Qual des unerwiderten Begehrens

Benjamin Brittens Oper »Death in Venice« im Hamburgischen Schauspielhaus

  • Irene Constantin
  • Lesedauer: 4 Min.

Benjamin Brittens »Death in Venice« vor einer Reihe von Jahren in Nürnberg: auf der Bühne ein hellbuntes Treiben am Strand mit einem todsüchtig feiernden Dichter inmitten. Im Publikum gutgebaute junge Männer in gutsitzender Garderobe. Eine Handvoll Damen verloren dazwischen.

»Death in Venice« jetzt in Hamburg: das hanseatische Premierenpublikum wie eh und je. Die Bühne ein karges Nichts; schwarze Hänger, eine weiße Leinwand davor für die Schattenbilder zweier Gondolieri, ein tischförmiges Hubpodium, darunter eine Versenkung, aus der es gelegentlich dampft, in der der Begleiter des Helden immer wieder verschwindet, als hätte der ihn nur geträumt. Das einzige Requisit in Ramin Grays Inszenierung ist eine riesige Windmaschine, später eine zweite. Aus ihnen quellen flatternd durchsichtige Seidenschleier. Gelegentlich bringt allein die von Kandis Cook dezent kostümierte wohlhabende Badegesellschaft etwas helle Farbe ins Bild.

Auf der Bühne ein Mann, der unter Qual und selbst-verbotener Lust das Leben sucht und den Tod findet. In jeder der 17 Szenen begegnet ihm ein Ver-Führer in einen neuen Winkel im Labyrinth seines Inneren. Immer tiefer steigt er in sich hinab, der erfolgreiche Schriftsteller und Leistungsmensch, der anfangs nicht uneitel darüber sinniert, wofür ihn die Gesellschaft bewundert. In Vernunft, reinem Stil und makelloser Form sublimierten sich Leben und unantastbare Leistung, kristallin bis zur Erstarrung.

Gustav von Aschenbach singt darüber in Monologen, Britten begleitet sie rezitativartig mit einem durchsichtigen Klavierpart. Als ein seltsamer Mensch auftaucht, schwarzhäutig wie ihn der aus Münchener besseren Kreisen kommende Großschriftsteller vermutlich noch nie wahrnahm, und ihm von den üppigen Blumen der Wildnis und den leuchtenden Augen des Tigers im Dschungel flüstert und raunt, bekommt die Musik mit Holzbläsern und Streichern so etwas wie eine verführerisch leichtflüchtige Süße. Aschenbach folgt der Verlockung des Südens bis an den Lido in Venedig, beginnt aufzuleben, sieht den unbegreiflich schönen Jüngling Tadzio und verfällt der Qual des unerwiderten Begehrens. Es ist ein tödlich keusches Coming-out, was der alternde Aschenbach erlebt.

Thomas Mann war 38, als er die Novelle »Tod in Venedig« schrieb und in der Verfassung, auch die Peinlichkeit dieser Leidenschaft des Alternden schneidend ironisch herauszupräparieren, Benjamin Britten nicht. Für ihn war »Death in Venice« ein erlösendes öffentliches Bekenntnis zur Homosexualität, das er als vom Tod gezeichneter Künstler komponierte. Das Werk vereint, was ihn immer inspirierte: das Meer, die Stadt Venedig in ihrer westlich-orientalischen Ambivalenz, den Energiestrom, den er von Kindern in seiner Umgebung empfing, die Liebe zu einem Mann.

Die musikalischen Mittel sind ausgedünnt zum Kammerorchester, zu melismatischen Kammerchor-Einwürfen. Getragen wird die Oper von der unaufhörlich auf der Bühne mono- und dialogisierenden Hauptfigur Gustav von Aschenbach. Er wird mit einer Gegenfigur konfrontiert, die in immer neuen Verkörperungen auftritt, dem alternden Gecken mit seiner Jungmännergruppe auf der Reise, dem Gondoliere auf dem Weg zum Hotel, dem Hotelmanager, dem Friseur, dem Anführer der lasziven Straßensänger. Reiseagent und Hotelbote kommen dagegen als Vernunft-Stimmen nicht an.

Nach den etwas hermetischen Verliebtheitsstadien des Dichters im ersten Teil der Oper führt der zweite in allgemeinere Betrachtungen über Sinnlichkeit und Weisheit, Kunst, Schönheit und Tod. In einer Traumsequenz kämpfen Dionysos und Apollo um Aschenbachs Seele. Das Chaos mit dem Namen Cholera wird sie holen.

Des Dichters ruinöses Alter Ego wurde in Hamburg von dem charismatischen Nmon Ford gesungen, einem jungen Bariton, dessen Stimme so beweglich wie sein Körper ist, der mit samtigem Timbre verführt und gleich darauf, falsettierend beklemmend, mit leichter Stimme betört und quäkend verstört, ein wahrer Höllenknabe. Tadzio spricht in Thomas Manns Novelle selbst nicht, in der Oper ist er ein Tänzer. Mit dem 16-jährigen Neumeier-Schüler Gabriele Frola fand man eine ideale Besetzung. Er zeigte in der Choreografie von Thom Stuart die edlen Gesten antiker Skulpturen, in den Bewegungen eine zu purer Schönheit geronnene Verführungskraft, im Ausdruck lauterste Unschuld und im Umgang mit seinesgleichen eine raubtierhaft unbewusste Lässigkeit.

Michael Schade, lyrischer Tenor auf den Bühnen der Welt, hatte sich in dieser Partie unter höchster Selbstkontrolle schier aufzulösen. Wie er seine Stimme dabei im Griff hatte und nur in winzigen Momenten ins nervös Unbeherrschte ausrutschen ließ, wie er sie vom hochreflexiv spröden Monolog zum euphorischen Erleben aufleuchten ließ, hielt den Abend über in Spannung.

Ist das Orchester mit hohen Holzbläsern, Violinen, Harfe, leichtem Schlagwerk und der Celesta als Klanggestalt für Tadzio schon in lichten Farben besetzt, so löste Simone Young am Pult der Hamburger Philharmoniker den Orchesterklang in Pastellfarben nahezu auf. Allein im Kolorit des Orchesters wurde jede sonst peinlich vermiedene Assoziation an den Visconti-Film mit seinem milchigen Lagunenlicht denn doch geweckt.

Hamburg applaudierte.

Weitere Aufführungen am 26. und 29.4., am 2., 5. und 10.5.

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