Das symbolische Grab
Rätsel um Rosa Luxemburg: Eine Spurensuche in Berlin-Friedrichsfelde
Es war und ist kein Geheimnis, die Grabplatte in der Mitte der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde markiert nur ein symbolisches Grab. Dennoch ist es für Tausende, die Jahr für Jahr, nicht nur im Januar, Rosa Luxemburrg ihren Respekt zollen wollten und wollen, ein wichtiger Ort der Erinnerung und Ehrung.
Als am 25. Januar 1919 die Berliner Arbeiter und linke Intellektuelle die Opfer der blutigen Januarkämpfe in Friedrichsfelde zu Grabe trug, konnte für Rosa Luxemburg nur ein leerer Sarg in die Erde gesenkt werden. Ihre Leiche war zu diesem Zeitpunkt noch nicht gefunden, ihre Ermordung aber bereits Gewissheit. Schon diese erste Beisetzung war also ein symbolischer Akt.
Zudem, was auch die Wenigsten wissen: Das Gräberfeld für die beiden sowie weitere Januartote lag am äußeren Ende des städtischen Zentralfriedhofs Friedrichsfelde. Dieses Gebiet nannte sich »Abteilung 64« – gals der Friedhofsverwaltung als eine »Reservefläche«. Einer würdigen Bestattung auf dem Revolutionsfriedhof im Friedrichshain – an der Seite der Opfer der Barrikadenkämpfe von 1848 und der Novemberrevolution 1918 – hatte sich der Berliner Magistrat unter Oberbürgermeister Wermuth im Einvernehmen mit den sozialdemokratischen Volksbeauftragten in der Reichskanzlei verweigert. Für die roten, toten »Aufrührer« sei kein Platz in der Stadt. Friedrichsfelde lag damals noch weit vor den Toren der Hauptstadt.
Die offizielle Beisetzung Rosa Luxemburgs erfolgte am 13. Juni 1919 in der Grabstelle, die im Januar nur symbolisch belegt worden war. Im Friedhofsbuch ist als exakter Ort eingetragen: »Abteilung 64, Reihe 8, Grabnummer 4«. Als Todesdatum ist der 31. Mai 1919 vermerkt, der Tag an dem die Leiche im Landwehrkanal entdeckt wurde. In der Spalte Todesursache steht: »nicht festgestellt, umgekommen aufgefunden.« Der jungen KPD waren in den Folgejahren der Januar und der Juni Anlass, ihrer ermordeten Gründer zu gedenken. Bald wurden auch Stimmen laut, den Märtyrern der Revolution ein Denkmal zu widmen. Dem extra hierfür gebildeten Komitee stand Wilhelm Pieck vor. Sekretär war Otto Gäbel, der als Bezirks- und Stadtverordneter sowie als unbesoldeter Stadtrat die nötigen Kontakte in die Kommunalverwaltung hatte. Die Vorstellungen, die Pieck auf dem KPD-Parteitag 1925 für den Bau entwickelte, entsprachen einer traditionellen Denkmalästhetik. Liebknechts Sohn Robert bezeichnete diesen Entwurf später als Kitsch. Auch der Bauhaus-Architekt Ludwig Mies van der Rohe, der die Entwürfe eher zufällig bei Eduard Fuchs, dem Kunstsammler und Mitbegründer der KPD sah, meinte das dies »ein feines Denkmal für Bankiers« abgegeben hätte. Er stellte der KPD-Version seinen Entwurf eines Monuments aus nahezu schwarzen Klinkern entgegen. Dieses wurde denn auch realisiert. 1926 wurde das Monument eingeweiht. Es belegte die Fläche von zwei Grabreihen. Davor befanden sich drei Grabreihen mit je 13 Grabstellen für Revolutionsopfer. In der ersten Reihe, vom Hauptweg auf dem Friedhof aus gesehen, befanden sich die Gräber von Rosa und Karl.
