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Eine Frage der Einstellung
Eine Zeitung stellt ihr Erscheinen ein. Das ist kein ungewöhnlicher Vorgang – zumal in diesen schwierigen wirtschaftlichen Zeiten. Dennoch, es ist nicht irgendeine Zeitung, sondern ein Blatt, das vor nicht mal vier Jahren mit dem Anspruch ins Leben gerufen wurde, die Presselandschaft zu bereichern. Die Rede ist von der »Jüdischen Zeitung« (JZ), die seit Herbst 2005 als Monatszeitung in deutscher Sprache in Berlin erschien. 41 000 Exemplare betrug die Auflage. Falls sich kein privater Investor oder Verband finde, werde die Zeitung »pausieren«, bis die Verlagsgruppe Werner Media Group sie wieder finanzieren könne, teilte der Herausgeber in der März-Ausgabe der Zeitung mit. Der wichtigste Hinweis folgt im Anschluss: Im »umkämpften Markt jüdischer Publikationen« habe der Verlag bewusst auf Außenfinanzierung oder staatliche Unterstützung verzichtet.
Das ist ja das Besondere an solchen Zeitungen – dass sie nicht gemacht werden müssen, um sich gut zu verkaufen, sondern dass sie Verleger haben, die sich – im wahrsten Sinne des Wortes – eine solche Zeitung leisten wollen. Die »Jüdische Zeitung« hatte ein anspruchsvolles Selbstverständnis: Den Prozess der Pluralisierung des (nicht nur) jüdischen Lebens in Deutschland (und der Welt) wollte man publizistisch begleiten. Zuerst war also die Idee, der journalistische Anspruch, erst an zweiter Stelle steht in diesem Konzept der Leser. Der muss nicht mit Artikeln umworben werden, in denen jede Zeile das falsche (und oft geheuchelte) Versprechen ist, sie sei nur für den Leser geschrieben worden. Ein guter Journalist ist im besten Sinne ein Überzeugungstäter: Er schreibt, weil er der Meinung ist, dass die Welt erfahren muss, welche Gedanken in seinem Kopf sind, unabhängig davon, ob diese Gedanken anderen gefallen oder nicht. Einen guten Journalisten erkenne man daran, dass er sich nicht gemein mache mit einer Sache, meinte einst der Reporter und TV-Moderator Hanns Joachim Friedrichs, und er setzte hinzu: »auch nicht mit einer guten Sache.«
Diese Philosophie ging bei der JZ insofern auf, als dass die Auflage in der Zeit ihrer kurzen Existenz konstant blieb. Die Leserschaft hat es also honoriert, dass sie auch mit konfliktreicher Lektüre konfrontiert wurde. Für Kontroversen sorgte zum Beispiel ein Interview mit dem israelischen Friedensaktivisten Uri Avnery, der in der jüdischen Community in Deutschland umstritten ist. Auch die Kolumne des Erziehungswissenschaftlers Micha Brumlik in der aktuellen JZ-Ausgabe, in der er das Bedrohungsgefühl, das viele Juden in der Diaspora angesichts jüngster antisemitischer Vorfälle ergreift, als Ersatzhandlung hinsichtlich der Bedrohung durch die Hamas im Nahost-Konflikt interpretiert, dürfte für Gesprächsstoff unter den Lesern sorgen (den sie allerdings für mindestens zwei Monate im stillen Kämmerlein aufbewahren müssen, denn so lange wird die vom Verlag angekündigte Pause laut Ankündigung auf jeden Fall dauern).
Die »Jüdische Zeitung« wurde als Gegengewicht zur »Jüdischen Allgemeinen« gegründet, die vom Zentralrat der Juden in Deutschland seit mehr als 60 Jahren als Wochenzeitung herausgegeben wird. Obwohl die Auflage des Zentralrats-Blattes geringer ist, ist das Experiment JZ gescheitert. An der journalistischen Idee hat das sicherlich nicht gelegen. Die Lesergruppe, so meint der Herausgeber der »Jüdischen Zeitung« bedauernd, sei für die Werbeindustrie wenig attraktiv gewesen, weswegen die Anzeigenerlöse konstant niedrig blieben.
Mit diesem Schicksal ist die JZ beileibe nicht allein auf dem deutschen Pressemarkt. Aber vielleicht schafft die kleine Monatszeitung ein großes Wunder und es findet sich – wie vom Verleger erhofft – ein Investor oder ein Verband, der sich eine solche Zeitung leisten will. Ansonsten gilt: Wenn man schon kein Geld hat, sollte man wenigstens gute Ideen haben.
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