Nur die Brille ist extravagant

Vor 24 Jahren gründete Hans Engberding »Lernidee Erlebnisreisen«

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 10 Min.
Eier als Dankeschön für Hans Engberding, der mit Gästen Hilfsgüter in ein laotisches Dorf brachte.
Eier als Dankeschön für Hans Engberding, der mit Gästen Hilfsgüter in ein laotisches Dorf brachte.

»An seinem Markenzeichen werdet ihr ihn problemlos erkennen«. Mit dieser wenig hilfreichen Beschreibung machte sich die Gruppe in Bangkok auf den Weg nach Jinghong in der südlichsten Provinz Chinas. Und tatsächlich. Obwohl er längst nicht der einzige Europäer auf dem Jinghonger Flughafen war, wussten wir sofort: Der große, lächelnde Mann in Jeans und Sweatshirt, mit jungenhaften Bürstenschnitt und einer winzigen Lücke zwischen den Schneidezähnen ist Hans Engberding, Chef des Berliner Reiseunternehmens »Lernidee Erlebnisreisen«, der unsere deutsch-schweizerische Reisegruppe die nächsten zehn Tage auf dem Mekong begleiten würde. Sein Markenzeichen trug er auf der Nase – eine kunterbunte Brille, wie sie keiner von uns je gesehen hatte.

Viel später werden die Gäste denken, dass diese Brille in gewisser Weise das Konzept von »Lernidee« versinnbildlicht: Außergewöhnlich, bunt, fröhlich und einen schärferen Blick auf die Welt ermöglichend.

Missverstandene Anzeige in der Zeitung

So ungewöhnlich wie die Brille, ist auch die Entstehungsgeschichte des Unternehmens. Alles begann im Sommer 1985 mit der Anzeige »Reisesprachkurs Russisch«, die der Russisch-, Englisch- und Geografielehrer Hans Engberding, der in Berlin-Kreuzberg gemeinsam mit anderen eine Sprachschule betrieb, in einer Tageszeitung veröffentlichte. »Mehrere Leute riefen an und wollten wissen, ob sie tatsächlich auf einer Reise Russisch lernen könnten«, erzählt der heute 56-Jährige. »Das aber war ein völliges Missverständnis und kam nur deshalb zustande, weil ich aus Kostengründen die Anzeige so knapp formuliert hatte.« Aber die Idee gefiel ihm. Und so fragte er seine Sprachkursteilnehmer, ob sie nicht Lust hätten, ihr Russisch auf einer Bahnreise zu vervollkommnen. Die waren Feuer und Flamme. Anfang 1986 stiegen die ersten 16 Schüler mit ihrem Lehrer in die Transibirische Eisenbahn, um die Sprache und gleichzeitig Land und Leute besser kennenzulernen. Schon bald gab Engberding die Sprachschule auf und gründete sein Ein-Mann-Reiseunternehmen »Lernidee«. Im Angebot Bahnreisen durch die Sowjetunion mit Sprachunterricht.

Es war die Zeit, als Gorbatschow und die Perestroika in aller Munde waren. »Auf einmal wollten alle Russisch in der Sowjetunion lernen«, erinnert sich Hans Engberding. Wie ein Magnet wirkte da auf viele die kurze Meldung in den Medien, dass ein kleines Berliner Unternehmen Russischkurse auf der Transib anbietet. Sogar der »New York Times« war das ein paar Zeilen wert. »So kam ich zu meinen ersten zwei amerikanischen Gruppen«, freut sich Engberding noch heute.

Im Sommer liefen die Sprachreisen sehr gut, erste Mitarbeiter wurden eingestellt. Doch im Winter wollte plötzlich niemand mehr nach Sibirien. Deshalb weitete er das Abenteuer Schienenstrang in andere Regionen der Sowjetunion, nach Ägypten, Südafrika, später nach Asien und Lateinamerika aus.

Immer wieder treibt es ihn hinaus in die Welt, ständig auf der Suche nach neuen Zielen, nach dem Besonderen, das es so bei anderen Anbietern nicht gibt. Sein Anspruch: »Auf jeder Reise biete ich meinen Gästen mindestens drei Erlebnisse, die sie nur bei ›Lernidee‹ bekommen können.« Irgendwann taucht er dann wieder im Büro auf und legt seinen Mitarbeitern ein sattes Paket neuer Ideen auf den Tisch. Dann wird gemeinsam gestritten und verworfen, irgendwann bleiben ein paar Perlen übrig. Von 100 Ideen schaffen es etwa zehn ins Programm. Wie eine Rundreise auf dem Landweg durch Uganda, die »Lernidee« erstmals in diesem Herbst anbietet. Für die Zukunft plant Engberding, mit einem eigenen Schiff auf dem Weißen Nil das afrikanische Land zu durchqueren.

Schiffstouren kamen vor wenigen Jahren zu den Bahnreisen hinzu. Eigentlich mehr zufällig, weil ein Freund dem Reiseunternehmer vom Mekong vorgeschwärmte. Ohne große Erwartungen sei er 2004 hingefahren, erzählt er. Doch der Fluss und die Landschaften an seinen Ufern hätten ihm fast den Atem verschlagen. Solch ein Sahnestückchen wollte er unbedingt seinen Gästen anbieten. Weil es außer Schnellbooten keine Schiffe gab, die den oberen Teil des Mekong befahren können, beschloss er, selbst eines zu bauen. Er suchte und fand Partner in Laos. In nur einem Jahr entstand auf einer Sandbank die »Mekong Sun«, die seit Ende 2005 mit maximal 30 Passagieren auf der »Mutter aller Wasser« unterwegs ist. Inzwischen sind zwei weitere Mekong-Schiffe im Bau, die noch in diesem Jahr im unteren Teil des Flusses auf große Fahrt gehen sollen.

Mit rund 7500 Reisenden im Jahr – zumeist im Alter 50 plus – gehört »Lernidee« nicht gerade zu den Branchenriesen. Das aber ist auch gar nicht im Sinne des Unternehmens. Man versteht sich eher als eine Nische für Leute, die das Besondere suchen ohne Luxus zu wünschen. Peinlich genau achtet Engberding darauf, dass selbst das Wort »Luxus« nirgendwo in den Prospekten auftaucht. Schon, um ein bestimmtes Publikum fernzuhalten. Auf Leute, die vermeintlichen Reichtum demonstrativ zur Schau tragen, goldene Wasserhähne erwarten und meinen, man müsse ihnen ständig irgendwelche Extrawürste braten, verzichtet er lieber.

Nicht verzichten will er auf Menschen, die an sehr direkten Begegnungen mit fremden Kulturen, Landschaften und den dort lebenden Menschen interessiert sind, nicht nur oberflächlich, sondern mit Herz und Gefühl. In dieser Hinsicht werden die »Lernidee«-Reisenden schon etwas mehr verwöhnt, als sie es anderswo erwarten können. So bieten die Reiseleiter jeden Abend den Gästen unterhaltsame Vorträge zu vielerlei Themen an. Mal geht es um kulturhistorische Hintergrundthemen, mal kann man unbekannte tropische Früchte verkosten und dabei erfahren, dass sie für die Einheimischen nicht nur Nahrungsmittel sondern auch Medizin sind. Auf der »Mekong Sun« erzählt ihnen Kean, der dort als Stuart arbeitet, wie buddhistische Mönche leben und wie man das leuchtend organge Gewand richtig anzieht. Da Kean selbst Mönch war, lässt sich niemand die wohl einmalige Chance entgehen, einmal einen ansonsten nicht möglichen Blick hinter die Klostermauern zu werfen.

