»Zwischen Hoffnung und Enttäuschung«

Die Ex-Gerichtsreporterin Peggy Parnass unterstützt Mumia und fordert ein Ende der Todesstrafe

  • Lesedauer: 4 Min.
Die Hamburger Shoa-Überlebende, Autorin, Kolumnistin und langjährige Gerichtsreporterin Peggy Parnass ist Mitherausgeberin von Mumia Abu-Jamals erstem Buch » ... aus der Todeszelle«. Über ihren Kampf für den Journalisten und gegen die Todesstrafe weltweit sprach mit ihr für ND Birgit Gärtner.

ND: Warum unterstützen Sie Mumia Abu-Jamal?
Parnass: Mumia wurde wie viele hervorragende Journalisten bestraft für seine Qualität und seinen Mut, sich deutlich zu äußern. Kürzlich las ich, dass allein 2008 über 200 Journalisten weltweit in Ausübung und aufgrund ihres Berufes umgebracht wurden. Es ist den US-amerikanischen Gerichten gelungen, Mumia einzukerkern und zum Tode zu verurteilen. Glücklicherweise ist es ihnen nicht gelungen, ihn mundtot zu machen. Stellen Sie sich mal vor: Er denkt, er schreibt, er nimmt teil und lässt andere teilnehmen – seit 27 Jahren mit dem Tod vor Augen. 27 Jahre ohne Familie, ohne Umarmungen, ohne Liebe, ohne Selbstbestimmung. Und das, obwohl in der ganzen Welt Millionen von Menschen – berühmte und nicht berühmte – sich für seine Freiheit eingesetzt haben. Wie muss er dadurch immer wieder zwischen Hoffnung und Enttäuschung hin und her geschleudert worden sein? Was muss es ihn kosten, überhaupt noch bei Verstand zu bleiben? Davor habe ich großen Respekt, und deshalb unterstütze ich ihn.

Der Fall legt nahe, dass Recht haben und Recht bekommen zwei unterschiedliche Dinge sind. Können Sie als ehemalige Gerichtsreporterin diese Erfahrung bestätigen?
Justiz findet nicht im luftleeren Raum statt. Ich glaube nicht, dass Richter, Staatsanwälte und Strafverteidiger unbeeinflusst von Medien, politischen Strömungen, Moden und Zeitgeist agieren können. Ich wurde Gerichtsreporterin, um deutlich und unerschrocken zu berichten, was in der deutschen Justiz läuft. Ich wollte über NS-Prozesse berichten. Aber die fanden ja nicht statt. In meinem Buch »Prozesse«, kommen in 81 Gerichtsreportagen nur drei NS-Prozesse vor: der Majdanek-Prozess, das Verfahren gegen Dr. jur. Ludwig Hahn, dem 280 000 Morde an Juden zur Last gelegt wurden, sowie ein Rechtsstreit zur Rehabilitierung von Fiete Schulz, dem wunderbaren Widerstandskämpfer, der von den Nazis mit dem Handbeil hingerichtet wurde. Im Majdanek-Prozess wurden die Angeklagten »im Namen des Volkes« zu ein Mal lebenslänglich, ein Mal zwölf, ein Mal zehn, ein Mal acht, ein Mal sechs, ein Mal vier, ein Mal 3,5, ein Mal drei und ein Mal zwei Jahren verurteilt. Dazu kam ein Freispruch. Ludwig Hahn bekam zwölf Jahre mit Haftverschonung ...

Keine positiven Ausnahmen?
Da gab es einen Oberstaatsanwalt, dessen Namen ich leider vergessen habe. Er kämpfte jahraus, jahrein vergeblich darum, Nazi-Täter vor Gericht zu bringen. Aber er wurde so gemobbt und gequält, dass er schließlich in der Psychiatrie landete.

Sind Sie generell gegen die Todesstrafe?
Seit vielen Jahren unterstütze ich Amnesty International in deren Kampf gegen die Todesstrafe weltweit. Nicht, weil niemand sie verdient hätte. Nur für die, die sie verdient hätten, ist sie mir zu human. Denn Massenmördern wünsche ich keinen schnellen Tod. Was für mich allerdings gegen die Todesstrafe spricht, sind die vielen Fehlurteile. Ich weiß nicht, bei wie vielen Gehängten oder auf dem elektrischen Stuhl oder per Giftspritze Hingerichteten sich später herausstellte, dass sie unschuldig waren.

Der juristische Kampf um die Wiederaufnahme des Verfahrens scheint verloren. Gibt es trotzdem Hoffnung auf Freiheit für Mumia?
Das, was wir alle wollten und immer noch wollen, die Wiederaufnahme seines Verfahrens, und damit letztendlich seine Freiheit, konnten seine Anwälte und seine Unterstützer auf der ganzen Welt nicht erreichen. Damit dürfen wir uns nicht abfinden, wir müssen weiter für seine Freiheit kämpfen. So lange das juristische Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, kann er zwar nicht hingerichtet werden, aber das Todesurteil ist nach wie vor gültig und könnte umgehend vollstreckt werden. Sein Leben ist also nach wie vor bedroht, zur Zeit mehr denn je, denn das alles kann sehr schnell gehen.

Die ganze Welt hofft auf Barack Obama. Glauben Sie, dass er sich für Mumia einsetzen wird?
Obama weiß, was es heißt, in den USA schwarz zu sein. Als Jurist wird er wissen, dass sich Rassismus wie ein roter Faden durch das US-Justizsystem zieht. Klar ist, dass Obama nicht alles kann, was die Welt sich jetzt im Freudentaumel von ihm verspricht. Aber auf die Freilassung von Mumia bestehen, das könnte er. Mit Hilfe seiner Frau, seiner Freunde und aller anständigen, auch weißen Amerikanern – und der Unterstützung von Mumias Freunden auf der ganzen Welt.

Peggy Parnass: Prozesse. 16. Auflage, zu bestellen nur bei Buchhandlung Wohlers, Lange Reihe 70, 20099 Hamburg, 040 24 77 15.

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