Vergleich der DDR mit den Nazis hinkt

Kulturministerium schreibt Konzept für Erinnern an 1933 bis 1990 und trifft auf Widerspruch

In Berga befand sich das größte Außenlager des KZ Buchenwald. Die SS hielt dort 5000 Häftlinge gefangen. Im nahen Schlieben hatte der Leipziger Rüstungsbetrieb Hasag Hugo Schneider AG ab 1938 eine Produktionsstätte für verschiedene Munitionstypen errichtet. Das Werksgelände wurde bis 1944 ständig erweitert. Zuletzt erstreckte es sich auf 390 Hektar. Die Hasag entwickelte und baute die Panzerfaust. Am 21. April 1945 befreite die Rote Armee 130 Überlebende.

Nur wenig erinnert heute daran. Es stehen noch einige Ruinen. Dem Potsdamer Kulturministerium erscheinen eine Ausschilderung und Informationstafeln sinnvoll. So steht es in einem Entwurf für das Regierungskonzept »Geschichte vor Ort: Erinnerungskultur im Land Brandenburg von 1933 bis 1990«. Der Kulturausschuss des Landtags besprach gestern das 104-seitige Papier mit Experten.

Der Entwurf enthält eine Art Bestandsaufnahme der vielen Orte. Das reicht vom KZ Ravensbrück über den jüdischen Friedhof Zehdenick, die Gedenkstätte Seelower Höhen und den Soldatenfriedhof Halbe bis zum sowjetischen Speziallager Sachsenhausen und zum Peter-Huchel-Haus in Wilhelmshorst.

Insgesamt könnte man mit dem Entwurf einverstanden sein. Wo eines der Probleme liegt, zeigen die gewählten Eckdaten 1933 und 1990. Es besteht die Gefahr, Nazi-Zeit und DDR in einen Topf zu werfen. Zwar lässt sich durchaus ein Bemühen erkennen, dies nicht zu tun. Doch ganz frei ist das Papier nicht davon. Das weiß auch der Abgeordnete Gerd-Rüdiger Hoffmann (Linkspartei). Er bewertet das Konzept »in den wesentlichen Teilen als sehr positiv«, bedauert allerdings, dass durch den Titel und einige wenige Bemerkungen eventuell eine »ideologische Sprengkraft« entstehe, »die dem Anliegen nicht angemessen ist«.

In dem Entwurf heißt es, nur eine Minderheit der Häftlinge in den sowjetischen Speziallagern seien Nazi-Täter gewesen. Eine solche Aussage lässt der gegenwärtige Erkenntnisstand jedoch gar nicht zu, bestätigt Horst Seferens, Sprecher der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Es ist unstrittig, dass längst nicht nur Nazis in den Speziallagern einsaßen. Doch die Zahlen werden gerade erst erforscht. Auch ist Seferens zufolge der gewählte Begriff des Mitläufers unscharf. Ob etwa ein NSDAP-Ortsgruppenleiter wirklich nur ein Mitläufer war oder nicht vielleicht doch ein Täter, bleibe zu fragen.

Stiftungsdirektor Günter Morsch bedauert, dass die seine Gedenkstätten betreffenden Passagen nicht vor einer Veröffentlichung der Stiftung vorgelegt worden sind. Diese hätte »historische und sachliche Fehler, Irrtümer, Missverständnisse und Auslassungen« korrigieren können. Es seien in dem Entwurf »durchaus nicht unumstrittene Positionen« entwickelt. Sogar im wissenschaftlichen Streit um Begriffe wie »friedliche Revolution« für das Jahr 1989 ergreife das Papier Partei. Hier rät Morsch der Regierung Zurückhaltung an. Gideon Botsch vom Moses-Mendelssohn-Zentrum nennt eine »präzisere Benennung« der Unterschiede der Epochen vor und nach 1945 wünschenswert und erinnert an Sorge und Skepsis der Opfer des Faschismus und ihrer Angehörigen, zumal der jüdischen.

Professor Jürgen Angelow von der Universität Potsdam erinnerte, die Bilanz der Nazi-Diktatur sei viel katastrophaler als die der Zeit, die danach kam. »Es hat in der DDR nicht nur die Erfahrung von Druck und Repression gegeben.« Die DDR habe in den 50er Jahren anders ausgesehen als in den 80er Jahren. Diktaturen könnten sich auch öffnen und sogar zu Demokratien wandeln, wie das Beispiel Spanien zeige.

Der CDU-Abgeordnete Wieland Niekisch räumt ein, dass Nazis und DDR wegen der Einmaligkeit der faschistischen Verbrechen nicht gleichgesetzt werden dürfen. Vergleichen müsse man aber. Kulturministerin Johanna Wanka (CDU) betont, dass einige Reaktionen auf den Entwurf, die schriftlich vorlagen, bereits eingearbeitet sind. Insofern sei das im Internet stehende und diskutierte Papier nicht der letzte Stand. Beschließen wolle die Regierung das Konzept im April.

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