Arbeiten bis zum Umfallen – das falsche Motto

Betriebsärzte fordern Strategien zur Bekämpfung der psychischen Krankheiten

  • Manfred Godek
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen sind im vergangenen Jahr Untersuchungen zufolge mit 7,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr stärker gestiegen als alle anderen wichtigen Erkrankungsgruppen. Betriebsärzte und Gewerkschaft sehen in diesem Trend eine ernste Gefahr für die Beschäftigten.

Der Anteil an den Personalausfällen wuchs 2008 nach dem Gesundheitsreport der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) auf 10,6 Prozent. Experten sprechen von einer dramatischen Entwicklung. »Psychische Erkrankungen haben eine sehr lange Falldauer, die in der gleichen Größenordnung liegt wie bei tumorbedingten Leiden«, heißt es aus dem Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW). Die Europäische Agentur für Gesundheit und Sicherheit hat ebenfalls eine Studie zu dem Thema durchgeführt. Danach nehmen psychische Erkrankungen bereits Rang Eins in der Ursachenstatistik für Erwerbsunfähigkeitsrenten ein.

In den politischen und administrativen Weichenstellungen spielen psychische Erkrankungen aber nur eine untergeordnete Rolle. In der »Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie« werden sie nicht einmal erwähnt. Die Arbeits- und Sozialminister haben sich darin auf die Reduzierung der Arbeitsunfälle, die Reduzierung von Muskel- und Skeletterkrankungen und die Verringerung der Zahl von Hauterkrankungen als Handlungsfelder bis 2012 verständigt.

Wie in der Gesundheitspolitik generell wird auch in der Arbeitsmedizin eine gemeinsame politische Konzeption vermisst. »Die Zielsetzungen der Länder könnten hinsichtlich ihrer Inhalte und Prioritäten unterschiedlicher nicht sein«, kritisierten Experten auf einem Forum zur Gesundheitspolitik, das kürzlich in Berlin stattfand. Lediglich in den beiden Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg ist die Arbeitsmedizin ein Schwerpunkt in den Gesundheitszielen, die sich die Länder setzen. Psychische Erkrankungen beziehungsweise Depressionen sind nur in Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen Arbeitsschwerpunkte.

Um der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz mehr Geltung zu verschaffen, hat der Verband der Betriebs- und Werksärzte dieses Thema zum Arbeitsschwerpunkt für 2009 gemacht und einen Praxis-Leitfaden herausgegeben. Gemeinsam mit der Industriegewerkschaft (IG) Metall warnt er in einer gemeinsamen Erklärung vor einer dramatischen Zunahme psychischer Erkrankungen der Beschäftigten. »Schon in den letzten Jahren haben Erkrankungen wie Depressionen und Burnout erheblich zugenommen und die Ausmaße einer neuen Volkskrankheit angenommen«, heißt es in dem vorgelegten Positionspapier. Die Wirtschaftskrise verschärft nach Auffassung der beiden Organisationen die bereits bestehenden Belastungen in der Arbeit dramatisch. Sie fordern von den Betrieben umfangreiche Maßnahmen zur Verhütung psychischer Erkrankungen und zum Abbau von Stress. Dr. Wolfgang Panter, Präsident des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte, sagt: »Wir stellen fest, dass die arbeitsmedizinische Betreuung der Bevölkerung an vielen Stellen derzeit nicht ausreichend ist und die ernste Gefahr besteht, dass das Niveau des Gesundheitsschutzes vor allem in kleinen und mittleren Betrieben weiter sinkt.« IG-Metall-Vorstand Hans-Jürgen Urban betont: »Die Krise darf nicht dazu missbraucht werden, die Gesundheit der Beschäftigten aufs Spiel zu setzen. Arbeiten bis zum Umfallen muss als Motto der Krisenbewältigung geächtet werden.«

www.vdbw.de;

www.bdp-verband.de

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