»Kerl wach uff – Hinne hoch«
Im Odenwaldstädtchen Buchen schlägt zu »Faschenacht« den Narren keine Stunde
Große Tafeln verhängen die Ziffern der Turmuhr. In Buchen, einer kleinen Stadt im Odenwald, schlägt den Narren keine Stunde. Rund um die Uhr feiern sie so »Faschenacht«, wie die Tage vor Aschermittwoch im badischen Frankenland heißen. Närrischer Held ist der »Huddelbätz«, der an den tollen Tagen zu Hunderten durch Buchen springt. In der Hand eine Rute, die traditionell in der Nacht zu Dreikönig aus Birkenreisig gebunden wird. In der letzten der sogenannten Rau(c)hnächte, in denen man einst Wotans wildes Heer wüten wähnte.
Die ganze Stadt voller Huddelbätze
Ganze sechs Huddelbätze, erinnern sich die Alten, waren es 1946, die nach dem Krieg die alten Bräuche neu belebten. Mehr Kostüme gab es damals nicht. Heute sind es gut zweitausend Bürger, die Jahr für Jahr ins bunte Flickenkleid schlüpfen, zu dem standesgemäß ein hoher, bunter Spitzhut, weiße Halskrause und Handschuhe gehören. Ganz früher hatte man sich noch die Gesichter geweißt, sie später hinter Papier- oder Gazemasken versteckt. Heute aber zeigt sich der »Huddelbätz« oben ohne, was die Stimmung im Odenwald fördert.
Buchens »Faschenacht« ist eine Mischung aus Tradition und Moderne, aus rheinischem Karneval und badisch-alemannischem Narrentreiben. »In vorchristlicher Zeit«, schreibt die 1879 gegründete »Narrhalla« auf ihrer Internet-Seite, die sich inzwischen stolz »Gesellschaft zur Erhaltung Buchener Bräuche und Sitten« nennt, lägen die Wurzeln ihres Treibens. Ein bisschen übertrieben ist das, zumal auch das erste schriftliche Dokument zur Fastnacht, eine Urkunde des Mainzer Kurfürsten Dietrich aus dem Jahr 1447, äußerst umstritten ist. Darin soll der damalige Landesherr den Odenwäldern das Recht gewährt haben, sich vom Sonntag »Esto Mihi«, dem Fastnachtssonntag, bis zur »heiligen Fastenzeit«, die mit dem Aschermittwoch begann, an Fastnachtsspiel und Tanz zu ergötzen. Urkundlich einwandfrei ist fastnächtliches Treiben erstmals 1536 belegt, richtig greifbar wird es Anfang des 19. Jahrhunderts.
Schon damals, erzählen Zeitungsberichte, sei das Heer der Flickenkleidträger so groß gewesen, dass die Bürgerwehr hin und wieder einschreiten musste. 1839 stufte das für Ordnung zuständige Bezirksamt das Huddelbätz-Kostüm gar als »wahrhaft eckelerregende Kleidung« ein. Keiner ahnte damals, dass aus dem Arme-Leute-Kleid einmal ein Edel-Kostüm werden sollte, dessen Fertigung sich die Buchener heute einige hundert Euro kosten lassen.
Im Nachthemd mit der Gans zum Bürgermeister
Schon am Martinstag startet die Stadt ihr närrisches Programm, fließt zur Feier des Tages Wein statt Wasser aus dem Narrenbrunnen. Wie immer werden die Narren symbolisch geweckt, geht es in Nachthemden und Schlafhauben zum Rathaus. Im Gepäck eine Gans für den Bürgermeister, den Pachtzins für das Zunfthaus, das die Karnevalsgesellschaft das Jahr über nutzt. Schließlich werden die Obernarren vereidigt, erklingt Buchens Nationalhymne. »Kerl wach uff – Hinne hoch«. Ein bald 100 Jahre altes Lied, das noch immer der Odenwälder Narren Stimmungshit ist und auf den Blecker verweist, das Wahrzeichen der Stadt. Eine steinerne Spottfigur aus dem Mittelalter, die sich heute im örtlichen Bezirksmuseum findet. Eine Nachbildung ist das Maskottchen der Narren. Eine goldene Kopie, die sie am Rosenmontag auch durch die Stadt schleppen. »Geit her, geit her«, singen die Buchener angesichts des mit angewinkelten Beinen bäuchlings Daliegenden, der seinen Hintern stolz Richtung Himmel reckt. »Geit her, und erweischt em emol die Ehr«. Mit einem Küsschen aufs Hinterteil erweisen sie ihm schließlich ihre Reverenz. Ein Akt, dem die Buchener auch ihren Spitznamen »Arschblecker« verdanken.
Am Abend wird die Fastnacht ausgegraben
Richtig auf Touren aber kommen die Narren erst am Fastnachtsdonnerstag, wenn ein Ausscheller, der in großer Kutsche durch die kleine Stadt reist, die »Faschenacht« ausruft und bunte Wäschestücke kreuz und quer über den Altstadtgassen von den tollen Tagen künden. Beim abendlichen Spiel vor dem »Alten Rathaus« wird die Fastnacht ausgegraben, das Fest so symbolisch zum Leben erweckt.
Noch enger in den Gassen wird es sonntags, wenn aus dem Mühltal die sogenannten Müller einziehen. Ein närrischer Haufen ganz in Weiß, der Spreu und Brezeln unters Volk wirft. Einst galt ihre Zunft als unehrlich, weshalb ihnen die Teilnahme am Fest versagt blieb.
Seitdem ziehen die Müller eine gute Stunde vor dem »Gänsmarsch« ihre Runden. Ein Zug der Lebensfreude, der früher auch mitten durch Buchens Kneipen führte. Krachmacher führen ihn an. Spaßkapellen, die mit Topfdeckeln, Trommeln, Waschbrettern und Teufelsgeigen den Ton vorgeben. Musikalische Anarchisten, die traditionsgemäß zur Fastnacht gehören.
»Härle« und »Fräle« heißen die Herrschaften in alter Odenwälder Festkleidung. »Großvater« und »Großmutter«, die abends gewöhnlich in den Kneipen der Stadt zum Schnorren unterwegs sind, zur Ausübung des närrischen Rügerechts, bei dem jeder und jede auf die Schippe genommen werden kann. Mit dabei sind auch ein gutes Dutzend Bären samt Treiber. In Erbsenstroh eingebundene Männer mit Köpfen aus Pappmaschee. Die letzten Reste dörflicher Fastnacht, zu denen die Begleiter in Frack und Zylinder so gar nicht recht passen wollen.
Bis spät in die Nacht wird gefeiert, rein in den Rosenmontag, der einen neuen, großen Umzug bringt. Dienstags schließlich feiert man nach Frühschoppen und Kinderumzug noch einmal in den Lokalen, bis um Mitternacht der Huddelbätz als riesige Strohgestalt vor dem Alten Rathaus verbrannt wird. »Kerl schloof ei« spielt die Stadtkapelle. Ein Abschiedslied für den Blecker, dem die närrische Trauergesellschaft manche Tränen nachweint. Falsche meist, aber auch ein paar echte.
Infos: Verkehrsamt Buchen, Hochstadtstr.2, 74722 Buchen, Tel. (06281) 27 80, www.buchen.de
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