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Das schwierige Erbe

Gleichberechtigung in der DDR im Spiegel der Mütter und ihrer Töchter

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 7 Min.
Die ND-Serie »20 Jahre nach '89« erscheint das ganze Jahr über jeweils in der Montagausgabe. In Teil 10 unserer ND-Serie geht es um das politische Erbe der DDR-Frauen an ihre Töchter. Was ist geblieben von der Gleichberechtigung à la Ost?
Renate Ewstatiew mit ihrer Tochter Madeleine und dem Bild mit den Söhnen.
Renate Ewstatiew mit ihrer Tochter Madeleine und dem Bild mit den Söhnen.

8. März 1989. Karin Möbus aus Hohenseeden ist zu Gast auf dem Festempfang des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) in Berlin. Die 46-jährige Bürgermeisterin aus dem Bezirk Magdeburg sitzt am weißgedeckten Tisch, erlebt ein Kulturprogramm mit Chor und Kammersängerin und hört Vorträge, in denen die »verwirklichte Gleichberechtigung« von Mann und Frau in der DDR beschworen wird. Sie bekommt »in Anerkennung hervorragender Verdienste bei der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik, bei der Förderung der Frauen, um die Erhaltung des Friedens, um die Freundschaft und Solidarität mit den Müttern und Frauen der Welt« – nein, bescheiden ging es in diesen Fragen in der DDR nicht zu – die Clara-Zetkin-Medaille. Sie hält eine Dankesrede und stößt mit Erich Honecker an.

So wie Karin Möbus wurden jedes Jahr »verdienstvolle Frauen unserer Republik« nach Berlin eingeladen. Das Besondere an der traditionellen Zeremonie von 1989 ahnte damals allerdings kaum eine der Beteiligten: Es ist das letzte Mal. Im Präsidium sitzen Ministerratsvorsitzender Willi Stoph, Volkskammerpräsident Horst Sindermann, die Vorsitzende des Demokratischen Frauenbunds Deutschlands (DFD), Ilse Thiele, und weitere Spitzenpolitiker der DDR. Ihre Namen stehen am nächsten Tag – heute vor 20 Jahren – in festgelegter Reihenfolge auf der Titelseite im Neuen Deutschland. Seite drei zeigt ein Bild von Karin Möbus und Erich Honecker.

Karin Möbus hatte den Zeitungsausschnitt schon manchmal wegwerfen wollen. Aber dann hat sie ihn doch behalten. »Man hat sich ja geehrt gefühlt«, erinnert sie sich. Am nächsten Tag gab es einen Empfang im Hohenseedener Gasthaus, bei dem sie viele Glückwünsche entgegennahm. Wenige Jahre später hat sich ihr Leben radikal verändert. Der Staat, von dem sie in ihrer Dankesrede sagte, dass sie sehr glücklich sei, darin zu leben, weil hier »soziale Sicherheit und Geborgenheit für alle Bürger gewährleistet sind«, gibt sich auf. Karin Möbus »verkriecht sich«, wie sie es heute formuliert. Sie arbeitet ein Jahrzehnt als freiberufliche Außendienstlerin der Sparkasse und danach bis zur Rente in der Genossenschaft im Gemüseanbau. Bis heute verkauft sie für die Genossenschaft den Spargel. Arbeiten macht ihr Spaß. Politisch hat sich die Mutter von zwei Töchtern seitdem nicht mehr betätigt. »Die Frauen haben es heute schwerer«, bilanziert sie und denkt dabei an ihre Kinder, die Enkelkinder und das Urenkelchen. Kürzlich sah sie in einer Fernsehsendung, dass Frauen in Deutschland bis zu 28 Prozent weniger Geld verdienen als Männer und viel geringere Chancen haben, in Spitzenpositionen zu gelangen. Sie bekämen keine Arbeit und müssten weit fahren, um ihre Kinder in Kindergärten zu bringen. Und erst die Bildung ... In der DDR hatten wir Gleichberechtigung, sagt sie.

