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Benedikt zwischen den Mauern

Die Nahostreise des Papstes ist nicht nur wegen der Affäre um den Holocaustleugner Williamson eine politische Gratwanderung

  • Ingolf Bossenz
  • Lesedauer: 6 Min.

Mit Mose beginnt der Tag. Zumindest der heutige zweite Tag der Nahostreise von Papst Benedikt XVI. Denn nach einer Privatmesse in der Kapelle der Apostolischen Nuntiatur von Amman geht es zuerst auf den Berg Nebo nordöstlich des Toten Meeres. Von seinem 802 Meter hohen Gipfel soll einst Mose das Gelobte Land erblickt haben. Und Gott sprach zu ihm: »Ich habe es dich mit deinen Augen schauen lassen. Hinüberziehen wirst du nicht.« Danach, so das Alte Testament, starb Mose.

Im Unterschied zu Mose, dem »Knecht des Herrn«, wird es Benedikt, dem »Arbeiter im Weinberg des Herrn«, beschieden sein »hinüberzuziehen« ins Gelobte Land. Allerdings steht Israel erst ab Montag auf dem Reiseplan des 82-Jährigen. Das Wochenende verbringt der katholische Kirchenführer in Jordanien, wo er am Freitag eingetroffen war.

Warm-up für heiße Tage in Israel

Die Tage in Jordanien dürften ein politisches Warm-up sein für das heiße diplomatische Pflaster, das Joseph Ratzinger in Israel erwartet. »Es hat genügt, dass König Abdullah II. den Papst zu seinem persönlichen Gast erklärt hat, damit das ganze Land sich in Bewegung setzte«, beschreibt der Lateinische Patriarch von Jerusalem, der Jordanier Fouad Twal, die Stimmung im mehrheitlich muslimischen Jordanien. »Der Besuch des Heiligen Vaters wird in meiner Heimat ein großes Fest werden.« Es gibt Begegnungen mit christlichen Prälaten sowie mit muslimischen Religionsführern, eine Messe wird im Stadion von Amman gefeiert und es steht der Besuch jener Stelle im Jordan an, wo Johannes der Täufer Jesus mit Wasser besprengt haben soll. Alles ohne diplomatische Fallstricke.

Das war Anfang 1964 noch ganz anders, als Papst Paul VI. zu einer Reise ins Heilige Land aufbrach, dessen politische Geografie damals erheblich von der heutigen abwich. Auch dieser Pontifex begab sich zuerst nach Jordanien, dem seinerzeit das dann im Nahostkrieg 1967 von Israel besetzte Westjordanland ebenso verwaltungsmäßig unterstand wie das hernach israelisch annektierte Ostjerusalem. Eigens für den Papstbesuch errichtete Israel einen provisorischen Grenzübergang bei Megiddo, dem biblischen Armageddon. Friedensappelle, die Paul VI. verkündete, fruchteten bekanntlich nichts. Für Ärger sorgte der Streit um die Haltung von Pius XII. zur Judenverfolgung und -vernichtung durch die Hitlerfaschisten. Als Paul VI. diesen Papst in Israel gegen die Kritik dortiger Medien in Schutz nahm, rief das Unmut bei seinen Gastgebern hervor.

In den vergangenen 45 Jahren haben sich die Differenzen in dieser Frage nicht verringert. Seit Jahren läuft das Verfahren zur Seligsprechung von Pius XII. und der Vatikan hat gerade erst eine propagandistische Offensive eingeleitet, die den Pacelli-Papst von allen Vorwürfen des Schweigens zum Holocaust befreien soll. So präsentiert eine vatikanische Sonderausstellung, die auch nach Deutschland kam, den Protagonisten von Rolf Hochhuths Drama »Der Stellvertreter« als veritablen Mann ohne Makel. Da die israelische Offizialität von einer solchen Sicht weit entfernt ist, meidet Benedikt XVI. bei seinem Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem in Jerusalem das dortige historische Museum. Darin wird Pius XII. als Papst dargestellt, der »weder schriftlich noch mündlich« gegen den Massenmord an den europäischen Juden protestiert hat.

Während Pius XII. ein historisches Problem ist, stellt Richard Williamson ein aktuelles dar. Der britische Traditionalistenbischof, der im Januar zusammen mit drei seiner reaktionären Amtsbrüder durch den deutschen Papst wieder in den Schoß der Una Sancta zurückgeholt worden war, hat sich bislang nur sehr dürftig von seinen Äußerungen zur Leugnung des Holocaust distanziert. Die Beteuerungen von Papst und Heiligem Stuhl, die Aufhebung der Exkommunikation billige in keiner Weise Williamsons krude Ansichten, glätteten zwar zunächst die Wogen der (nicht nur) jüdischen Empörung.

