Weiterbildung statt Arbeitslosigkeit

Hessisches Pilotprojekt will Leiharbeitern Qualifizierung in der Kurzarbeit ermöglichen

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Tausende Leiharbeiter stehen auch in Hessen auf der Straße – denn statt Kurzarbeit und Weiterbildung werden sie oftmals einfach entlassen. Die Initiative BinZ.he der IG Metall und des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) will das ändern.

Angesichts der katastrophalen Auftragseinbrüche in der Industrie ist bei Betriebsräten und Stammbelegschaften in diesen Wochen die Versuchung groß, die Krisenfolgen zuerst durch Entlassung von Leiharbeitern abzumildern. Mehrere tausend hessische Leiharbeiter, die noch im vergangenen Sommer die Hoffnung hatten, vom Einsatzbetrieb unbefristet übernommen zu werden und so der Erwerbslosigkeit zu entkommen, stehen nun auf der Straße.

Entlassungen von Stammbelegschaften hingegen soll – in der Hoffnung auf bessere Zeiten – durch möglichst lange Kurzarbeit und mit Weiterbildungsmaßnahmen begegnet werden.

Mit diesem automatischen »Durchreichen« von Leiharbeitern zur Arbeitsagentur und dem drohenden Absturz in Hartz IV wollen sich jetzt gewerkschaftlich organisierte Zeitarbeiter nicht mehr abfinden. Über 1500 von ihnen sind bei der hessischen IG Metall organisiert. Von ihnen gingen im vergangenen Winter auch die Impulse aus, in ihrer Branche das anzuwenden, was vielerorts bereits für Stammbelegschaften gilt: Kurzarbeitsregelungen und berufliche Qualifizierung. Aus diesen Ansätzen heraus wurde die Initiative BinZ.he (Bildung in Zeitarbeit Hessen) ins Leben gerufen.

BinZ.he ist ein bis Ende 2010 befristetes Gemeinschaftsprojekt von IG Metall und DGB in Hessen mit den beiden Arbeitgeberverbänden Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) und dem Bundesverband Zeitarbeit (BZA). Mit Geldern der Bundesagentur für Arbeit (BA) sollen »die Folgen der Wirtschaftskrise abgemildert und weitere Entlassungen in der Branche vermieden« werden.

»Gerade in der Krise muss auch für die Zeitarbeit gelten: Kurzarbeit statt Entlassungen und Kurzarbeit für Qualifizierung nutzen«, so IG Metall-Bezirksleiter Armin Schild. Jetzt werde sich zeigen, was aus der Zeitarbeit wird: »Entweder Billigkonkurrenz oder faire Zeitarbeit«, so Schild. Für Hessens DGB-Chef Stefan Körzell, Mitglied im BA-Verwaltungsrat, bietet Fort- und Weiterbildung die Chance, Fachkräfte zu qualifizieren und sie vor dem Niedriglohnsektor zu schützen.

»Das Schreckgespenst der Arbeitslosigkeit verjagen, um in gemeinsamer Anstrengung Mitarbeiter solange wie möglich zu halten« möchte auch iGZ-Vizechef Georg Sommer. »Qualifizierung ist eine Kernfunktion von Zeitarbeit«, pflichtet ihm BZA-Hauptgeschäftsführer Ludger Hinsen bei.

Das hessische Pilotprojekt stützt sich darauf, dass Kurzarbeit nun auch in der Zeitarbeitsbranche möglich ist und die BA für die Dauer der Weiterbildung in der Kurzarbeit die Sozialversicherungsbeiträge übernimmt. Eigentlich ist das die Aufgabe der Leiharbeitsfirmen. Die reagieren jedoch noch »recht zögerlich«, so der Frankfurter IG Metall-Sekretär Thomas Kasper. Darum wurden die Verbände iGZ und BZA ins Boot geholt. Mit der Koordinierung der Qualifizierungsmaßnahmen wurde die Beschäftigungsgesellschaft MYPEGASUS beauftragt, die nach eigenen Angaben in den 1990er Jahren »aus dem betrieblichen Konflikt um den Erhalt von Arbeitsplätzen beim Reutlinger Maschinenbaubetrieb Burkardt& Weber« hervorgegangen ist und sich als »größter Komplettanbieter im Bereich Personaltransfer« bezeichnet. Ab dem 2. Mai sollen erste Qualifizierungsmaßnahmen anlaufen, mit denen Betroffene dann Gabelstaplerscheine und Zertifikate für Schweiß- und Programmiertechnik oder Gefahrguttransporte erwerben können.

Die IG Metall will mit dem aus der Not geborenen Projekt BinZ.he allerdings nicht ihre grundsätzliche Kritik am »Skandal der Leiharbeit« über Bord werfen, die sie im vergangenen Herbst mit ihrem »Schwarzweißbuch-Leiharbeit« publik gemacht hatte. So bekräftigte Thomas Kasper auf ND-Anfrage die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit und einer zeitlichen Begrenzung der Leiharbeit im Einsatzbetrieb auf maximal sechs Monate. Zeitarbeit sei allenfalls als »Puffer« zur Überbrückung von Personalausfällen akzeptabel, dürfe aber nicht über einen Anteil von drei oder maximal fünf Prozent hinausgehen und keinesfalls zur Verdrängung von Stammbelegschaften führen.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal