»Vertraut mir, meine Träume sind gut, aber unerfüllbar«

Auf Leipzigs Buchmesse präsentiert: »Gertrud Schleef. Einar Schleef. Briefwechsel 1«.

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.
Harald Kretzschmar: ... wie sich nur halten?!
Harald Kretzschmar: ... wie sich nur halten?!

Es gibt Abarten der Freiheit, die ins Gegenteil eines freien Lebens führen. Etwa die Keimfreiheit. Einar Schleef kämpfte gegen die Keimfreiheit der Existenz. Er lebte diesen Kampf, wie man ein Gemüt lebt: Es ist nicht auswechselbar, es steht nicht zur Diskussion, es macht wehrlos gegen die Konsequenz, mit der es uns leitet. Das Gemüt des Regisseurs, Bühnenbildners, Malers, Schriftstellers und Fotografen Einar Schleef war ein schmutziges Gemüt; Schmutz verstanden als philosophische Kategorie, als ewig anwesender Botschafter des unabwendbaren Zugrundegehens, der Verwitterung, des Aufgefressen- und Aussortiertwerdens; Schmutzfühligkeit, dem Künstler eingeschrieben in die Wucht des Körpers, der etwas wusste vom Dreck der Welt, der keinen Anfang und kein Ende hat.

Und solches Wissen, wenn es Körpergefühl wird, singt die Liebe anders als Andere. Singt sie vielleicht wie ein nächtlich heulender Wolf oder andere Wesen, die den Mond ansingen, weil ihnen just das unerreichbar Fernste gerade genug ist für ihren Wunsch nach Nähe. Solchen Leuten geht man gern aus dem Weg, aber auf Wegen trifft man sie nicht, nur im Unwegsamen, auf Geröllpfaden, Steilhängen, Straßenschluchten, »ich gehe gern, bis ich keuche, ich muss die Welt zurücklassen, das ist der schöne Lohn für blutende Füße«. So Schleef in einem Interview.

Er wurde 1944 in Sangerhausen geboren. Über seine Mutter Gertrud schrieb er einen Roman, er hat sich mit diesem Buch, so anstrengend atemlos ins Genaue, ins Detail hetzend, Ende der siebziger Jahre seine Einsamkeit im Westen vom Leib zu schreiben versucht; es war, als habe einer, nach dem Weggang aus der DDR, an der eigenen Haut gezerrt, aber statt der Häutung wurde diese Haut ganz aus Osten nur dicker, aufreizend bereit für die Striemen eines überall und fortwährend nur Widerstand provozierenden Daseins. Aus diesem Roman »Gertrud« wurden mehrere Theaterversionen, freilich erst nach dem Tode Schleefs im Jahre 2001; nun gibt der Verlag »Theater der Zeit«, neben dem Suhrkamp Verlag der verlegerisch höchst verdienstvolle Fürsorger des Schleef-Werkes, einen ersten Band Briefwechsel zwischen Mutter und Sohn heraus, Post von 1963 bis 1976.

»Weißt Du Einar ich weiß nicht was ich von Dir halten soll, abends auf der Landstraße allein zu laufen.« So heißt es in einem Brief von 1963. Als träfen da schon kernkräftig aufeinander: die Angst der Mutter, die Unbedenklichkeit des Kindes, die beiden Kräfte, die einander anziehen und abstoßen, Anhänglichkeit und Eigensinn, die Zugehörigkeit und die Fremdheit. Ein Jahr später wird Einar aus Berlin – er studiert an der Kunsthochschule – an seine Eltern schreiben: »Ich bitte Euch, macht Euch keine Sorgen, ich verstehe Euch völlig, Ihr erwartet etwas Festes, Bestimmtes, Bürgerliches von mir. Ich weiß, aber solange ich an das glaube, von dem ich träume, solange kann mir nichts passieren, solange könnt Ihr ruhig sein ... vertraut mir, meine Träume sind gut, wenn auch oft unerfüllbar, so bleibt uns ...die Hoffnung auf Glück.« Ein paar Briefe weiter ist die Schule »eine Mühle der Gleichmacherei«, Einar lässt sich nicht »zum Schlachtvieh abstempeln ... ich will alles für meine Träume opfern, alles. Andere Dinge sind noch nicht passiert.«

So kernt sich der Unzugehörige heraus, der im Eigensinn Prunkende, dem früh beschieden ist, im Unglück seiner Borstigkeit zu sich selber zu finden und dabei immer wieder Menschen zu verlieren. Der Briefwechsel, der hier vorliegt, ist im herrlichsten Sinne des Wortes mühselig zu lesen, die Mutter schickt Pakete, hält alles, was zu sagen und zu tun ist, mütterlich-pragmatisch flach, sie weiß um die umfassend zu verstehende Bedürftigkeit des Sohnes - um dann solche Antworten zu bekommen: »Du erwartest immer von mir + ich von Dir. Es ist einfach unangenehm, an zu Hause zu denken + und ich weiß, es geht Euch ebenso ... Außer Wäsche + Klopapier scheint dir auch nichts einzufallen. Vielleicht ein Zeitungsausschnitt ... Ich bin sehr böse, mehr gegen mich, als Euch.«

Das hat in aller Schärfe etwas tiefgründig Rührendes, so vollzieht sich der Zusammenprall von Welten, die zusammengehören, ohne zusammenbleiben zu können. Es ist eine Korrespondenz von poetischer und profaner Existenz, und so kann man dieses ergreifende Buch wie ein Volks-Buch des (ost)deutschen Alltags lesen, und wie dieser Alltag einerseits sein Beharrungsvermögen zwischen Wäschewaschen, Gottesdienst und Pilzgerichten behauptet (die Mutter), andererseits aber als ein zum Talent verurteilter Fremdkörper in die Kunst-Welt aufbricht, Unzufriedenheiten und Enttäuschungen aufhäuft (»ob ich mich halten kann? Immer finkeln und lavieren, furchtbar«). Aber Einar spricht auch von seiner »Umweltstörung« und dass »die Flurküchendame über mir eine Sau« ist.

Die Mutter berichtet vom Kauf eines Tisches, schickt Kochrezepte, und man könnte alle Wohnungsgegenstände und Haushaltsthemen durchgehen, die briefeweise problematisiert werden, und das Leben erscheint tatsächlich als jene einödige Reihung des ewig Gleichen in ewig gleicher Provinz – aber dann immer wieder wunderbar kluge Sätze zum Sohn. Besänftigungen: »Jeder geistig schöpferische Mensch ist unbefriedigt und wird unbefriedigt bleiben bis an sein Ende ... Das ist sein Fluch und seine Seeligkeit, daher auch der Abstand von der Masse und das große Einsamkeitsgefühl. Die muß man als sein Schicksal tragen und anerkennen.« Gedanken aus der Waschmaschinenwelt, man senkt den Kopf vor Scham, wie man überhaupt Menschen einteilen kann in einfache und andere. So wie die gemischten die einzig echten Gefühle sind, so strahlt in diesem Buch – dunkel, plebejisch, abgearbeitet – jene wahre Liebe, die eine gebrochene, verwundete ist.

Gertrud Schleef. Einar Schleef. Briefwechsel 1. 1963 bis 1976«. Hrsg. von Susann Todd und Hans-Ulrich Müller-Schwefe. Verlag Theater der Zeit. 303 S., brosch., 25 Euro.

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