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Denken Sie an die Arbeiter!

Wie eine Werkzeugmaschinenfabrik platt gemacht wurde

  • Gisela Karau
  • Lesedauer: 3 Min.

Erlebtes aufschreiben zur Entlastung der Seele? Das tun heute nicht nur Leute, deren Beruf das Schreiben ist. Professor Werner Bahmann, Jahrgang 1930, Sohn eines sächsischen Teppichwebers, Absolvent der Arbeiter- und Bauernfakultät, war 23 Jahre lang Chefkonstrukteur sowie Direktor für Forschung und Entwicklung in der Berliner Werkzeugmaschinenfabrik Marzahn, die von der Hamburger Körber AG übernommen und 2004 liquidiert wurde. Das war ein Schock für den Mann, dessen Herz an dem Werk hing, weil er an seinem Aufstieg maßgeblich beteiligt war. Darum hat er sich hingesetzt und zu Papier gebracht, wie sein Leben verlaufen ist vom mühevollen Anfang über hart erarbeitete Erfolge und kreative Freuden bis zur schmerzhaften Niederlage.

Was hier zu Grunde gegangen ist, war kein marodes Unternehmen, wie es vereinnahmten DDR-Betrieben gern nachgesagt wird, sondern ein international anerkannter leistungsstarker Betrieb. Zur Zeit seiner Schließung waren die Auftragsbücher gut gefüllt, und man schrieb dank einer neuen Hochleistungsschleifmaschine, die Bahmann zusammen mit anderen Ingenieuren entwickelt hatte, schwarze Zahlen.

Als Bahmann durch eine Fernsehnachricht im August 2003 die Schreckensbotschaft erreichte, dass sich die Körber AG aus dem Osten zurückziehe, warf er sich in einem Brief an den Vorstandsvorsitzenden Dr. Redeker für seine Kollegen in die Bresche. »Denken Sie bei Ihren Entscheidungen an die Mitarbeiter in Forschung, Entwicklung und Vertrieb sowie an die Kollegen des Produktionspersonals am Standort Berlin, die in Zusammenarbeit mit uns Wissenschaftlern alles getan haben, um aus den mageren letzten Jahren nunmehr 2003 in die Gewinnzone zu kommen? Wie können Sie die Aussagen über zu hohe Arbeitskosten den Mitarbeitern des Werkes Berlin gegenüber vertreten, wenn laut neuester Statistik des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft die Kosten je Arbeitsstunde in Westdeutschland bei 26,36 Euro, in der Schweiz bei 26,24 Euro und in Ostdeutschland bei 16,43 Euro liegen? Handeln Sie zum Wohle des Wirtschaftsstandortes Deutschland.«

Höflicher Briefwechsel, heftiger Widerstand der Gewerkschafter von der IG Metall, scharfe Befragung des Vorstandsvorsitzenden in einer »Monitor«-Sendung – aber kein Einlenken in Hamburg. Das eigene Wohl, der eigene Profit waren ausschlaggebend, und so wurde beschlossen, die Produktion der neuen High-Tech-Maschine in die Schweiz zu verlagern.

Bahmann hat das alles in sachlichem Ton dokumentiert. Er ist kein Mann scharfer Worte. Aber manchmal ist er doch ausgerastet. Er erinnert in seinem Buch an eine Ausstellung im November 1996 im Märkischen Museum, »ddr. doc. Reste aus der BWF«, und den Eröffnungsvortrag eines Westberliner Unternehmensberaters. Ich habe mir diese Ausstellung auch angesehen und die Rede gelesen. Es zog mir die Schuhe aus. Die Auswahl der Exponate wie auch die Worte des Redners vermittelten den Eindruck einer vorsintflutlichen Bruchbude auf Kochgeschirrniveau. Das war die Berliner Werkzeugmaschinenfabrik wahrlich nicht. Dort gab es bereits vor der Wende Arbeitsplätze am Bildschirm und beachtliche Exporte in westliche Industrieländer.

Im letzten Kapitel schreibt Bahmann: »Die Zustände Anfang des neuen Jahrtausends ähneln in manchem der Zeit der späten zwanziger Jahre. Genau das sollte nicht mehr sein, nach der schweren Zeit des Zweiten Weltkrieges. Wofür haben wir in der Nachkriegszeit gerungen? Die Zeiten, die unsere Elterngeneration durchlebt hat, sollten nicht wiederkehren. Eins lässt sich heute sagen: Diese kaputte Börsenspiel- und Spaßgesellschaft, die momentan existiert und die neben Arbeitslosigkeit in großem Umfang niedriger bezahlte Zeitarbeitsplätze produziert, kann niemals die Zukunft sein. Mit deren Mitteln lassen sich die Probleme unserer Zeit nicht lösen ... Eine Menschheit mit einer menschlichen Gesellschaftsordnung, ohne Kriege, ohne Terror, mit Erhalt der Natur und Umwelt, mit viel Toleranz und mit Vernunft in ihrer Lebensweise – wird dies die Zukunft? Die Hoffnung stirbt nicht.« – Ein lesenswertes Buch.

Werner Bahmann: Gewonnen und doch verloren. Erinnerungen eines ehemaligen DDR-Chefkonstrukteurs. Verlag am Park, Berlin. 342 S., br., 16,90 €.

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