Wem gehört die Kultur?

Urheberrecht und Internet: Viel Aufregung und keine Lösung

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 6 Min.
PAUL VIRILIO: »Wahre Kultur zeigt sich in ihrer Ohnmacht. Unter denen, die in den Gewinn hineinrasen, bleibt sie die Schnecke.«
PAUL VIRILIO: »Wahre Kultur zeigt sich in ihrer Ohnmacht. Unter denen, die in den Gewinn hineinrasen, bleibt sie die Schnecke.«

Freier Zugang zur Kultur für jeden! Weil es im Interesse des gesellschaftlichen Ganzen ist, den Einzelnen zu bilden, zu fördern. Möchtest du ein gedrucktes Buch, nimm es dir. Oder lade den Text aus dem Internet herunter. Längst vorbei die Zeiten, als Museen Eintritt erhoben und es noch Konzert- oder Theaterkassen gab. Doch was ist, wenn einer so gierig ist, dass er zehn Autos will, habe ich als Kind die Lehrerin gefragt, als sie uns den Kommunismus ausmalte. Wenn sie alles haben können, werden die Leute nur nehmen, was sie brauchen, hat sie mir erklärt.

Die totale Abschaffung des Geldes, damit würden wir aller Probleme um Urheberrecht und Internet ledig sein. Wer jetzt lacht, dem sei gesagt: Die Forderung nach freier Verfügbarkeit über kulturelle Güter, nach ungehindertem öffentlichen Zugang zu online-Archiven hängt durchaus damit zusammen, Kultur als Allgemeingut, nicht als Ware zu akzeptieren. Dies im positiven Sinne.

Aber es steckt – unter den derzeitigen Verhältnissen – auch das Gegenteil darin: eine grassierende Raffgier, die vor Diebstahl nur zurückschreckt, weil Strafe droht. Selbstsüchtiges Nehmen, ohne an den Anderen, geschweige denn das gesellschaftliche Ganze zu denken. Was ganz oben vorgemacht wird, ist längst unten angekommen. Und es ist fünf vor zwölf oder schon danach, nicht nur was den Buchmarkt betrifft.

Gerade werden in den Feuilletons der Zeitungen die Chancen und Gefahren des digitalen Kopierens literarischer Werke im Internet herauf- und herunterdiskutiert. Irgendwann wird das Interesse am Thema schwinden, die nächste Aufregung ist dran. Akademie der Künste, P.E.N., Börsenverein und Verband deutscher Schriftsteller werden vielleicht ein paar gesetzliche Regelungen erkämpft haben. Justizministerin Zypries kündigte im Börsenblatt an, für den »effektiven Schutz der Ressource Kreativität« eintreten zu wollen. Irgendetwas wird man beschließen, um dem Konflikt die Spitze zu nehmen. So wurstelt sich Politik durch Systemwidersprüche.

Du musst laut schreien, sonst gehst du unter. Das haben die Initiatoren und Unterzeichner des »Heidelberger Appells« getan. Mit pompösen Formulierungen mahnten sie zwei Dinge an: dass Schriftsteller, Künstler, Wissenschaftler über die Art der Publikation ihrer Arbeit selbst entscheiden dürfen und dass man sie vor Enteignung schützen muss. Wobei es freilich ein Unterschied ist, ob ein Forscher, der vom Staat oder einem Unternehmen bezahlt wird, im Sinne der Wissenschaft und seiner Reputation seine Erkenntnisse (so man es ihm erlaubt) frei zugänglich machen will, oder ob ein Autor, der von seinem Werk leben muss, dessen kostenloser Vervielfältigung zusehen muss.

Bedroht sind eher die Wissenschaftsverlage, wenn Veröffentlichungen auf Papier weniger gefragt sind. Aber das ist ein Thema für sich, mit dem sich Steffen Schmidt in seinem Artikel über »open access« im ND (9. April) schon beschäftigte. Hier soll es um die ökonomischen Bedingungen von Literaturproduktion gehen.

Wer sich in den Medien über den »Heidelberger Appell« lustig macht, der Anfang Mai schon von 1600 Autoren und Verlegern unterschrieben wurde, mag dies mit dem großspurigen Hinweis tun, diese Leute würden die »Zeichen der Zeit« nicht wahrhaben wollen. »Unter dem Deckmantel des Urheberrechts sollen überkommene Geschäftsmodelle der Verlage gerettet werden«, so stand es am 13. Mai in der »taz«. Dabei ginge es gar nicht um das Urheberrecht, »sondern darum, es kaufen und nutzen zu können. Und zwar zu dem einfachen Zwecke, die Zirkulation der Texte künstlich zu beschränken«.

Klingt gut, aber dann dürfte auch – siehe oben – die freie Zirkulation von Schokolade (die ich beim Schreiben so gern esse) nicht künstlich beschränkt werden. Und andere mögen hinzufügen, was auch sie gern gratis hätten. Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen. Meine Grundschullehrerin lässt grüßen.