Emanzipation und Paternalismus

Nach einer Untersuchung der Bundeszentrale für politische Bildung wies die DDR 1988 mit 91,3 Prozent die weltweit höchste Beschäftigungsquote von Frauen auf. Die Erwerbsarbeit verschaffte ihnen ökonomische Unabhängigkeit, aber auch gesellschaftlichen Weitblick. In der Sozialwissenschaft heißt das Gleichstellungsvorsprung. Arbeit war und ist daher das zentrale Thema für die meisten DDR-Frauen. Die Sozialwissenschaftlerin Ursula Schröter konkretisiert: »Es geht um ein grundlegendes Bedürfnis nach beruflicher Arbeit, nach Öffentlichkeit, nach gesellschaftlicher Anerkennung und sozialen Kontakten.« Allerdings mussten Ostfrauen kaum kämpfen – weder um Arbeits- noch um Kindergartenplätze und auch nicht um das Recht auf Abtreibung, das ihnen seit dem 9. März 1972 per Gesetz zugebilligt wurde, nicht nach öffentlicher Diskussion übrigens, sondern nachdem sich die Spitzen der üblichen Gremien darauf geeinigt hatten. Kämpfen musste eine Ost-Frau allerdings auch; zum Beispiel, wenn sie halbtags oder gar nicht arbeiten wollte, wenn sie nach dem Studium nicht zu tun beabsichtigte, was Partei und Regierung vorgesehen hatten oder wenn sie sich ökologisch oder für demokratische Strukturen engagieren wollte. Die Emanzipation fand unter einem paternalistischen Dach statt. Mit mangelnder Kampfeslust gegenüber diesem Dach, das es auch im Westen gibt und gab, und gegenüber den Männern handelten sich die Ost-Emanzen bei ihren Schwestern von drüben später den Beinamen »Muttis« ein.

Die Ansprüche der Töchter

Als Klara Johanna Lakomy (25) mit dem Studium der mittelalterlichen Literatur begann, waren Frauenrechte kein Thema für sie und Muttis kein Schimpfwort. Sie kam aus einer Linie starker Frauenfiguren, die Großmutter war Hebamme, die Mutter Monika Ehrhardt Maurerin, Tänzerin, Autorin. Selbstbewusste Personen, die ihr nie das Gefühl gaben, benachteiligt zu sein. An der Universität lernte sie junge Frauen kennen, die studierten, um bessere Chancen bei Männern zu haben. Fragte man nach den Berufen der Eltern, wurde nur der des Vaters genannt. Die Mütter waren meistens zu Hause, also eher »Muttis«.

Klara hätte nie besonders betont, dass ihre Mutter berufstätig ist. Das ist für sie normal. Und sie findet es auch für sich selbstverständlich. »Ihr habt mir Ansprüche mitgegeben«, sagt sie zu ihrer Mutter, und meint damit auch den Vater, den Musiker Reinhard Lakomy. Die Ansprüche bestehen darin, arbeiten zu können, keine Rollenbilder in der Gesellschaft vorzufinden und in dieser einen Platz zu bekommen, ohne einen anderen Menschen davon verdrängen zu müssen. Monika Ehrhardt hielt den Kampf um Gleichberechtigung in der DDR für überflüssig, weil sie diese für erreicht hielt. Jedenfalls für sich selbst. Sie bewunderte Alice Schwarzer für ihr Engagement. Offensichtlich, so dachte sie damals, ist das nötig in der Bundesrepublik. Heute steht ihre Tochter vor einem gerupften Erbe in Sachen Gleichstellung; sie bekäme nicht a priori den gleichen Lohn für gleiche Arbeit, das Recht auf Abtreibung ist eingeschränkt und die Verfechter patriarchaler Strukturen gewannen an Boden. Vielleicht wird sie den Kampfgeist der Mutter noch beleihen müssen. Die 61-Jährige engagiert sich seit 16 Jahren für die Balletttänzerinnen der DDR, denen 1991 die nicht nur in der DDR übliche Versorgung nach Beendigung des Ballettberufes über Nacht gestrichen worden war. Klara ist nicht politisch engagiert, aber sie sympathisiert mit den Linken, ist Gewerkschaftsmitglied und schreibt gesellschaftskritische Texte für eine Netzzeitung.

