• Politik
  • Nachwirkungen des NATO-Gipfels

Kriminalisierung der Proteste

Frankreichs Rechtsregierung macht gegen Links mobil

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Bilder von den schwarz vermummten Jugendlichen, die am Rande der Proteste gegen den NATO-Gipfel in Straßburg einige Häuser verwüstet haben, müssen auf Innenministerin Alliot-Marie inspirierend gewirkt haben. Am Tag danach trat sie mit einem neuen Projekt für die Verschärfung der Repressionen gegen jegliche Form von Protesten vor die Medien: Ein gesetzliches »Vermummungsverbot« müsse her. Dabei beruft sich die Ministerin ausdrücklich auf die Praxis in Deutschland, die »vorbildlich« sei.

Doch vermummte Jugendliche, die bei solchen Gelegenheiten Scheiben einschlagen, Geschäfte plündern oder Autos anzünden, sind eine traditionelle Erscheinung in Frankreich. Dahinter stecken weniger politische Motive als vielmehr angestauter Frust oder schlichte Lust an der Gewalt. Mit diesen Jugendlichen sind bisher die Ordnungsdienste der Gewerkschaften oder der linken Parteien, die die Demonstrationen organisiert haben, ganz gut fertig geworden. Die Polizei hielt sich dabei meist zurück. Das soll nun anders werden, denn Präsident Sarkozy und seine Innenministerin haben den Kampf gegen die »anarcho-autonome Ultralinke« zur Priorität erklärt.

Unter diese diffuse, aber hochpolitische Etikettierung fällt vieles, was bisher bestenfalls eine »Ordnungswidrigkeit« war. Dabei scheuen sich Polizei, Justiz und der Inlandsgeheimdienst DCRI nicht, krude Verbindungen zum Terrorismus herzustellen, weil sich damit vieles rechtfertigen lässt. Wenn etwa »Vermummungen« verboten sind, wird die Erfassung von Protestierern, die von der Polizei systematisch gefilmt und fotografiert werden, effizienter. Davon betroffen sind nicht nur Teilnehmer von politischen Demonstrationen oder Aktionen, sondern auch Streikposten oder gar Besucher von Sport- und anderen Massenveranstaltungen, die eventuell »aus dem Ruder laufen« könnten. Schnell kann so jeder in einer oder mehreren der gut drei Dutzend Personendatenbanken der Polizei, der Justiz und des Inlandsgeheimdienstes landen. Und das Beispiel macht auch in der Privatwirtschaft Schule. So wurde kürzlich aufgedeckt, dass der Elektrokonzern EDF Atomkraftgegner ausspionieren ließ.

Julien Coupat, »Chef und Ideologe« einer von der Innenministerin als »anarcho-autonom und ultralinks« eingestuften Kommune, die für eine Serie mysteriöser Anschläge auf Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecken verantwortlich gemacht wurde, sitzt noch heute im Gefängnis. Dabei konnten Polizei und Militär nach einem handstreichartigen Angriff auf den Wohnsitz der Gruppe im Dorf Tarnac nichts Belastendes finden. Und Coupats Akte ist nach Auskunft der Anwälte »praktisch leer« – trotz monatelanger Beschattung wegen eines FBI-Hinweises, er habe an einer Demonstration in New York teilgenommen, bei der Unbekannte einen selbst gebastelten Sprengkörper gegen ein Rekrutierungsbüro der Armee schleuderten, aber kaum Schaden angerichtet haben. Doch auch viele Taten jugendlicher Kleinkrimineller werden heute von der Polizei mit oft haarsträubenden Argumentationen zu politischen Aktionen oder gar Terroranschlägen »hochstilisiert«, warnt die Gewerkschaft der Anwälte.

In dieses um sich greifende Klima von Unterstellungen, Verdächtigungen und Kriminalisierung passt, dass Sarkozy, als er noch Innenminister war, ernsthaft erwogen hat, »verhaltensauffällige« Kinder vom dritten Lebensjahr an erfassen, beobachten und regelmäßig analysieren zu lassen, um schon früh »asoziale und kriminelle Anlagen« aufzudecken und entsprechend aktiv zu werden. Ein Sturm der Entrüstung veranlasste ihn seinerzeit, das Projekt in der Schublade verschwinden zu lassen. Doch da wartet es sicher nur auf einen passenden Augenblick, um wieder hervorgeholt zu werden.

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