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Das Null-Summen-Spiel der IAAF

Der Leichtathletik-Weltverband ist erster Sieger im Rennen um WM-Gold und großes Geld

»Sommermärchen« – dieses Zauberwort, das an das berauschende Fest der Fußball-WM 2006 in Deutschland erinnert, macht die Runde auch bei den Leichtathleten und ihren Fans 2009. Die neuntägigen 12. Leichtathletik-Weltmeisterschaften im Berliner Olympiastadion – die zweiten nach Stuttgart 1993 auf deutschem Boden – sind unter dem Slogan »Have a good time« mit vielen Hoffnungen verknüpft. Für Lamine Diak (Senegal), Präsident des Weltverbandes IAAF, steht aber schon einen Tag vor der Eröffnung fest: »Berlin wird den Beweis liefern, dass die Leichtathletik die olympische Kernsportart Nummer eins ist.«

Teurer zweiter Anlauf

Wenn vom »Sommermärchen« geträumt wird, erinnert sich kaum noch jemand ans Scheitern im ersten Bewerbungsanlauf um die WM 2005. London hatte aufgrund von Finanzproblemen 2001 den Rückzug angetreten, so dass die IAAF einen Nachfolger suchte. Daraufhin ging Berlin ins Rennen – und scheiterte auf dem IAAF-Kongress am 14. April 2002 gegen Helsinki. Dabei trugen die bis heute nicht nicht völlig aufgeklärten mysteriösen Umstände – es geht um ein Fax aus Berlin an die IAAF-Zentrale in Monte Carlo, in dem Berlin als Kandidat diskreditiert wurde – viel zum Scheitern bei.

Noch in der Stunde der Niederlage beschlossen maßgebliche Mitglieder des Berliner Bewerbungskomitees eine erneute Kandidatur für 2009. Am 4. Dezember 2004 in Helsinki setzte sich Berlin gegen sieben Konkurrenten durch und erhielt mit einem klaren Votum von 24:2-Stimmen der IAAF-Delegierten den Zuschlag für 2009.

Seitdem sieht sich Berlin als Gewinner und übersieht dabei, dass der erste Sieger im Rennen um Gold und Geld mit dem Weltverband längst feststeht. Denn während die IAAF eine geschätzte zweistellige Millionensumme aus ihrem Fernseh- und Sponsorenprogramm einstreicht, wobei man sich über konkrete Gewinnzahlen ausschweigt, liegt der schwarze Peter beim Gastgeber.

Wenn am Ende der eingeplante Etat der Welttitelkämpfe von 44 Millionen ausreichen sollte, bliebe nach wie vor die Bürgschaft über 20 Millionen Euro darin enthalten, für die der Berliner Senat aufkommen muss. Wenn das kühne WM-Projekt 2009 durch Einnahmeausfälle beim Ticketverkauf (kalkuliert sind 14,85 Millionen Euro, wobei von den rund 500 000 Tickets bislang erst 320 000 abgesetzt sind) teurer wird, erhöht sich zwangsläufig diese Bürgschaft. Und umgekehrt: Werfen die WM Gewinn ab, verringert sich diese Summe. Doch der Steuerzahler war schon lange vorher mit 13,3 Millionen Euro für Investitionen im Olympiastadion und für Infrastrukturmaßnahmen sowie mit einem siebenstelligen Betrag für das Sicherheitskonzept zur Kasse gebeten worden.

Im Übrigen sind die WM in Berlin deutlich teurer als die WM 1993 in Stuttgart mit einem Budget von umgerechnet 20,5 Millionen Euro. Am Ende standen die Schwaben mit einem Defizit von drei Millionen Euro da.

Diesmal haben es die Organisatoren wenigstens geschafft, mit Telekom, Post, Lufthansa, Vattenfall und der Deutschen Bahn fünf nationale Sponsoren ins Boot zu holen. Außerdem gibt es sieben nationale Förderer. Die IAAF mit ihrem Vermarkter Dentsu bringt sieben Partner ein, einen weniger als kalkuliert. Das ist dennoch der größte Vermarktungserfolg in der Leichtathletik-Geschichte.

Peanuts des Weltverbandes

Dr. Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, sieht die möglichen finanziellen Folgen nach WM-Abschluss weniger dramatisch und wiegelt ab: »Wir wollten die WM, weil wir uns als DLV zusammen mit dem Land Berlin einen deutlich überschießenden Wert von ihr versprechen. Die Chancen dafür sind größer als die Lasten.« Allerdings beklagt er das »Null-Summen-Spiel« des Weltverbandes: »Solange sich Städte bei der Bewerbung gegenseitig überbieten, werden internationale Sportorganisationen wie die IAAF wirtschaftlichen Nutzen aus der Veranstaltung ziehen.«

IAAF-Präsident Diak ficht das nicht an: »Früher haben wir den Ausrichtern sieben Millionen Dollar ausgezahlt. Aber dann haben wir mit den WM 1993 in Stuttgart festgestellt, dass dieses Geld nicht dem Organisationskomitee zugute kam, sondern der nationale Verband sich davon seinen Hauptsitz in Darmstadt finanziert hat.« Daraufhin vollzog die IAAF eine Kehrtwende und teilte seit den WM 1997 in Athen das Geld unter den Sportlern als Preisgeld auf. Die Gesamthöhe beläuft sich diesmal auf 7,336 Millionen Dollar. Peanuts für den komfortabel dastehenden Weltverband, dessen Werbe- und TV-Einnahmen der Eckfeiler des bis zu 60 Millionen Dollar umfassenden Jahresbudgets sind.

Den größten finanziellen Reibach unter den WM-Startern könnte natürlich der Topfavorit aus Jamaika, der dreifache Olympiasieger und Weltrekordler Usain Bolt, machen, wenn es ihm gelänge, sein Gold- und Weltrekord-Triple von Olympia 2008 zu wiederholen. Dann würde der schnellste Mann der Welt ein Preisgeld in Höhe von insgesamt 350 000 Dollar kassieren!


Zahlen und Fakten

Mit einem Weltrekord beginnen diese 12. WM. Nach der Meldeliste haben sich 2101 Athleten – 1154 Männer und 947 Frauen – aus 202 von 213 IAAF-Mitgliedsländern angesagt. Der bisherige Rekord stammt von 1999 in Sevilla mit 1821 Startern aus 201 Ländern. 100 Sprinter aus 72 Ländern wollen die 100 m der Männer laufen. Für den Marathon haben 101 Männer aus 39 Nationen gemeldet.

Acht Titelverteidiger von Osaka 2007 und sieben Olympiasieger von Peking 2008 fehlen in den Startlisten.

Die 141 WM-Medaillen in Gold, Silber und Bronze zieren – je nach Disziplin – Läufer, Springer oder Werfer in der Bewegung. Die leicht gekrümmten rechteckigen Plaketten sind 210 Gramm schwer. Entworfen wurden sie von der Dresdnerin Elisabeth Warkus, 26-jährige Studentin der Universität der Künste in Berlin.

Das Preisgeld – gezahlt vom Weltverband IAAF – beträgt in den Einzeldisziplinen für Sieger 60 000 Dollar, für Zweite 30 000 und Dritte 20 000 Dollar. Ein Weltrekord wird mit 100 000 Dollar honoriert.

In den 47 Disziplinen gibt es 14 Uralt-Weltrekorde, darunter von DDR-Athleten: Marita Koch (Rostock) mit 47,60 s über 400 m (1985), Jürgen Schult (Schwerin) mit 74,08 m (1986) und Gabriele Reinsch (Cottbus) mit 76,80 m (1988) im Diskuswurf sowie die 4 x 100-m-Staffel mit Gladisch, Rieger, Auerswald und Göhr mit 41,37 s (1985).

Die größte Postkarte der Welt ist vorm Olympiastadion zu sehen: 48,75 Quadratmeter groß (das sind 3000 herkömmliche Postkarten). Sie entstand auf einer 100-Tage-Tour durch 60 deutsche Städte. Die Besucher konnten sich fotografieren lassen und ihre WM-Wünsche aufschreiben. So entstand ein Mosaik aus 2500 Bildern.

Das Fernsehen (ARD, ZDF, Eurosport) zeigt rund 115 Stunden WM live. Übertragen wird in über 190 Ländern. Erwartet wird eine TV-Zuschauerzahl von über sechs Milliarden. joh

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