»Insulindoping eine der gefährlichsten Methoden«

ND-Gespräch mit Prof. Dr. Mario Thevis, Mitarbeiter im Dopingkontrolllabor in Köln

  • Lesedauer: 3 Min.
Prof. Dr. Mario Thevis ist Mitarbeiter am Dopingkontrolllabor in Köln. Der 36-Jährige hat einen Dopingtest zum Nachweis von Insulin mitentwickelt, der zuletzt auch beim Giro d’Italia zum Einsatz kam. Vor 96. Tour de France, die am Sonnabend erstmals in Monaco startet, äußert er sich zu Insulin, einem Medikament, das zu den effektivsten, am weitesten verbreiteten und in seiner Anwendung auch gefährlichsten Dopingmitteln gehört. Für ND sprach Tom Mustroph mit ihm.

ND: Herr Thevis, UCI-Präsident Pat McQuaid hat die Tour de France 2009 als das am besten geteste Sportereignis überhaupt bezeichnet. Stimmen Sie dem zu?
Thevis: Ich habe mir das Programm der Tests nicht detailliert angesehen und kann Methoden und Frequenz nicht beurteilen.

Auch ein neues Verfahren wurde angekündigt. Könnte das der in Köln entwickelte Insulintest sein?
Nein, doch der Insulintest ist nicht neu. Er wurde bereits bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking eingesetzt.

Welche Ergebnisse hatten diese Tests bei Olympia und beim Giro d’Italia im Mai diesen Jahres?
Bei den Olympiaproben und auch den Nachuntersuchungen hat es keinen positiven Dopingfall gegeben. Über die Einführung des Tests wurde viel diskutiert. Das könnte zum nachlassenden Missbrauch geführt haben. Die Ergebnisse beim Giro kenne ich nicht.

Welche Art von Insulin weist Ihr Test nach?
Alle synthetischen Insuline, also alle, die pharmazeutisch hergestellt wurden, außer den humanidentischen. Für Humaninsulin ist der Test noch nicht valide. Wir können nicht sicher unterscheiden, ob das Insulin von außen zugeführt oder im Körper produziert wurde.

Das ist eine empfindliche Lücke. Wird daran gearbeitet, sie zu schließen?
Ja, natürlich, denn das ist eine große Herausforderung für die Forschung.

Welche Rolle spielt Insulin als Dopingmittel?
Wissenschaftliche Daten lassen eine Vielzahl von Funktionen erkennen. Nach intensiver Trainings- oder Wettkampfbelastung sorgt Insulin für schnelle Regeneration. Es wirkt anabol. Es baut Muskelmasse auf und verhindert auch deren Abbau.

Es ist also nicht nur für den Radsport geeignet?
Ja, sondern für alle Disziplinen, in denen Ausdauer und Kraft erforderlich sind, in denen man kurzfristig regenerieren muss.

Zuletzt hat der österreichische Radprofi Bernhard Kohl erzählt, dass Insulin zu seinem Standardprogramm gehörte. Wie verbreitet ist Insulindoping?
Eine wissenschaftlich fundierte Aussage gibt es nicht. Aber anekdotisch ist es vielfach belegt. Aus Dopingermittlungen wie der »Operacion Puerto« in Spanien und den Geständnissen gedopter Sportler (darunter der britische Sprinter Dwain Chambers und die frühere USA-Sprinterin Marion Jones) wissen wir, dass Insulin seit Jahren zu Dopingzwecken missbraucht wird.

Wie gefährlich ist Insulindoping?
Mit Sicherheit handelt es sich um eine der gefährlichsten Dopingmethoden. Es bestehen große kurzfristige Risiken. Ein stark reduzierter Zuckergehalt des Blutes kann dazu führen, dass Organe nicht ausreichend versorgt werden, was Koma oder sogar den Tod zur Folge haben kann. In der Kriminalliteratur ist Insulin daher auch als Mordwaffe bekannt.

Sind Diabetiker, die sich regelmäßig Insulin zuführen, als Sportler im Vorteil?
Eine gute Frage, die sich nicht abschließend beantworten lässt. Aber nach bisherigem Stand der Forschung lässt sich ein Insulindefizit auch durch erhöhte Gaben nicht in einen Vorteil verwandeln.

Müssen wir nach Asthmatikerschwemme im Ausdauersport jetzt mit einem Zuwachs vermeintlicher Diabetiker im Tour-de-France-Peloton rechnen, weil sich die Fahrer völlig legal Insulin zuführen?
Ich denke nicht. Es gibt einen einfachen Test, um zu erkennen, ob jemand an Diabetes leidet. Wenn man den nicht besteht, gibt es keine Ausnahmegenehmigung.

Sind Sie von der Blutpassanalytik des Radsport-Weltverbandes UCI überzeugt, schließlich hat es mehr als ein Jahr gedauert, bis die ersten Fälle bekannt wurden?
Immerhin sind jetzt fünf Verfahren eingeleitet worden. Ich halte den Athletenpass für eine wertvolle Ergänzung im Antidopingkampf. Es sind im Vorfeld umfangreiche Studien nötig, um für eine hohe statistische Sicherheit bei den Parametern zu sorgen, die auf Eigenblut- und EPO-Doping hinweisen. Jetzt muss man den Ausgang der Verfahren abwarten.

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