17 Jahre Kampf – die Heide ist frei!

Bundeswehr verzichtet auf Bombodrom, Bürgerrechtler feiern und der Erfolg hat plötzlich fast nur noch »Väter«

  • René Heilig
  • Lesedauer: 6 Min.

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»Das ist ein wunderschöner Tag!« Benedikt Schirge und seine Getreuen in der Bürgerinitiative FREIe HEIDe freuen sich über die so lang und schwer erkämpfte Einsicht der Bundesregierung. Deren Verteidigungsminister hatte am Donnerstagmittag verlauten lassen: Die Bundeswehr verzichtet auf die Nutzung des Luft-Boden-Schießplatzes im brandenburgischen Wittstock.

»Es war ein Gebot der Demokratie, auf den Protest zu hören«, sagt auch die Sprecherin der mecklenburgischen Bürgerinitiative »Freier Himmel«, Barbara Lange. Gemeinsam mit den Freunden in Brandenburg sowie zehntausenden solidarischen Partnern in der ganzen Bundesrepublik haben die Bürgerrechtler fast 17 Jahre gegen das Militär und für eine friedliche und umweltgerechte Nutzung des 142 Quadratkilometer großen Fleckens gekämpft – außerparlamentarisch mit regelmäßigen Protestwanderungen und anderen friedlichen Aktionen, in Parlamenten mit Kunstaktionen. Und immer zogen sie vor Gerichte. 27 Urteile gegen das »Bombodrom« haben die Tiefflug-Gegner aus Brandenburg und Mecklenburg seit Beginn des Rechtsstreits 1994 erwirkt. Doch die Bundeswehr blieb stur und beanspruchte immer wieder Hausrecht sowie Übungsfreiheiten für sich und ausländische NATO-Truppen.

Nicht einmal die Bewertung des Bundesrechnungshofes, der 2007 die in den vorangegangenen zehn Jahren verschleuderten 50 Millionen Euro sowie vorgesehene Investitionen von 270 Millionen Euro kritisierte, brachte das Verteidigungsministerium unter Franz Josef Jung (CDU) zur Einsicht.

Also forderten die Rebellen Unterstützung von Verbänden und Parteien ein. Mehr als einmal wurden sie enttäuscht, beispielsweise als die SPD-Spitzenpolitiker Rudolf Scharping und Peter Struck in Wahlkämpfen vor den Anwohnern für eine militärfreie Heide eintraten, um dann als Verteidigungsminister ihr Wort zu brechen.

Grüne und LINKE standen zu den Heidekämpfern, auch die Brandenburger Landesregierung, vertreten durch SPD und CDU, sowie die aus Mecklenburg-Vorpommern, wo die SPD einst mit der PDS agierte und nun mit der CDU ein Koalition führt, forderten eine friedliche und ökologisch sinnvolle Nutzung des einst von der Sowjetarmee angelegten Übungsplatzes. Gleiches gab der rot-rote Senat in Berlin als Forderung aus.

Den Erfolg feiern nun viele Väter. Nicht alle können ihre Vaterschaft nachweisen. Beispiel SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier. Der aktuelle Vizekanzler und Außenminister lobt jetzt den Verzicht auf den bundesweit größten Luft-Boden-Schießplatz gegenüber dpa als »Sieg der Vernunft«. Er freue sich »mit den Menschen in der Prignitz und in Mecklenburg-Vorpommern über das Aus für das Bombodrom«. Für die Entwicklung der ganzen Region gebe es jetzt eine sichere Perspektive. Auf die Nutzung des Übungsplatzes zu verzichten, sei »sachlich richtig und notwendig«, konzedierte der verteidigungspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Bernd Siebert.

Gregor Gysi, Chef der Bundestag-Linksfraktion, betonte vor allem, dass »der Versuch, ein sinnloses Bombodrom im Osten Deutschlands anzusiedeln, gescheitert ist«. Er dankte auch den Gerichten, die den Bürgerinnen und Bürgern Schritt für Schritt zum Recht verhalfen. Und er mahnte: Die Regierung sollte deutlich stärker an Abrüstung und deutlich weniger an Bombodrome denken. Der verteidigungspolitische Sprecher der Bündnisgrünen im Bundestag, Winfried Nachtwei, betonte, der Verzicht auf das »Bombodrom« schaffe endlich Klarheit für die strukturschwache Region.

Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) unterstrich, der Erfolg zeige, dass es sich lohne, in einem Rechtsstaat für sein Anliegen zu kämpfen. Auch Platzecks Regierungschef-Kollege und Parteifreund Erwin Sellering aus Schwerin bezeichnete das Aus für das sogenannte Übungsfeld als eine wahrhaft gute Nachricht für die Region. »Das ist ein riesiger Erfolg für die Bürgerinitiativen. Diese Ausdauer dürfte einmalig in Deutschland sein.«

Doch Ruhe in Brandenburg bedeutet nicht, dass das Militär den Rückzug angetreten hat. Gerade die Deutsche Luftwaffe wird mit modernstem, global einsetzbarem Gerät versehen. Neben der weiteren Ausstattung mit Eurofightern sowie Kampf- und Transporthubschraubern arbeitet man an der Verbesserung der Verlegefähigkeiten. Jüngst übernahm die Truppe mobile Gefechtsstände.

Gestern betonte Verteidigungsminister Jung, der jetzt beschlossene Verzicht gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg Revision einzulegen, bedeute keine Anerkennung der Urteilsbegründung oder der Kritik der Gegner des Truppenübungsplatzes in der Kyritz-Ruppiner Heide. »Es wird in materieller Hinsicht weder den Kritikern noch dem Urteil recht gegeben«, betonte der CDU-Politiker.

Jung, so empörte sich die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion Birgit Homburger, sei dem Parlament eine Erklärung dafür schuldig, warum sein Ministerium trotz angeblich überarbeiteter Übungskonzeption bis zuletzt den Übungsplatz als zwingend notwendig bezeichnet hat. Für die dilettantische Arbeit des Ministeriums haben die Steuerzahler in den letzten 15 Jahren rund 600 000 Euro allein an Prozesskosten aufbringen müssen. Rausgeschmissenes Geld, das die Bundeswehr dringend an anderer Stelle gebraucht hätte.

Nach dem Aus für das »Bombodrom« in Brandenburg fordert nun der Landrat von Kelheim (Bayern), Hubert Faltermeier (Freie Wähler), ein Ende auch für den Bombenabwurfplatz beim niederbayerischen Siegenburg. Nordhorns Bürgermeister Meinhard Hüsemann (SPD) forderte die Schließung des dortigen Übungsplätzes, weil eine Entlastung nun ausbleibe.


Das sogenannte Bombodrom wurde seit Beginn der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts von der Sowjetarmee zu einem Luft-Boden-Übungsplatz ausgebaut. Nach der Wende und dem Ende des Kalten Krieges hoffte man auf eine Friedensdividende. Doch der Erfolg brauchte lange:

30. Juni 1992: Das Verteidigungsministerium stellt Truppenübungsplatz-Konzept vor.

23. August 1992: Gründung der brandenburgischen Bürgerinitiative »FREIe HEIDe« für eine zivile Nutzung des Geländes.

1993: Der Bund wird Rechtsnachfolger des zuvor von der Sowjetarmee genutzten Geländes, die CDU/FDP-Koalition beschließt die militärische Weiternutzung.

24. März 1999: Das Oberverwaltungsgericht Frankfurt (Oder) gibt Klagen von Gemeinden, Anwohnern und der Kirchengemeinde Recht, die Flächen zurückgefordert hatten.

14. Dezember 2000: Das Bundesverwaltungsgericht untersagt die militärische Nutzung.

2002: In Mecklenburg-Vorpommern gründet sich die Bürgerinitiative »Freier Himmel«.

26. Mai 2004: Bundestagspräsident Wolfgang Thierse werden rund 19 000 Unterschriften gegen den Übungsplatz überreicht.

29. Dezember 2004: Die Bundeswehr unterliegt erneut. Vor einer Entscheidung über die militärische Weiternutzung hätten laut OVG Frankfurt (Oder) Anliegergemeinden angehört werden müssen.

1. Juni 2005: Ein von SPD-, Grünen- und PDS-Abgeordneten initiierter Gruppenantrag zum sofortigen Verzicht auf die militärische Nutzung wird in mehreren Bundestagsausschüssen von der Union und von SPD-Vertretern abgelehnt.

31. Juli 2007: Das Potsdamer Verwaltungsgericht gibt Musterklagen gegen das »Bombodrom« statt.

30. November 2007: Ein Bericht des Bundesrechnungshofes wird bekannt, in dem dieser den Verzicht auf das umstrittene »Bombodrom« fordert.

2. Mai 2008: Die Landesregierungen von Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern lehnen die Bundeswehr-Pläne ab.

27. März 2009: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg untersagt die militärische Nutzung.

2. Juli 2009: Der Bundestag spricht sich gegen den geplanten Luft-Boden-Schießplatz aus.

9. Juli 2009: Verteidigungsminister Jung gibt den Verzicht bekannt.
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