Krisenregulierung »von oben«

  • Ulrich Brand
  • Lesedauer: 4 Min.
Krisenregulierung »von oben«

In den aktuellen Krisen kommt es zu einer Aufwertung staatlicher Politik, wie sie vor zwei Jahren kaum für möglich gehalten worden wäre. Allerdings bedeutet staatliche Politik nicht gleichzeitig mehr progressive Politik. Wir erleben gegenwärtig Formen der Krisenintervention und Regulierung, die eher jenen Kräften dienen, die bereits in den letzten 20 bis 30 Jahren ihre Interessen eher durchsetzten als andere. Das wird unterstützt von Gewerkschaften, die ideen- und kraftlos die bestehenden, wenig nachhaltigen Industriestrukturen erhalten wollen und nicht auf die Idee kommen, dass etwa die Automobilindustrie dringend zu einer Mobilitätsindustrie umgebaut werden muss, indem das enorme Wissen von Beschäftigten und Management genutzt wird. Gewerkschaften, die zu schwach und nicht willens sind, eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit attraktiv zu machen und durchzusetzen. Es dominiert ein strukturkonservativer Keynesianismus – bis weit in die Linkspartei.

Staat und Wirtschaft passen derzeit ganz gut zusammen in der Krisenregulierung »von oben«. Die Erwartung, dass der Staat in der Krise nun plötzlich progressive Politik machen würde, ist in einem so konservativen Land wie Deutschland derzeit naiv. Was in der Debatte und Politik weitgehend vernachlässigt wird, ist ein kritisches Begreifen des Staates selbst. Der ist nämlich keine den Märkten »gegenüberstehende« Instanz, sondern es handelt sich um die politische Institutionalisierung sozialer Auseinandersetzungen und Kräfteverhältnisse. Unter Bedingungen einer kapitalistischen Gesellschafts- und Eigentumsordnung sichert der Staat zuvorderst diese ab. Das ist nicht seine einzige Aufgabe, aber eine zentrale. Insofern kommt es derzeit zwar krisenbedingt zu einer enormen Entwertung von Vermögen, aber nicht zu progressiven Orientierungen und zu einer Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Daran haben die herrschenden politischen und ökonomischen Kräfte als letztes Interesse.

Wirtschaft und Staat gehen in kapitalistischen Gesellschaften dann gut zusammen, wenn die Interessen der Unternehmer und Vermögensbesitzer mit denen der Bevölkerungsmehrheit nicht zu weit auseinanderliegen, wenn die politischen, ökonomischen und kulturellen Verhältnisse weitgehend akzeptiert sind. Wenn also Klassenherrschaft, patriarchale Geschlechterverhältnisse, die ethnische Strukturierung von Teilhabe und Lebenschancen nicht infrage gestellt werden (können). Antonio Gramsci nannte das Hegemonie, das heißt eine Form der Herrschaft, in der Konsenselemente wichtig sind.

Seit den 1980er Jahren und vor allem in den 1990er waren die herrschenden sozio-ökonomischen Kräfte in der Lage, ein neoliberales Projekt der kapitalgetriebenen Europäisierung und Globalisierung, der Schwächung der Gewerkschaften, der Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und anderes zu formulieren. Es wurde hegemonial und zu staatlicher Politik, weil andere Kräfte mitmachten oder nichts dagegensetzen konnten. In der aktuellen Krise geraten nun einige der neoliberalen Selbstverständlichkeiten der letzten 30 Jahre ins Wanken: Dass etwa die Märkte sich selbst regulieren und das Wachstum der Finanzmärkte – abgesehen von kleineren »Anpassungen« – krisenfrei verlaufen kann.

Und dennoch fällt auf, dass die dominanten Formen der staatlichen Krisenregulierung von den auch vorher ökonomisch und politisch herrschenden Eliten formuliert werden. Das ist Ausdruck der Schwäche linker Kräfte im Staat, in Parteien, in Gewerkschaften und in der Öffentlichkeit. Da diese nicht in der Lage sind, attraktive, nach vorne weisende und vor allem herrschaftskritische Projekte zu formulieren und durchzusetzen, bleiben sie wahlarithmetisch und gesellschaftspolitisch am Rande. Das zeigt sich etwa in der sich immer mehr abschottenden Partei- und Wahlfokussierung der Linkspartei, die gar kein Interesse hat, mit progressiven sozialen Bewegungen und Intellektuellen zusammenzuarbeiten. Von denen kamen historisch am ehesten Anstöße zu progressiven und Herrschaft infrage stellenden Politiken. Und diese Anstöße wären bitter nötig.

Nun wird man einwenden, dass die Obama-Regierung derzeit zeigt, was an progressiver Politik möglich ist. Die Konstellation ist in den USA jedoch etwas anders: Zum einen profitiert Obama von Jahren eines in der Gesellschaft immer stärker kritisierten Konservatismus seines Vorgängers, zum anderen muss sich noch zeigen, inwieweit er sich in zentralen Fragen gegen das Finanzkapital und den industriell-militärischen Komplex durchsetzen kann. Und es gibt hierzulande keine Politikerinnen oder Politiker, die auch nur annähernd das Durchsetzungsformat hätten, das bei Obama zumindest Hoffnungen weckt.

Wir erleben derzeit eine Situation, in der um »postneoliberale Strategien« der Krisenbewältigung gerungen wird. Darin müssten Stimmen hörbar werden, die neben der Wirtschaftskrise auch Vorschläge gegen die dramatische Verarmung von großen Teilen der Weltbevölkerung, für ein neues Energiemodell und Projekte zur Bearbeitung der ökologischen Krise vorschlagen. Es geht um nicht weniger als den sozial-ökologischen und demokratischen Umbau unserer Produktions- und Lebensweise. Das ist viel mehr als der von den Grünen vorgeschlagene »green new deal«.

Insofern ist für eine progressive Politik die Frage wichtig, inwiefern staatliche Politik in wichtigen Fragen gegen die Interessen der herrschenden ökonomischen Kräfte durchgesetzt werden kann. Wann gehen »Staat und (kapitalistische) Wirtschaft« mal nicht zusammen und werden progressive Projekte in der Gesellschaft und auf staatlicher Ebene durchgesetzt?

Prof. Dr. Ulrich Brand, 1967 geboren, ist Professor für Internationale Politik an der Universität Wien. Davor lehrte er u. a. an den Universitäten in Kassel und Frankfurt am Main. Ulrich Brand ist bei der Bundeskoordination Internationalismus (BuKo) und im wissenschaftlichen Beirat der globalisierungskritischen Organisation Attac engagiert. Zusammen mit Nicola Sekler ist er Herausgeber des kürzlich erschienenen Bandes »Postneoliberalism: A beginning debate«.

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