Kosmologische Eskapaden

Zwei Bücher stellen Theorien über das All vor

  • Dieter B. Herrmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Was war vor dem Urknall? Der junge Kosmologe Martin Bojowald vertritt die These, dass es da auch schon ein Universum gegeben hat. Die Standardtheorie des Universums ging bisher immer davon aus, dass es vor dem Urknall weder Zeit noch Raum gegeben habe. In seinem Buch »Zurück vor den Urknall« – eigentlich eine Einführung in die moderne Kosmologie – erläutert der an der Penn State University in den USA forschende Bojowald, wie er zu seiner Auffassung gekommen ist. Der Autor führt in die Grundlagen der Gravitationstheorien von Isaac Newton und Albert Einstein ebenso anschaulich ein wie in die der Quantentheorie.

Um die früheste Phase des Universums zu verstehen, benötigt man eine »Quantengravitation«; und gerade die Gravitation lässt sich noch immer nicht in eine gemeinsame Theorie der vier fundamentalen Kräfte einbauen. Der Autor schildert, welche unterschiedlichen Ansätze zur Lösung dieses Problems sich im Laufe der Zeit entwickelt haben und beschreibt ausführlich die Entwicklung der Stringtheorie, die das gesamte Universum auf elementare eindimensionale Objekte – die Strings (Saiten) – zurückführt, deren unterschiedliche Schwingungszustände die verschiedenen Elementarteilchen darstellen. Die Theorie birgt allerdings zahlreiche Schwierigkeiten. Sie arbeitet mit neun Dimensionen, von denen uns sechs bisher allerdings verborgen geblieben sind.

Das ist auch einer der Gründe, die zur Entwicklung der Schleifen-Quantengravitation geführt haben, die uns der Autor – wie ich finde mit Erfolg – verständlich zu machen sucht. Sie soll nun alles richten und vermag auch jene »Singularität« zu vermeiden, die nach der klassischen Deutung am Beginn des Weltalls gestanden hat: Bei unendlicher Dichte und Temperatur soll die Ausdehnung damals Null betragen haben. Kein Physiker kann damit etwas anfangen.

Die Anwendung der Schleifen-Quantengravitation führt Bojowald hingegen in die ominöse »Zeit vor dem Urknall«. Da habe es bereits ein anderes Universum gegeben. Direkte Beobachtungen dieses Zustandes »vor dem Urknall« sind nicht möglich, aber winzige Unterschiede in bestimmten Messungen sollten sich ergeben, falls die Hypothese zutrifft. Doch von einer Überprüfung sind wir im Augenblick noch weit entfernt. Bojowald ist sich dessen durchaus bewusst und lässt den Leser schließlich wissen, dass die Erkenntnis der Erhabenheit der Natur »auch eine Einsicht in die Unvollständigkeit unserer Beschreibung« verlangt (S.331). »Zurück vor den Urknall« ist ein spannendes Buch, das uns an den abenteuerlichen Versuchen von Theoretikern und Beobachtern teilhaben lässt, die Rätsel des Existierenden zu lösen. Es macht aber auch deutlich, dass man nicht jede »Erkenntnis« aus den Schlagzeilen für bare Münze nehmen sollte.

Das Buch von Marcus Chown verstärkt diesen Eindruck. Der Autor greift zahlreiche Fragen auf, die man als Vortragender bei öffentlichen Veranstaltungen regelmäßig gestellt bekommt: Kann unser Gehirn mehr als ein Computer? Warum gibt es Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft? – um nur zwei zu nennen. Als Journalist pflegt Chown einen lockeren Stil – auch beim Zusammendenken teilweise konkurrierender Hypothesen. Dadurch entstehen verblüffende Schlüsse, die durchaus amüsant sind, aber keineswegs den Stand der Forschung zu dieser Frage darstellen. Wenn man sich dessen bewusst ist, bietet die Lektüre viele Anstöße zum Weiterdenken. Zu den Eskapaden der modernen Kosmologie gehört die Lehre von den »Paralleluniversen«. Chown stellt nun den Leser vor die Alternative: »Entweder verwerfen Sie die Quantentheorie oder Sie werfen die Inflationstheorie in die Mülltonne. Oder Sie sind nicht die einzige Version von Ihnen, die dies liest«.

Martin Bojowald: Zurück vor den Urknall. Die ganze Geschichte des Universums, S.Fischer Verlag, Frankfurt a. M., geb., 352 S., 19,95 €.
Marcus Chown: Das Universum und das ewige Leben. DTV, München, brosch., 319 S., 14,90 €.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal