Nach Winnenden, vor ...

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D er Liedermacher Gerhard Schöne ist auf berührend naive Weise aufgelöst. Solange Schulen kein sicherer Ort seien und Schusswaffen verboten würden, schicke er seine Kinder nicht mehr zur Schule, teilte Schöne vergangenen Freitag mit. Seine Kinder gehen in die erste und dritte Klasse einer Schule in freier Trägerschaft in Meißen.

Schönes Panik hat etwas Beunruhigendes. In einer Welt, in der sich männliche Jugendliche überall an den gleichen medialen Vorbildern orientieren (Littleton, Erfurt, Blacksburg), macht das Grauen auch vor der Idylle sächsischer Provinz nicht halt. Dabei hat der Sänger durchaus recht: Solange es Schusswaffen gibt, in deren Besitz Jugendliche gelangen können, ist das Risiko von Kindern groß, Opfer eins amoklaufenden Mitschülers zu werden.

Nach Winnenden wird das Entsetzen nur noch von der Ratlosigkeit übertroffen, wie künftig solche Verbrechen verhindert werden können. Über vieles wurde in den vergangenen Tagen debattiert, nur nicht darüber: Ein Blick auf die Chronik von Amokläufen in Schulen zeigt, dass sie dort geschahen, wo die Betroffenen sie am wenigsten erwarteten – in bürgerlich-kleinbürgerlichen Vororten und Wohngebieten mit ihren alltäglichen kleinen Demütigungen hinter gepflegten Ligusterhecken.

Wer wie Schöne das Todesrisiko für seine Kinder wirklich minimieren will, sollte schleunigst die Provinz verlassen und sich eine übel beleumdete Schule in einem sogenannten Problemkiez der Großstadt aussuchen. Dort mag der Nachwuchs zwar ab und an Opfer von »migrantischen« Jugendgangs werden (mit Handy und iPod sollte man besser nicht zur Schule gehen!), gelegentliche kleinere und größere Körperverletzungen eingeschlossen, aber das Risiko Opfer eines durchgeknallten Bürgersprosses zu werden, der mit dem Schießprügel seines Herrn Papas über die Schulflure zieht und Mitschüler erschießt, ist eher gering. Irre, groteske Logik: Der nahezu sprichwörtlich gewordene Berliner Problem-Ort Rütli-Schule als Zufluchtsort vor der Gewalt?! jam

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