Worte werden auf die Goldwaage gelegt

Doch wird man gewiss jedes Wort Ratzingers während seines Israel-Besuchs auf die politische Goldwaage legen. Dass deren Ausschlag trotz aller Sorgfalt der päpstlichen Redengestaltung sehr unterschiedlich sein kann, zeigte die Ansprache Benedikts 2006 in der Gedenkstätte Auschwitz. Die Skala der Bewertungen reichte damals vom ergreifenden Appell für Versöhnung und Vergebung bis zur Absage an eine Mitverantwortung auch der katholischen Kirche für die Menschheitstragödie mit dem Hinweis auf die »Abwesenheit Gottes« in dem Todeslager.

Eine ähnlich ambivalente Dimension hatte bereits 1998 das in elfjähriger Kommissionsarbeit erstellte Vatikandokument »Wir erinnern – Eine Reflexion über die Schoah«. Zwar wurde in der Schrift eingeräumt, dass es »viele Christen an der nötigen Widerstandskraft« hätten fehlen lassen, aber die katholische Kirche als Institution blieb unangetastet – wie übrigens auch bei späteren »Mea Culpa«-Schuldbekenntnissen zur inquisitorischen Verfolgung Andersdenkender oder zu Verbrechen bei der Kolonialisierung.

Solch relativierender Rückblick ist angebracht angesichts der jetzt wieder besonders hochgeschraubten Erwartungen in die Nahostreise Ratzingers. Auch mit Blick auf die israelische Seite, die sich vom Heiligen Stuhl, mit dem seit 1993 volle diplomatische Beziehungen bestehen, ebenso wenig in ihre aggressive Politik hineinreden lässt wie von der übrigen »internationalen Gemeinschaft«. Allenfalls wird man sich bemühen, den kurz vor dem Papstbesuch wieder aufgeflammten Gaza-Konflikt nicht ausgerechnet während der pontifikalen Visite eskalieren zu lassen. Man erinnere sich: Wenige Monate nach der mit reichlich Hoffnung bedachten Nahostreise von Papst Johannes Paul II. im »Heiligen Jahr« 2000 – Benedikt folgt im Wesentlichen deren Stationen – entbrannte im Gefolge eines forcierten Restriktionskurses Israels gegenüber den Palästinensern die zweite Intifada.

Pomp und Publizität, die den Papst auf Reisen begleiten, machen bisweilen vergessen, dass der Mann in Rom nicht das moralische Oberhaupt und Gewissen der Welt, sondern der Leiter einer religiösen Zentralbehörde ist. Und insofern ist der Rat des vatikanischen Botschafters im Heiligen Land hilfreich. Erzbischof Antonio Franco empfiehlt nämlich, die Nahostreise des Papstes nicht durch eine politische, sondern eine religiöse Brille zu betrachten. Ziel seiner einwöchigen Visite sei es, die »Christen im Heiligen Land, die täglich Schwierigkeiten ausgesetzt sind«, zu ermutigen, erklärte Benedikt .

Heiliges Land. Gelobtes Land. Erez Israel. Religiöse Geschichte, die immer wieder für politische und territoriale Ansprüche herhalten musste und muss, trifft Minderheiten stets besonders. So die noch 170 000 palästinensischen Christen, die in Israel und den Palästinensergebieten leben.

Sperranlage nicht auf Ratzingers Tourplan

Zweifellos gehören Christen – wie man auch in Irak sieht – im Nahen und Mittleren Osten gerade deshalb zu den besonders Bedrängten, weil sie keiner der einschlägigen, religiös konturierten oder verbrämten »Fronten« zuzuordnen sind. Eine Verbesserung ihrer Lage ist letztlich nur durch eine Entspannung an diesen Fronten zu erreichen. Das Wissen darum spricht auch aus der Bemerkung des Papstes zu seinem Anliegen an den Heiligen Stätten: »Den Herrn um die wertvolle Gabe der Einheit und des Friedens für Nahost und für die ganze Menschheit bitten.« Ein hehres Ziel, an das zu glauben im Entstehungsgebiet der drei abrahamischen Religionen Judentum, Christentum und Islam besonders schwer fällt.

Zumal viele christliche Palästinenser vom Papst nicht nur geistlichen Zuspruch, sondern klare Parteinahme gegen die israelische Bedrückung fordern. »So wie der Papst wichtige Plätze der Juden wie Jad Vaschem und die Klagemauer besucht, sollte er auch Orte besuchen, die für christliche Palästinenser wichtig sind«, sagt Dimitri Diliani. Mit solchen Orten meint der Präsident der Nationalen Christlichen Koalition in den Palästinensergebieten nicht die Geburtsgrotte in Bethlehem oder die Grabeskirche in Jerusalem, die auf Ratzingers Tourplan stehen. Diliani meint vor allem die von Israel gebaute Sperranlage zum Westjordanland, denn »diese Mauer symbolisiert das Unglück und die Tragödie der Palästinenser«.

Die zwölfte Auslandsreise von Papst Benedikt XVI. ist die der schwierigsten politischen Gratwanderung – zwischen Klagemauer und Sperrmauer.

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