Der Satz

Nadja Tiller 80

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

Die »Zeit« hat jüngst Prominente des Jahrgangs 1929 gelistet: Enzensberger, Heiner Müller, Kempowski, Christa Wolf, Horst Janssen, Habermas, Rühmkorf, Dahrendorf (man könnte noch Günter Gaus hinzufügen) ... und sie: Nadja Tiller (Foto: dpa). Sie war die Übertragung jenes Glücks, überlebt zu haben, ins westdeutsche Boulevardkino. Es war mondän, was sie spielte. Als gäbe es jetzt nur noch Jugend, keine Vergangenheit mehr.

1958 war die Wienerin »Das Mädchen Rosemarie«, die Wirtschaftswunderhure Nitribitt, es sollte ihre wichtigste Rolle bleiben. Neben ihrem Mitwirken in den »Buddenbrooks« und im »Schloss Gripsholm«.

Zufällig im Jahr des »Rosemarie«-Films besuchten meine Eltern und ich in den Ferien meine Großmutter in Hamburg-Othmarschen. Ich, als Kind, hatte beschlossen, Autogramme zu sammeln, wir erfuhren, dass in der Nähe eine »tolle« Schauspielerin wohne, Frau Tiller, in der Einkaufsstraße des Viertels, der Weizstraße. Mutter und ich gingen hin, die Tiller öffnete tatsächlich, ich bekam mein Autogramm. Ich war zehn Jahre alt.

Sehr lange danach zeigte mir meine Mutter einen Zettel, den habe sie aufgehoben. Sie hatte zu Nadja Tiller gesagt, ach, da haben wir ja Glück gehabt, und die Tiller hatte geantwortet: Ach, was sei schon Glück, Glück sei irgendwann der Tag, an dem man nicht vor die eigene Tür treten müsse. So jung und so ein Satz.

Den Satz hatte meine Mutter aufgeschrieben. Und aufbewahrt. Ich besitze den Zettel noch, Hamburgs Weizstraße erschien mir seit jenem Autogramm (das ich ebenfalls aufbewahrte) wie eine Außenstelle Hollywoods. Und alles war so einfach gewesen, daheim in Thüringen sagten die Erwachsenen, was denn, die Nitribitt!

Die Klugheit ihres Satzes hat Schuld daran, dass ich Nadja Tiller in den vielen Unterhaltungsfilmen nicht ganz so klug fand. Sie blieb immer hinter ihrem Satz zurück. Aber leider dachte ich immer an diesen Satz, wenn ich sie sah; immerhin: Sie war schön, und es war alles gut.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.