Reichenwalde im Osten Brandenburgs: Für die wohlbetuchten Sportler ist es ein Stück Nobel-Golfplatz. Für Helmut Kuley ist es Heimat, das Erbe seiner Mutter Johanna.
Seine Mutter hätte, sagt Kuley, den »Knüppel genommen, wenn jemand gekommen wäre, ihr das wegzunehmen. Ihres sind knapp fünfeinhalb Hektar, Land aus der Bodenreform, das sie nach dem Krieg erhalten, bebaut und später in die LPG eingebracht hatte - wie 210 000 andere Neubauern im Osten auch. Als Johanna Kuley 1983 starb, wurden Grund und Boden an den Sohn Helmut vererbt. Der 59-jährige Reichenwalder war seit 1956 Traktorist in der LPG »Neuer Tag«, fuhr später für den VEB Broilerproduktion. Als die Wende kam, hatte er gerade ein Häuschen für die Tochter gebaut. Groß war die Freude, dass die Mauer fiel. Aber es dauerte nicht lange, da musste das Haus, das auf Alteigentümergrund stand, verkauft werden. Die LPG überlebte nicht. 1992 wurde Kuleys Tochter arbeitslos, seit einiger Zeit ist es auch der Sohn. Die fünfeinhalb Hektar Bodenreformland - auf 60 Jahre an einen Golfplatzes verpachtet - könnten für ein Zubrot für die Familie sorgen.
Auch das hatten die Gesetzgeber in der letzten Volkskammer der DDR im Auge, als sie am 6. März 1990 das »Modrow-Gesetz« über die Rechte der Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform verabschiedeten. Die »Besitzwechselverordnung« der DDR verlor ihre Wirkung. Das Neubauernland sollte bei denen, die es noch hatten, und ihren Erben bleiben - als volles Privateigentum. Die West-Emissäre übernahmen diese Regelung nach gründlicher Prüfung ins bundesdeutsche Recht.
Zwei Jahre später wurde das DDR-Eigentumsgesetz auf den Kopf gestellt. Der juristische Coup koppelt den Besitz des Erbes aus der Bodenreform an eine eigene, mindestens zehnjährige Tätigkeit in der Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft der DDR, der bis zum Stichtag keine wesensfremde Tätigkeit gefolgt sein darf. Die Rechtsprechung verengt das zusätzlich auf eine LPG-Mitgliedschaft. »Heimlich, still und leise« sei das durchgezogen worden, erinnert sich Werner Döring vom Verein gegen die Abwicklung der Bodenreform e.V. in Sachsen Anhalt und findet die Neuinterpretation »unmoralisch und schäbig«. Jedes zehnte Boden-Erbe
verloren oder bedroht
Allein in Brandenburg wurden nach Angaben der PDS-Landtagsfraktion bis zum Jahr 2000 Tausende Grundbucheinträge für ungültig erklärt, in 1500 Fällen gab es eine Erlösauskehr von gesamt 40 Millionen Mark. In 14500 Fällen wurden insgesamt 27000 Hektar in Landeseigentum überführt. Damit hat jeder zehnte Erbe sein Eigentum verloren oder ist davon bedroht. In Sachsen Anhalt ist das kaum anders. Döring hat es am eigenen Leib erfahren und es sich zur Aufgabe gemacht, Opfern beizustehen, Parteien und Politiker zu informieren. Doch die erhoffte Unterstützung erhielt er bislang nur durch die PDS. Briefe an Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder bestätigten die ablehnende Haltung der SPD, die sich der Enteignungsmasche ihrer schwarzen Vorgängerregierung keineswegs schämt.
Helmut Kuley wurde 1998 schriftlich aufgefordert, dem Land Brandenburg unentgeltlich seinen Boden zu überlassen oder diesen »vorzugsweise« selbst zu kaufen, für 78000, später für 80000 Mark. Großzügigerweise wurde eine Ratenzahlung in Aussicht gestellt. Den Prozess gegen das Grundstücks- und Vermögensamt Frankfurt (Oder) vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) verlor Kuley ebenso wie die Berufung vor dem Oberlandesgericht. Der Bundesgerichtshof nahm die Revision gar nicht erst zur Entscheidung an. Kuleys Herz schlägt bedrohlich schnell, wenn er daran denkt. Während er im Krankenhaus lag, schlug seine Frau Marlies sich mit der Justiz herum. Der Rechtsstreit kostete die Familie zehntausende Mark. Vor einigen Tagen wurde die Zwangsvollstreckung angedroht. Ob der Antrag auf ein Absehen von Zwangsmaßnahmen durchkommt, wissen die Kuleys nicht. »Aber zu holen ist bei uns sowieso nischt mehr. Auch in unserem Häuschen sind wir bloß Mieter.« Marlies Kuley, die »den ganzen Papierkram macht«, hat in ihrer Not auch an Ministerpräsident Manfred Stolpe geschrieben. »Aber der hatte keine Zeit für uns.« Im Dorf wird über all das kaum gesprochen. Wen es erwischt hat und wen nicht, wissen die Kuleys nicht. Nur als Marlies auch im Fernsehen ihrem Ärger Luft machte, wurden Nachbarn aufmerksam. Die meisten in der 800-Seelen-Gemeinde, die kaum noch von Landwirtschaft lebt und nur über wenige kleine und mittlere Gewerbeunternehmen verfügt, haben scheinbar mit sich selbst zu tun. Auf wen sollten sie auch vertrauen? Der Bundesgerichtshof diffamierte das DDR-Eigentumsgesetz von 1990 als »gesetzgeberisches Versehen« - nur versehentlich hätten die Landleute demnach vollwertiges Eigentum an ihrem Boden erlangt. Das Bundesverfassungsgericht sah bei entsprechenden Vorlagen »keine verfassungsrechtliche Frage« berührt.
Von Gericht zu Gericht,
vom Regen in die Traufe
Im Fall von Helmut Kuley erscheint die Auslegung des Paragraphen geradezu hanebüchen. Denn Kuley war zweifellos in der Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft tätig. Dass der VEB Broilerproduktion, dem er 17 Jahre lang die Treue hielt, dem Ministerium für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft der DDR unterstand, hat ihm nicht nur der frühere Betriebsdirektor Rainer Pöschel schriftlich bescheinigt, sondern auch der ehemalige Landwirtschaftsminister Hans Watzek, der im Modrow-Kabinett von 1989 bis 1990 die Geschäfte führte. Von Kuley aber wird jetzt der Nachweis einer direkten Mitgliedschaft in der LPG verlangt. Was sollte der Berufskraftfahrer damit, wenn er Broilerkeulen und KIM-Eier fuhr?
»Wir haben uns ein Leben lang nichts zu Schulden kommen lassen, und jetzt gehts nur noch von Gericht zu Gericht, vom Regen in die Traufe«, meint Kuley erbittert. Trotzdem haben die Reichenwalder noch nicht die Hoffnung verloren. Gemeinsam mit der Rechtswissenschaftlerin und Anwältin Beate Grün wollen sie beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerde einlegen. Schließlich ist die Achtung vor dem Eigentum ausdrücklicher Bestandteil eines Zusatzprotokolls der europäischen Menschenrechtskonvention. Die Juristin aus Nürnberg, von der Marlies Kuley durch den Rostocker Verein zur Verteidigung der Bodenreform e.V. erfuhr, erwies sich als erste kompetente Fachfrau für die komplizierte Materie. Nach ihrer Ansicht hat der Gesetzgeber 1992 selbst einen Fehler begangen, indem er fälschlicher Weise davon ausgegangen sei, dass das Neubauernland in der DDR nicht vererbbar gewesen wäre. »Er wollte gar nicht enteignen, sondern in der ersten Stufe erstmals Eigentum begründen und in der zweiten Stufe eine Korrekturmöglichkeit schaffen, um gegebenenfalls die vorausgehende Rechtslage, also das Staats- bzw. jetzt Landeseigentum, wieder herstellen zu können.« Folglich sei es »der bundesdeutsche Gesetzgeber, der einen Fehler korrigieren muss«, stellt sie nüchtern fest.
Werner Döring wartet ebenfalls auf den Bescheid zu einer Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. »Sammelklagen gibt es dort nicht, aber eine Einzelentscheidung hätte maßgebliche Folgen für alle Betroffenen«, ist Döring überzeugt. »Es ist ja gar nicht so kompliziert: Man bräuchte nur den Einigungsvertrag einzuhalten, und schon wäre der soziale Frieden zumindest in diesem Punkt wieder hergestellt.«