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Viel Mythos, viel Muße

Korsika – geheimnisvolles und grandioses »Gebirge im Meer«

  • Michael Müller
  • Lesedauer: 6 Min.
Viel Mythos, viel Muße

»Und glauben Sie mir, meine Großmutter ist gut damit gefahren, meine Mutter hat sich dran gehalten und ich natürlich auch«, wechselt Cecile Liberatore-Ruggiere zum nächsten Kapitel korsischer Mythen, hebt erneut beschwörend die Hände, blitzt mit den Augen und beschwört vor allem die jungen Frauen in der Besucherrunde: »Heiraten Sie nie im September! September, das bedeutet, sie bleiben arm und werden schnell Witwe. August geht, Oktober ist sehr o.k – aber nie September.«

Für eine gelernte Historikerin klingt das ein bisschen abgefahren. Aber bei Frau Liberatore-Ruggiere, der Direktorin des Musée de la Corse in der Stadt Corté, ist man sich bei ihrer Rundgangsmoderation nicht so ganz sicher, ob sie nur auf Unterhaltungswert aus ist oder ob hinter ihrem Temperament nicht doch eine gehörige Portion Aberglauben ohne Augenzwinkern steckt. Dem nämlich begegnet man auf dieser französischen Mittelmeerinsel ohnehin häufig, oft angelehnt an einen robusten ländlichen Katholizismus.

Und da ist Frau Direktorin auch schon bei den Bruderschaften, den »confraternitates«, von denen es immerhin 60 auf Korsika gibt. »Alle Menschen sind gleich, sollen ihre Kapuzen symbolisieren«, erläutert sie, »und die Brüder büßen, sich teilweise kasteiend, für die Gemeinschaft.« Dass solch mittelalterlicher Mummenschanz längst Kirche von gestern und sogar Ku-Klux-Klan assoziiert, lässt sie nicht gelten. »Das ist Tradition. Dazu steh' ich. Ich bin Korsin.«

Stolzes Völkchen

Ich bin Korsin, ich bin Korse. Diesem Hinweis begegnet man auf Korsika sehr häufig. Fast immer schwingt da eine gehörige Portion Selbstbewusstsein, Stolz, aber auch so etwas wie Resistenz und Renitenz mit. Kein Wunder, bei der multikulturellen Entstehungsgeschichte der Insel.

Frau Liberatore-Ruggiere verweist auf subnegroide, protokeltische, iberische, ligurische Wurzeln. Später herrschten Griechen und Römer, Christen und Barbaren, Pisaner und Genueser. Korsen ging es jahrtausendelang fast immer so, wie nun auch schon seit über 200 Jahren unter französischer Hoheit: Bis auf eine kleine, aber glorreiche Episode zwischen 1755 und 1769 hatten sie nie einen unabhängigen Staat und waren als Nation nicht amtlich. Zwar hatte die französische Nationalversammlung in Paris 1991 erstmals mit knapper Mehrheit beschlossen, dass es ein »korsisches Volk« gibt, aber kurz darauf kippte der Verfassungsrat den Artikel wieder.

Dennoch wird Korsisch seither auch in den Schulen als Zweitsprache gelehrt, funktioniert in Corté wieder die korsische Universität, und militante Sessionsbestrebungen gibt es derzeit kaum. Dennoch begegnet einem, überall an die Wände gesprayt, das aufmüpfige Kürzel FLNC, obwohl die Separatistenorganisation Front de Libération Nationales de la Corse seit 1983 verboten ist. Ihre Autonomieidee lebt inzwischen im korsischen Alltag in der gängigen Formel weiter: »Wir wollen nicht autonom sein, aber Korsen.«

So viel Patriotismus hat immer etwas Liebenswertes, etwas Unheimliches, aber auch etwas Irrationales. Letzteres wird auf Korsika besonders im Verhältnis zu zwei weltgeschichtlich ganz großen Namen deutlich: Napoleon Bonaparte und Christoph Kolumbus. Beide stehen bekanntlich nichts weniger als am Beginn von Menschheitsepochen. Der eine war zweifelsfrei Korse, der andere ist für Korsen ein Korse. Stolz ist so gesehen nicht ganz unerklärlich. Nur, Napoleon brach bereits als junger französischer Offizier nicht nur mit dem korsischen Patrioten Pasqual Paoli (»Vater des Vaterlandes«). Er ließ auf seiner Heimatinsel im April 1792 auch nationale Aufständische zusammenschießen. »Wir zeigen jetzt erstmals eine Ausstellung ›Napoleon und die Korsen‹, die mit den Mythen aufräumen wird«, verspricht Museumsdirektorin Liberatore-Ruggiere in Corté.

