Liberal

Lord Dahrendorf tot

  • H.-D. Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

Ein liberaler Vordenker, dekoriert mit deutschen wie englischen Doktortiteln. Erst SPD, dann FDP – dort im Bundesvorstand und parlamentarischer Staatssekretär. Ab 1988 Chef des St. Anthony College Oxford. Er wurde Brite und geadelt, ein Sozialliberaler in Londons Oberhaus. »Weltkind« nannte er sich in seiner Autobiografie. Kind der Welt zu sein, wie sie ist: Das lehrte ihn einen klugen Pessimismus und tiefe Furcht vor jenem weltumwälzenden Ideenfeuerschwung, der besonders Intellektuelle in ideologische Fallen stößt.

1929 wird Ralf Dahrendorf in Hamburg geboren, er promoviert über Marx, als EU-Kommissar schreibt er böse Artikel über Brüssel – unter Pseudonym. Die Ostpolitik Brandt'scher Prägung bezeichnete der Soziologe als Stabilisierungsparxis, sie habe den Systemen des Ostblocks aufgeholfen, wo doch klare öffentliche Solidarität mit Reformern nötiger gewesen wäre. Seine Streitbarkeit, nur scheinbar in Milde getaucht von gewissermaßen (l)ordentlicher Umgangsweise – sie hatte ihre Härtepunkte: Ja zum Irakkrieg, Unbehagen übers deutsche »Übermaß an Pazifismus«.

Sätze aus einem ND-Interview mit Gabriele Oertel und Reiner Oschmann: »Ich glaube nicht, dass die tiefe Beunruhigung im östliche Deutschland ganz Deutschland infizieren kann ... Anrecht auf Arbeit ist ein Missbrauch des Wortes Recht – es muss ein Recht geben, nicht zu arbeiten ... Ab bestimmtem Einkommen ist Zeit mindestens so interessant wie Geld.«

Ihm war Indivualisierung in einer Gesellschaft ein Heiligtum. Jeder Mensch, sagte er, trage ein bestimmtes Alter mit sich herum. Er selber blieb immer 28 – so alt war er, als er sich habilitierte und das Gefühl hatte, die Welt böte sich ihm an mit allem, was sie zur Verfügung habe. Seitdem diese Optionsfreudigkeit, die ihn umtrieb, ihn in den Wechsel verliebt machte – der Liberalität aber ein Treuer.

Am Mittwoch starb Dahrendorf achtzigjährig in Köln.

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