Seide und Öl

Daniel Schwartz sah »Schnee in Samarkand«

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Humboldt-Jahr werden uns wieder mal die Verdienste der großen Reisenden deutlich. Nicht nur, dass sie von fernen Erdteilen Schmetterlinge oder Alligatoren mitbringen, sie fügen unsere kleinen, fragmentierten Welten zu einer größeren zusammen. In Räumen lesen sie Zeit(en), und Zeiten lesend, vermessen sie unendlich ferne Räume. Ein solcher Reisender ist der Schweizer Fotoreporter Daniel Schwartz. Er übergibt uns aber keine kleine literarische Perle, sondern gleich eine riesengroße Schatztruhe, gefüllt mit Rubinen und Seide, Suren und Mandras, Waffen, Kamelen und alten Ladas, mit Felsen, Sand, Ruinen und Ölfördertürmen. Wir können sehen, wie wir alles sortieren. Denn ein bisschen schnell geht dem nicht Eingeweihten das Hin- und Herspringen in Zeiten und Räumen schon.

Für den Autor mit seiner großen Wissbegier gibt es keine Barrieren. Weder natürliche noch politische Grenzen sind ihm unüberwindbar. Er bereist Gegenden, in die eigentlich keiner kommt. Seinen aktuellen Augenzeugenberichten fügt er Historisches hinzu. Dieser »Reisebericht aus dreitausend Jahren« ist einmalig. Am Ende werfen wir unsere (überholten?) Bücher über Alexander den Großen, Dschingis Khan oder Sven Hedin weg, oder wir beginnen sie neu zu lesen.

Daniel Schwartz kündigt einen Fotobildband an. Das hier vorliegende Buch ist so etwas wie vorausgehende Pflichtlektüre. Ihm hinzugefügt sind schon ein paar Schwarz-Weiß-Fotos. Da sieht man ein winzig kleines Auto in einer riesengroßen Steinschlucht, dem Zoji-la-Pass in Kaschmir. Ein anderes Bild zeigt einen jungen Koranschüler auf einer Straße in Pakistan. Die beiden Bilder, die unterschiedlicher nicht sein könnten, verdeutlichen den geistigen Extrakt des Buches, winzig ist der Mensch angesichts dieser unendlichen Zeiten und Räume Asiens. Wir begeben uns mit dem Autor auf Tour über die alten Kriegs- und Handelsstraßen – oft mit alten, klapprigen Autos aus Sowjetzeiten, manchmal mit Bahn oder Schiff. Allerdings flitzen auch schon die großen Mercedeskarossen der neuen Reichen vorbei.

Daniel Schwartz hat zwischen 1991 und 2007 Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan, »die fünf Republiken Zentralasiens, wo Zar und Kommissar den Nomaden vom Pferd geholt hatten«, bereist, zudem »die umliegenden Peripherien«, Afghanistan, Aserbaidschan, Iran und den Grenzraum zu Irak, Kaschmir, die Mongolei, Nordwestpakistan und die autonome Region Xinjiang-Uigur. Um alles zu (v)ermessen, holt man am besten den Atlas hervor. Nicht zufällig beginnen seine Berichte an der »Dsungarischen Pforte«, dem Durchgangstal zwischen Kasachstan und China, wo einst Seide und andere Luxusgüter hindurchtransportiert wurden. Die Fahrten gehen über Pässe, durch Wüsten und über das Kaspische Meer. Ölpipelines oder Glasfaserkabel begleiten die Routen. Über Grenzen wird der Billigkram aus China getragen.

Im Gepäck hat der Autor alle Reiseberichte von Herodot bis Humboldt. Ständig zugegen sind Alexander der Große, Dschingis Khan und Tamerlan, arabische Gelehrte oder chinesisch-buddhistische Mönche, päpstliche Gesandte und russische Eroberer. Alle transportieren Güter und Ideen zwischen Asien und Europa hin und her. Aber wo ist eigentlich die Grenze zwischen den Kontinenten? Am spannendsten sind die Erlebnisse des Autors selbst, etwa im Afghanistan der Taliban oder in Turkmenistan mit der »Operettenhauptstadt« Ashkhabad. Es begegnen uns Schmuggler, Diebe, Gebrauchtwagenhändler, Flüchtlinge und Marktschreier, Milizionäre, große und kleine Gewinnler. Wir sehen die berühmtesten Moscheen der Welt und die ewigen Feuer über den Förderfeldern in den Steppen.

Am Ende fragt der Autor: »Quo vadis, Innerasien?« Eine Antwort findet auch er nicht angesichts der alles verändernden »Pipeline-Geographie«.

Daniel Schwartz: Schnee in Samarkand. Ein Reisebericht aus dreitausend Jahren. Eichborn Verlag. 999 S., 14 Schwarz-Weiß-Fotos, 49,95 €.

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