In der vermeintlichen Geburtsstadt von Kolumbus, Calvi, in deren Zitadellenviertel auf die Reste seines Geburtshauses aufmerksam gemacht wird, räumt die Historikerin Monique le Hen ein: »Sicher, die vorherrschende Lehrmeinung geht von Genua als Geburtsort aus. Doch wo dort, weiß man nicht genau. Und Calvi wiederum war zu Zeiten von Columbus' Geburt verwaltungsmäßig immerhin auch Teil der Kommune Genua.« Wie auch immer. Seit 1992, dem 500-jährigen Jubiläum der Entdeckung Amerikas, erinnert eine Bronzeplastik an der Zitadellenmauer am Place Colomb an den vermeintlichen Korsen.

Für Eric Herment, der in Paris geboren wurde, und den die Liebe vor 30 Jahren nach Korsika brachte, hat das mythische Element auf der Insel eine einfache Ursache: »Korsika ist wie ein Boot auf hoher See. Man ist sehr auf sich fixiert. Alles, was jenseits des Bootsrandes geschieht, wird nur schemenhaft wahrgenommen.« Aber er komme mit dieser Mentalität gut aus, sagt er. Wobei er beruflich etwas neben korsischer Mentalität liegt. Eric Herment ist Bergführer, und für den Normalkorsen haben die Berge wenig Freizeitwert. »Rucksäcke sind was für Touristen, sagt man hier«, erzählt der Guide.

Für die Korsikatouristen selbst ist das kaum vorstellbar. Denn die Insel ist ein »Gebirge im Meer«, wie sie der korsikaverliebte Franzose Prosper Merimée pries. Auf der Insel, die mit gut 8700 Quadratkilometern etwa halb so groß ist wie Schleswig-Holstein, gibt es allein 50 Zweitausender. Alles in allem ein Wander- und Mountainbikeparadies sondergleichen. Die Starrköpfigkeit der Korsen verhinderte bislang eine Baleariserung wie Neckermannisierung fast gänzlich.

Das Cap Corse, das wie ein Zeigefinger nach Norden herausragt, bietet da alle Raffinessen und Schwierigkeitsgrade sowie grandiose Aus- und Abwärtsblicke, denn mitunter geht es hunderte Meter steil und bizarr gezackt direkt zum Meer hinunter. Nero hatte Seneca hierher im Jahr 41 u. Z. verbannt, ein Turm erinnert an Letzteren. Kilometerweit durchziehen die Pfade die ansonsten unpassierbare, dafür aber unwiderstehlich duftende Macchia. Das ist der für Korsika typische Wildwuchs aus einem Gemisch von Rosen, Ginster, Lavendel und dem Mastixbaum sowie bis zu mannshohem Heidekraut, Rosmarin und Farn. Auf den Lichtungen grasen Kühe. Almwirtschaft. Über verwitterten Schiefer und Granitgeröll geht es immer höher. Die Sonne ist grell, aber nicht gnadenlos, denn der westliche Mistral-Wind mildert die Hitze. Ein ganz leises Wispern wird zum Plätschern und schließlich Rauschen. Eine Quelle. Sonst tiefe Gebirgsstille. Guide Eric sagt, es gebe im westlichen Mittelmeer keinen Platz mit so viel Raum für Muße.

Berg und Beine hoch

Das klingt zwar sehr nach touristischem Superlativ, aber es fällt einem auch kein treffendes Gegenargument ein. Zumal, wenn es abends nach Berg- und Radtour runter zu einem der Strände an der Westküste geht. Oft kilometerlang feinster Sand und wirklich nur im Juli und August stärker frequentiert. Also, eine Runde Schwimmen oder Surfen, zum Abend Meeresfrüchte, am besten Langouste grillée, und dann noch ein bisschen die Beine hoch.

In diese Muße mischt sich auch noch ein weiterer Mythos, zumindest eine Legende. Das Hotel hängt voller Fotos, Plakate und sonstiger Devotionalien zu Antoine de Saint-Exupéry. Der Schriftsteller war zwar Franzose und nicht Korse, aber er ist von hier am 31. Juli 1944 zu seinem letzten Flug gestartet, von dem er bekanntlich nicht zurückkehrte. Vor dem Terminal des Airports Bastia-Poretta ist ihm ein kleines Denkmal gesetzt.

  • Infos: Französisches Fremdenverkehrsamt Maison de la France, Postfach 100128, 60001 Frankfurt/M., Tel: (09001) 57 00 25 (0,49 Euro/min. aus dem deutschen Festnetz), Fax: (09001) 59 90 61
  • Mail: info.de@franceguide.com, www.franceguide.com
Korsische Wahrheit: Cecile Liberatore-Ruggiere erklärt sie, der Urlauber spürt sie (u.).
Korsische Wahrheit: Cecile Liberatore-Ruggiere erklärt sie, der Urlauber spürt sie (u.).
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