Dem NS-Regime war der »kommunistische Wallfahrtsort« von Anbeginn ein Dorn im Auge. Im November 1934 beschloss das Bezirksamt Lichtenberg den Abriss. Dieser erfolgte in den ersten Monaten des Jahres 1935. Mitten im Krieg, am 30. April 1941, verfügte die NS-Verwaltung des Weiteren: »Die abgelaufenen ehemaligen Kommunistengräber können eingeebnet werden! Umbettung Karl Liebknecht kommt nicht in Frage!« Der besondere Hinweis auf ihn erklärt sich aus der Tatsache, dass sich das Familiengrab der Liebknechts ebenfalls auf dem Friedhof befand. Für Rosa Luxemburg sind aus den Bestattungsbüchern keine Hinweise überliefert. Vermutungen, sie sei eventuell exhumiert und eingeäschert worden, mangelt es an Beweisen. Die Neubelegung der Abteilung ab 1941 führte zur Zerstörung der spärlichen Überreste der ehemaligen Gräber.
Nach seiner Rückkehr aus Moskau im Juli 1945 suchte Wilhelm Pieck das Grabfeld der KPD sowie die Gräber der Sozialdemokraten in Friedrichsfelde auf. Der ursprünglichen Absicht, sie originalgetreu wieder herzurichten, folgte 1946 der Vorschlag, die Gräber der Vertreter beider Strömungen der Arbeiterbewegung zusammenzulegen. Diese Idee fand im Berliner Magistrat Zustimmung. Im Mai 1948 beschloss er die »Neugestaltung der Friedhofsanlage für die Großen sozialistischen Führer auf dem Friedhof in Berlin-Friedrichsfelde«. Die Vorlage dafür brachte der Sozialdemokrat und spätere Bürgermeister von Westberlin Ernst Reuter ein. Die Umsetzung jedoch verzögerte sich durch die beginnende Spaltung der Stadt.
1949 wurde ein neuer Anlauf gestartet, begannen die vorbereitenden Arbeiten für eine Gedenkstätte der Sozialisten. Ein neuer Gestaltungsentwurf war erarbeitet worden. Nochmals wurde die Möglichkeit von Umbettungen geprüft. Wilhelm Pieck, inzwischen Präsident der DDR, kümmerte sich persönlich. Aus den protokollierten Auskünften der Friedhofsgärtner und Friedhofsarbeiter vom Februar 1950 ist ersichtlich, dass der Sarg von Rosa Luxemburg nicht aufgefunden wurde, lediglich der von Karl Liebknecht sei noch erhalten. Suchgrabungen verliefen ergebnislos, wie aus dem schriftlichen Bericht der beteiligten Arbeiter vom 5. Januar 1951 hervorgeht. Nur ein Stück eines Zinkeinsatzes habe man gefunden. Geborgen werden konnte hingegen der Sarg von Franz Mehring. Die sterblichen Überreste des sozialdemokratischen Publizisten und KPD-Mitbegründer konnten in die neue Gedenkstätte überführt werden.
Es gelang ein weiterer Fund: Die beschädigte Urne mit der Asche Julian Marchlewskis, Landsmann und Kampfgefährte von Rosa Luxemburg, war in der Urnenhalle des Friedhofs in einer Holzkiste eingelagert worden. Pieck holte sie in sein Büro; sie stand zeitweilig auf seinem Schreibtisch, bis eine neue Urne besorgt war. Deren anfänglich beabsichtigte Einlassung in die Gedenkstätte in Friedrichsfelde wurde jedoch aufgegeben; Marchlewskis Urne wurde nach Warschau überführt.
Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht erhielten in der im Januar 1951 eingeweihten neuen Gedenkstätte der Sozialisten symbolische Gräber. Das alte Grabfeld der KPD, das 1946 bis 1950 noch Zielpunkt der jährlichen Gedenkveranstaltungen war, geriet in Vergessenheit. Erst 1983 entstand dort eine von Günter Stahn und Gerhard Thieme geschaffene Stele, die an das Revolutionsdenkmal und den Ort der Beisetzung der Januaropfer von 1919 erinnert.
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