Der noble Poet

Vor 125 Jahren geboren: Oskar Loerke

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 3 Min.

Gute zwei Wochen hat er geschwiegen, aber am 14. Februar 1933 schlägt er wieder sein Tagebuch auf, um ihm einige Sätze hinzuzufügen. »Viel Entsetzliches hat sich ereignet«, beginnt er. »Am 30. Regierungsbildung mit Herrn Hitler als Reichskanzler.« Fünf Tage später die Notiz: »Möglicherweise muß ich zu Grunde gehen. Die Nerven halten nicht mehr.« Am 11. April der Satz: »Eine entsetzliche Zeit der Leiden und Demütigungen.« Jetzt hat man auch ihn, den Dichter, den namhaften Lektor des S. Fischer Verlages und Sekretär der Sektion Dichtkunst in der Preußischen Akademie der Künste, aus dem Amt gejagt. Er sieht schwarz für sich und die Zukunft.

Oskar Loerke, am 13. März 1884 in einem westpreußischen Dorf an der Weichsel geboren, gehört da längst zu den bedeutenden avantgardistischen Stimmen in Deutschland. Er hat, nach seinem Erzähldebüt von 1907, mehrere Gedichtbände publiziert, ein letzter wird noch 1936 erscheinen. 1913 ist ihm der renommierte Kleist-Preis zuerkannt worden. Doch das alles zählt nun nicht mehr. Geblieben ist ihm der Brotberuf, den er zum Glück immer noch (und bis zu seinem Tod) ausüben kann, denn ein Teil des bedrohten S. Fischer Verlages bleibt in Berlin und sucht nach Wegen, durch die schreckliche Zeit zu kommen. »Jahre des Unheils« nennt Loerke den Tagebuchband 1933/34 und schließt ihn am Silvestertag mit den Worten: »Nun geht das Schicksal seinen Lauf, wir wollen aufrecht und mit wahrem Fleiß dem Gewissen folgen.«

Einmal, kurz nach 1933, habe er Oskar Loerke noch einmal gesehen, erinnert sich 1963 Hans Henny Jahnn. »Er gestand mir, daß er große Mühe habe, des Nachts sadistische Rachegedanken gegen die Henker, die gekommen waren, zu unterdrücken. Ja, er wurde fähig zu hassen, der Gütige …« Dass er die Güte selbst war, sagt auch Peter Suhrkamp, der Freund und Verlagskollege, den die Nazis zuletzt noch ins KZ werfen und der, gezeichnet von der Haft, nach 1945 seinen eigenen Verlag gründet. Aber das hat Oskar Loerke schon nicht mehr erlebt. Er stirbt am 24. Februar 1941 unterm Albdruck der Verhältnisse, ein nobler, unvergleichlicher, bildkräftiger Poet, ein wunderbarer Essayist, Literatur- und Musikliebhaber, Verfasser zudem eines Tagebuchs, das zu den einzigartigen, beklemmenden Dokumenten gehört, die wir über dieses stille, ernste Leben und die Nöte seiner späten Jahre besitzen.

Hermann Kasack, der Gefährte, hat Teile des Journals, die von 1903 bis 1939 reichen, 1955 ediert. Drei Jahre danach sammelt Peter Suhrkamp in zwei Dünndruckbänden die Gedichte und Schriften Loerkes, und Hermann Hesse, der diese (bis heute vollständigste) Werkausgabe angeregt hat, schreibt im Dezember 1958 einem Leser, er solle den Dichter lieben lernen und bewundern: »nicht nur seines Verstandes und seines großen Wissens wegen, sondern auch und noch mehr um seiner Einfühlungs- und Liebesfähigkeit, seines Taktes, seiner Geduld und Herzenszartheit willen«.

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