Auch wegen solcher Bonbons fahren viele immer wieder mit »Lernidee« durch die Welt, obwohl die Reisen nicht gerade als Schnäppchen zu haben sind. Stammkunden wundern sich längst nicht mehr darüber, wenn der Unternehmenschef plötzlich selbst auftaucht, sei es in der mongolischen Steppe, in Peking, auf dem Mekong oder in Kapstadt. Rund 100 Tage im Jahr testet er seine eigenen Produkte vor Ort. »Der Bäcker muss ja schließlich auch wissen, wie sein Brot schmeckt, und ob es bei den Leuten ankommt«, sagt er. Selbst die Partner vor Ort wissen nicht, ob und wann der Chef plötzlich auf der Matte steht. »Der Überraschungseffekt ist durchaus beabsichtigt«, so Hans Engberding, »denn ich komme ja nicht nur, um mit den Gästen ein paar nette Gespräche zu führen und schon gar nicht, um mir von ihnen Honig um die Backe schmieren zu lassen.« Wenn es dem Außenstehenden auch so erscheinen mag, als ob er vorrangig mit seinen Gästen lockeren Small talk macht, ihm entgeht nicht die kleinste Kleinigkeit. Und alles wird akribisch notiert und mit den Mitarbeitern ausgewertet. Da kann er, wenn es sein muss, dann auch mal richtig laut werden.

Geld für das, was ihm am Herzen liegt

Wer Hans Engberding mal im Jackett begegnet, kann sicher sein, dass er auf dem Weg zu einer wichtigen Verhandlung ist. Genau drei solcher für ihn völlig überflüssigen Kleidungsstücke besitzt er, die er gut in der Welt verteilt hat: Eine Jacke hängt im Berliner Büro, eine auf der »Mekong Sun« und eine in der Transib. Ansonsten sieht man ihn nie anders als in Jeans, Pullover und Turnschuhen. Materielles ist ihm völlig unwichtig, er besitzt weder Auto noch Fernsehapparat. Einzig seine quietschbunte Brille ist extravagant und einmalig – das Gesellenstück einer Berlinerin, die es ihm überließ.

Sein Geld – »ich habe mehr verdient, als ich ausgeben kann« – steckt er in das, was ihm wirklich am Herzen liegt. In seine Mitarbeiter zum Beispiel. 36 sind es im Berliner Büro, die aus 13 Ländern kommen. Besonders gern erzählt der Chef, dass seit 1994 nicht ein einziger gekündigt hat, um sich in der Branche einen besseren Job zu suchen. Dass jeder einzelne am Unternehmen beteiligt ist, war für Engberding von Anfang an selbstverständlich. »Ich verlange viel von jedem, aber gute Arbeit soll sich auch auszahlen«, sagt er. Rund acht Monatsgehälter pro Jahr betrug der Bonus beispielsweise im letzten Jahr. Weitere 70 Menschen zwischen Südafrika und Laos können ihre Familien im wesentlichen von dem ernähren, was sie durch »Lernidee« verdienen.

Wer, wie Hans Engberding, die halbe Welt gesehen hat, weiß nur zu gut, dass es den meisten hierzulande trotz aller Sorgen doch ziemlich gut geht. Umso wütender macht es ihn, dass es dennoch so viel Ungerechtigkeit und Armut gibt, die insbesondere die Kinder trifft. Als er kürzlich mal wieder einen Bericht las, dass viele Kinder nicht an Klassenfahrten teilnehmen können, weil ihre Eltern kein Geld dafür haben, überwies er spontan einer stark betroffenen Berliner Realschule 6000 Euro. Mit der Option, weiteres Geld für bedürftige Kinder zu geben.

Ein besonderes Anliegen ist es ihm, Menschen in den Ländern zu helfen, die ihm und seinen Gästen so viel Freundlichkeit, Herzenswärme und Einblicke in ihr Leben geben. So unterstützt »Lernidee« Waisenhäuser in Ulan Bator und in Irkutsk, ein Selbsthilfeprojekt für Frauen in Kapstadt, in Nordchina ließ er eine Schule renovieren. Natürlich sind all diese Projekte auch freiwillige Ausflugsziele für die Reisenden. So können sie sehen, was aus ihrem Geld geworden ist, denn mit ihrer Reisebuchung sind sie ja gewissermaßen Mitfinanzierer all der Maßnahmen. Und wenn die Besucher dann noch ein paar Euro zusätzlich dort lassen, findet das Hans Engberding vollkommen in Ordnung.

Er erzählt von einem Ausflug in ein laotisches Dorf. Bei einem Gespräch mit den Bewohnern hätten die Gäste er fahren, dass die Dorfschule dringend eine Toilette brauche. Ein Gast habe spontan ins Portmonaie gegriffen und dem Dorfältesten rund 400 Dollar gegeben. Als Engberding ein paar Wochen später erneut in dem Dorf war, sei ihm die fertige Toilette stolz gezeigt worden, und natürlich habe der großzügige Spender ein »Beweisfoto« erhalten.

Auch die deutsch-schweizerischen Reisegruppe, die er in Jinghong auf dem Flugplatz abgeholt hatte, nahm er mit in ein Dorf, in das er etliche Kisten mit Material für die Schule bringen wollte. Die Kinder hatten in den Tagen davor mit ihrem Lehrer extra ein kleines Programm eingeübt, es sollte ein schönes Fest werden. Und obwohl sie sich alle Mühe gaben, war nicht zu übersehen, dass irgendetwas die Dorfbewohner bedrückte. Auf die Frage, was denn passiert sei, zeigten sie auf die Reste einer Hütte, die in der Nacht zuvor abgebrannt war. Die Familie habe sich zwar retten können, aber alles, was sie besaß, war verloren. Engberding ließ vom Schiff schnell ein paar warme Decken und etwas Hausrat holen, die Touristen sammelten Geld für den Wiederaufbau der Hütte. Als wir das Dorf wieder verlassen wollten, bedankten sich die Einwohner mit dem Einzigen, was sie hatten – jeder bekam eine paar Eier geschenkt. Etwas beschämt zogen wir vondannen, denn wir wussten, dass die Eier für sie eine besondere Kostbarkeit bedeuten.

Bei seinen vielen Mekongreisen in den vergangenen vier Jahren hat Hans Engberding festgestellt, dass es auf hunderten Kilometern entlang des Flusses in Laos keine Ärzte gibt. Jetzt kaufte ein Schiff, das künftig mit einem einheimischen Arzt und zwei Schwestern auf dem Fluss verkehren soll. Auch die Finanzierung des Personals übernimmt »Lernidee«.

Setzlinge lassen neuen Regenwald wachsen

Alle reden über Klimaschutz, auch Hans Engberding. Mit seinen Gästen beispielsweise, die sich manchmal schon darüber wundern, dass der üppige Regenwald am Mekong immer mal wieder von verbrannten und abgeholzten Flächen unterbrochen wird. Sie erfahren von Brandrodungen der Anwohner, um Land für den Anbau von Lebensmitteln zu gewinnen, aber auch, dass noch immer die Bäume der Wälder rücksichtslos gefällt werden, weil Tropenhölzer gutes Geld auf dem Weltmarkt bringen. Um dem entgegenzuwirken, aber auch, um die schädlichen CO2-Emmissionen nachhaltig auszugleichen, die »Lernidee« durch die Flugreisen verschuldet, wurde 2007 ein ganz besonderes Projekt ins Leben gerufen. Das Unternehmen pachtete zwei große Regenwaldgebiete mit insgesamt 3000 Hektar und ließ es von eigens dafür angestelltem Personal mit Setzlingen bepflanzen. »Bei einigen unserer Pflanzaktionen haben sogar Gäste begeistert mitgemacht«, erzählt der Unternehmenschef. Langfristig hofft er, mit dem Projekt zahlreiche junge Menschen in Lohn und Brot zu bringen und somit mitzuhelfen, Alternativen gegen den weiteren Raubbau am Regenwald anzubieten.

Weitere unter www.lernidee.de

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