dass der Mann, der die Figur des Detektivs erfunden hat, einen Tod erlitt, dessen Umstände nie wirklich aufklärt wurden.

Edgar Allan Poe: Werke in vier Bänden. Insel Verlag. 4200 S., geb., 198 EUR.
Die schönsten Erzählungen. Aufbau-Verlag. 304 S., geb., 14,95 EUR.
Hans-Dieter Gelfert: Edgar Allan Poe. Am Rande des Malstroms. C. H. Beck. 249 S., geb., 19.90 EUR.
Simon Marsden: Das Reich des Grauens. Die Welt des E. A. Poe in Bildern und Texten. Eulen Verlag Freiburg, 136 S., geb., 26,40 EUR.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal