Nazis als Vorbilder

Studie: Mehr als 100 Schulen tragen Namen ehemaliger Nationalsozialisten

  • Volker Stahl
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Erich-Hoepner-Schule trägt nun Heinz Berggruens Namen.
Die Erich-Hoepner-Schule trägt nun Heinz Berggruens Namen.

Die Zahl der in Deutschland nach Nazis, Kolonialherren oder Demokratie-Gegnern benannten Straßen und Plätze ist Legion. Damit nicht genug: Der Chemnitzer Historiker Geralf Gemser fand heraus, dass bundesweit mehr als 100 Schulen Namen von ehemaligen Nationalsozialisten tragen. Der erste Band seiner Studie widmet sich den 2174 Lehranstalten in Sachsen.

Am 8. Mai 1945 starb der Medizin-Professor Rainer Fetscher in Dresden im Kugelhagel. Ob die Schüsse aus den Gewehrläufen der Roten Armee oder von der SS abgefeuert wurden, konnte nie geklärt werden. So indifferent wie Fetschers Todesursache war auch seine politische Haltung. Ab Herbst 1923 legte er eine »erbbiologische Kartei« zur Erfassung »biologisch minderwertiger Personen« an. Das von den Nazis nach der »Machtergreifung« 1933 erlassene »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« bezeichnete Fetscher als »verheißungsvollen Auftakt«, da es »die Möglichkeit rassenhygienischer Unfruchtbarmachungen« schaffe. Schon lange hatte der spätere SA-Mann bemängelt, dass sich Europa im Laufe der Jahrzehnte »ein Heer von Minderwertigen« herangezüchtet habe. Mit diesen Positionen schien der Dozent für Sozialhygiene an der TH Dresden (seit 1927) wie geschaffen für eine Karriere im späteren nationalsozialistischen Vernichtungsstaat. Er beließ es nicht bei der Theorie und führte selbst mindestens 65 Zwangssterilisationen durch.

Weil er dem NS-Staat aber einen unwissenschaftlichen Umgang mit der »Eugenik« vorwarf, geriet er bei den neuen Machthabern in Ungnade. Fetscher schwenkte um, nachdem er Kenntnis von den Morden unter dem Deckmantel der »Euthanasie« bekommen hatte, und behandelte illegal Juden, Zwangsarbeiter und andere Verfolgte des NS-Regimes.

Ob die Dresdner Schule für Körperbehinderte trotz seiner politischen Kehrtwendung gut beraten war, sich ausgerechnet nach dem Rassenhygieniker Rainer Fetscher zu benennen, darf bezweifelt werden. In diesem Fall sei »die Erinnerungskultur der DDR verantwortlich«, meint Geralf Gemser, der bundesweit rund 33 000 Schulnamen untersucht hat: »Man hat Fetscher zu einem Widerständler stilisiert, indem man die Zeit bis zu den Euthanasiemorden einfach ausgeblendet hat.«

Während die sächsische SPD-Landtagsfraktion fordert, die Schule umzubenennen, erkannte die Schulleiterin Susanne Petschke zunächst »keinen Handlungsbedarf«. Auf der Homepage der Schule wird die Biografie des Mediziners umgedichtet: Fetscher mutiert dort zum Gegner der »verbrecherischen faschistischen Rassenpolitik«. Als Quelle und Beweis dient ein ungeprüft übernommener Zeitungsartikel aus dem Jahr 1985, als die Schule den Namen bekam. Obwohl der Streit um den Namen schon länger gärt, reagierte die Schule erst auf die Veröffentlichung eines Artikels zum »schwierigen Thema« im Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« »mit Bestürzung«. Jetzt will die aufgescheuchte Schulleitung das Ergebnis eines Gutachtens abwarten.

Die Akte Fetscher ist kein Einzelfall. Ein Dutzend Schulen in Sachsen tragen noch heute Namen von Nazis, darunter die nach dem Andert-Clan benannte Mittelschule in Ebersbach. Vater Hermann war in der NSDAP, die Söhne Werner und Herbert im NS-Lehrerbund und der SA. Auch der Frankenberger Oberstudienrat Max Kästner ist ein dubioser Namenspate. »Der letzte marxistische Schlupfwinkel wurde ausgeräuchert«, huldigte er dem NS-Terror.

Bundesweit sind über 100 Schulen belastet, darunter auch eine Einrichtung im bayerischen Friedberg. Sie wurde nach dem SS-Sturmbandführer Wernher von Braun benannt, der später in den USA bei der NASA als Raketenforscher Weltruhm erlangte. Die Schulleitungen reagieren auf Gemsers Nachforschungen unterschiedlich: »Eine Schule hat mich zu einem Symposium eingeladen, andere verwahrten sich sofort empört gegen kritische Äußerungen einiger sächsischer Politiker, man solle NS-Namen streichen.« Nach NS-Opfern sind in Sachsen nur 38 Schulen (1,7 Prozent) benannt. Gemser bezeichnet diese Quote als »eher dürftig«.

Nach und nach will der Historiker Studien zur Namensgebung in allen Bundesländern veröffentlichen. Gemsers bisher größter Erfolg war die von ihm angeschobene Umbenennung einer nach dem ehemaligen Wehrmacht-Oberst Erich Hoepner benannten Schule in Berlin. Sie erhielt den Namen des jüdischen Kunstsammlers Heinz Berggruen. »Einen Mann von Hoepners Schlage – er war in höchster Verantwortung während der Vernichtungsfeldzüge in Polen und der Sowjetunion – habe ich später weder in Berlin noch anderswo gefunden«, sagt Gemser, »das war wohl einmalig.«

Geralf Gemser: Unser Namensgeber – Widerstand, Verfolgung und Konformität 1933-1945 im Spiegelbild heutiger Schulnamen: Sachsen, AVM-Verlag, 19,90 Euro.

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