So lange wir uns aber in einer Marktwirtschaft befinden, kann Produktion – ob materielle oder geistige – nur gegen angemessene Entlohnung erfolgen, sonst käme sie letztlich zum Erliegen. Im Streit, was angemessen ist oder nicht, gilt freilich das Recht des Stärkeren. In Zeiten der Überproduktion geht die Macht vom Produzenten auf den Händler über, der wiederum total von den Käufern abhängig ist. Das heißt, auf den Buchmarkt bezogen: Die Buchhandelsketten stellen den Verlagen Bedingungen, und die Autoren, ohne die es dieses ganze Geschäft nicht gäbe, bekommen das kleinste Stück vom Kuchen, wenn man ihnen nicht gar einen Druckkostenzuschuss abverlangt. Und wer unten ist – auch ein Merkmal dieser Gesellschaft – wird immer weiter nach unten gedrückt. Spitzenverdiener, von denen es in der Literatur nur wenige gibt, sind dies dank bester Verkäuflichkeit ihrer Produkte und genießen entsprechendes Ansehen. Mit sinkendem Einkommen steigt die Gefahr, in Verhältnisse der Willkür zu geraten.

Wo alles nach Rentabilität bewertet wird, könnte Literaturproduktion nicht funktionieren, wenn das Interesse, zu schreiben und mit Texten umzugehen, nur ein ökonomisches wäre. Leser stöhnen über hohe Buchpreise, aber viele Verlage halten sich damit gerade mal so über Wasser. Denn mindestens die Hälfte des Geldes geht an den Handel. Druck- und Werbekosten sind zu bezahlen, die Miete, nicht zuletzt die eigenen Mitarbeiter und die Schriftsteller zum Schluss. Gehen Buchhandlungen Pleite, bekommt der Verlag die erwarteten Zahlungen nicht, wird er sich – ungefragt – bei Autoren einen zinslosen Kredit nehmen, indem er sie auf Honorare warten lässt.

»Neue Regeln des Respekts vor geistiger Arbeit müssen entwickelt und zur Geltung gebracht werden«, fordert die Akademie der Künste, auf Internetveröffentlichungen bezogen. Doch das gilt auch schon fürs herkömmliche Publizieren. Wenn es üblich ist, sich die Vertriebsrechte an einem literarischen Werk für »einen Appel und ein Ei« sichern zu können, braucht man sich nicht zu wundern, wenn andere Manuskripte per Internet gleich kostenlos vervielfältigen.

Sind die technischen Möglichkeiten einmal da, wird ihre Anwendung schwer einzudämmen sein. Der legale E-Book-Markt mit dem vom Börsenverein entwickelten System Libreka wird, ähnlich wie im Musikgeschäft, illegal durch Scannen und Herunterladen unterlaufen werden.

Natürlich werden auch künftig gedruckte Bücher gekauft. Manch einer wird darauf unter keinen Umständen verzichten. In welchen Bereichen es stärkere oder geringere Einbußen im Verlagsgeschäft gibt, wird man noch sehen. Vielleicht kann die Lobby der Buchbranche den Gesetzgeber überreden, illegale Downloader zu bestrafen, indem man sie nach Abmahnung vom Internet trennt, wie es ein französischer Gesetzesentwurf vorsieht.

Aber wird man damit der Probleme Herr und ist das ohne Gerichtsverfahren überhaupt rechtens? Andere schlagen vor, Computerhersteller und Provider mit einer Pauschalabgabe zu belegen, die dann den Autoren zugute käme. Den Verlagen auch? Aber welchen Anteil haben sie am Nichtgedruckten? Gibt es eine öffentliche Pflicht zur Erhaltung bisheriger Produktions- und Vertriebsweisen? Steht ein Verlagssterben bevor? Was wird aus dem Buchhandelsnetz? Wie viele Schriftsteller sind schon Hartz-IV-Empfänger, und wie viele werden es wohl noch?

Dass alles nicht so heiß gegessen würde, wie es gekocht ist – das wünscht man sich ja immer, ob bei Finanzkrise oder Schweinepest. Dabei weiß man, dass vieles im Rahmen derzeitiger Verhältnisse unlösbar bleiben muss.

Literatur gehört tatsächlich der Allgemeinheit, ob nun gedruckt oder digital vervielfältigt. Autoren die Möglichkeit zu geben, dass sie leben und schreiben können, wäre eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit. Lebenszeitliche Gehälter für Schriftsteller, wie es sie in Schweden gibt, wenigstens Steuerfreiheit für sie wie in Irland? Aber wer legt fest, wer Schriftsteller ist? Würde mit solcher Subventionierung notwendigerweise der Willkür Tür und Tor geöffnet und Freiheit aufs Spiel gesetzt? Freiheit oder Kultur? Freiheit oder Gerechtigkeit?

Man weiß keine Lösung und kann doch mit dem Ist-Zustand nicht zufrieden sein.

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