In einem Kalender des dfb, der Nachfolgeorganisation des DFD, sagt eine Frau, dass ihr Geschlecht in der DDR nicht gleichberechtigt, sondern »gleichberechtigter war«. Das deutet auf Defizite hin – im Vergleich zu heute sowieso, aber auch im Vergleich zum DDR-Anspruch, denn hier bekamen Frauen zwar für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn wie ihre männlichen Kollegen, aber sie arbeiteten auch öfter als diese in weniger qualifizierten Positionen. Die Formulierung deutet aber auch auf eine Entwicklung innerhalb der DDR hin. Der DFD – nach der Wende vielfach als Transmissionsriemen der SED oder Kaffeekränzchenorganisation abgewertet – hatte daran durchaus Anteil, denn er war auch »ein Stachel« in diesem System, wie es Ursula Schröter formuliert. Die heutige stellvertretende dfb-Vorsitzende findet in den Archiven immer mehr Belege dafür. So war der DFD in den Anfangsjahren auch in Betriebsgruppen organisiert, aber nach einiger Zeit wurde er in die Wohngebiete abkommandiert, eine Entscheidung in Richtung des Privaten, »auf ein Nebengleis«. So nah an der Arbeiterklasse wollte man wohl die aktiven Frauen nicht haben. Allein die Tatsache, dass es den DFD gab, und zwar bis zum Ende der DDR, zeugt für Schröter von weiblichem Selbstbewusstsein und Widerstandskraft.

Die Nachfolgeorganisation dfb und ihr Sozialwerk haben nach 1989 neue Aufgaben bekommen; man betreibt Suppenküchen, Kleiderkammern, Kitas, Schwangerenberatung und Frauenhäuser und engagiert sich auf internationaler Ebene. Die dfb-Vorsitzende Brigitte Triems hört von vielen Frauen, dass sie in der DDR ruhiger gelebt und keine Angst vor der Zukunft gehabt hätten.

Ohne Arbeit kein Mensch

Renate Ewstatiew hat schon manchmal Angst. Sie ist 1952 geboren, hat bis zur Wende immer gearbeitet und vier Kinder großgezogen – größtenteils allein: Marcel, Steve, Thomas und Madeleine. Jetzt bekommt sie Arbeitslosengeld II, 875 Euro im Monat für sich und ihre Jüngste, die gerade das Abitur macht. Ihr Problem: Sie hat ein Jobangebot im dfb-Sozialwerk, aber wenn sie es annimmt, bekommt sie ungefähr die gleiche Summe, muss aber die Miete davon zahlen. Das heißt, sie muss Schulden machen, um arbeiten gehen zu können. Die Frau ist ratlos und die Schlussfolgerung einfach: »In der DDR hatte ich mehr Rechte«. Sie nimmt die Arbeit an, »weil man sich dann als Mensch fühlt«. Madeleine findet die Entscheidung richtig. Sie arbeitet ebenfalls, nach der Schule im »Kaufland«, um sich ein neues T-Shirt oder eine Kette kaufen zu können. Nach dem Abitur will sie bei der Kriminalpolizei oder in einem Immobilienbüro arbeiten. Mit Politik hat sie nichts am Hut.

Karin Möbus hat auch 2009 eine Frauentagsfeier gehabt, im Eiscafe Hohenseeden, in dem ihre Tochter arbeitet. Nicht so pompös wie vor 20 Jahren, aber dafür ehrlich.

Nächsten Montag:
Völkershausen und der Zusammenbruch der Kaliindustrie.

Klara Johannna Lakomy und ihre Mutter Monika Ehrhardt.
Klara Johannna Lakomy und ihre Mutter Monika Ehrhardt.
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