Letzter Abend einer Sekretärin

Theatertreffen Berlin: Schauspiel Köln gibt »Wunschkonzert« von Franz Xaver Kroetz

  • Christoph Funke
  • Lesedauer: 3 Min.
»Pause. Dann Ende.« – Julia Wieninger
»Pause. Dann Ende.« – Julia Wieninger

Fräulein Rasch, Anfang vierzig, kommt von der Arbeit nach Hause und bereitet sich zum Tode. Aber das weiß sie zunächst gar nicht, und Franz Xaver Kroetz gibt ihr auch keine Worte dazu. In seinem Stück »Wunschkonzert« aus dem Zyklus »Frauengeschichten« beschreibt er dafür mit äußerster Genauigkeit, wie die nicht mehr junge, aber peinlich auf Sauberkeit. Ordnung und Disziplin bedachte Frau ihren Feierabend ausrichtet. Alles verläuft wie immer, wie seit vielen, vielen Jahren schon, ruhig und unabänderlich. Bis zum Schluss, vor dem Zubettgehen, der Griff zu den Tabletten erfolgt. Ruhe, Bedachtsamkeit auch hier – und doch, eine Regung zum Luxus. Die Pillen werden mit Sekt aus einer Piccolo-Flasche heruntergespült, »Pause. Dann Ende« schreibt Kroetz.

In der Inszenierung der 1946 in Reading, Großbritannien geborenen Regisseurin Katie Mitchell am Schauspiel Köln wird dieses Ende weiter ausgemalt. Der am Abend sorgsam aufgezogene Wecker klingelt am Morgen um 6.00 Uhr – Fräulein Rasch erwacht nicht mehr. Aber war sie vorher überhaupt da? Die Regisseurin baut nicht auf die körperliche Gegenwart der von Julia Wieninger dargestellten Figur. Sie entwirft überhaupt ein anderes Stück, entkleidet den Todesbericht der sozialen Aggressivität und wuchtet statt dessen eine opulente, fast schon schwülstige theatralische Unternehmung auf die Bühne. Die gleicht in allem Aufwand und technischem Wirrwarr einem Film-Set heutiger Tage, ist in viele Segmente zerklüftet und in dauernder Veränderung.

Vier Schauspielerinnen und ein Schauspieler treten außer Julia Wieninger auf, dazu Ton- und Filmleute, Techniker, ein Streichquartett. Die Kargheit eines möblierten Untermietzimmers Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts verwandelt sich in eine Wohnlandschaft vieler gleichzeitig aufgebauter Drehorte, in der sich die Heldin verliert. Sie ist fast ausschließlich auf einer Video-Wand zu sehen. Denn ununterbrochen wird in den vielen, wandlungsreichen Segmenten der weit aufschwingenden Bühne (Alex Eales) aufgebaut, ausgebreitet und wieder eingepackt, Männer und Frauen huschen über die Szene in einem verwirrenden Durcheinander. Das wäre ärgerlich, wenn Katie Mitchell nicht eine verblüffende Absicht verfolgte. Sie will mehr als nur den einen, letzten Abend der Heldin dokumentieren, sondern ihr ganzes, ein ganzes Leben.

Deshalb sind Frauen verschiedenen Alters stellvertretend für die Heldin auf der Bühne, stehen für noch hoffnungsfrohe Jugend und allmähliche Vereinsamung, rufen Träume, Wunschträume in Erinnerung – ein grüner Teppich in Bühnenmitte nimmt sogar eine schüchterne Liebesszene auf. Fräulein Rasch ist so immer da, auch wenn sie nicht zu sehen ist – in einer Vielheit von Möglichkeiten, Ereignissen. Schicksalen. So faszinierend die Regisseurin diesen Lebenswirbel im Gegensatz zur Gemessenheit und emotionalen Nüchternheit der Heldin auch steuert, sie verzettelt sich in einer überquellenden Fülle gedoppelter und verdreifachter alltäglicher Verrichtungen.

Gern hätte man Julia Wieninger näher gehabt, gegenwärtiger, nicht nur entrückt auf der großen Bildwand. Da zeigt sie ein Gesicht voller stiller, aber bereits verbrauchter Würde, einen Ernst an der Grenze zur Verzweiflung. Nur ein leichtes Lächeln ist zu entdecken, beim stummen Kontakt mit den Fischen im Glas. Sonst nur verbissene Verhaltenheit, mühsam zurückgedämmte Verzweiflung, ausweglose Trauer. Ein Gesicht, das gefangen nimmt, ohne Worte erzählt, und des Aufwands auf der Bühne nicht bedurft hätte.

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