Die SPD feiert, aber Freude kommt nicht auf

Müntefering lässt seine Partei in der Ypsilanti-Matschie-Falle schmoren

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.
So weit sind die Realitäten auch in der SPD inzwischen akzeptiert: Wenn sie regieren will, kommt sie um die LINKE kaum noch herum. Regieren mit der LINKEN ja, unter Führung der LINKEN nein – der Weg der Erkenntnis ist lang für die Sozialdemokraten.

Schwer zu sagen, was da im Rücken des SPD-Kanzlerkandidaten wehte. Zumindest wurde Frank-Walter Steinmeier am Montag mit der Beobachtung zitiert, dass die drei Landtagswahlen am Wochenende in Sachsen, Thüringen und im Saarland seiner Partei Rückenwind für die Bundestagswahl verschafft hätten. Die SPD-Spitze hatte sich wohl schon vor der Wahl entschlossen, alles, was nicht in einer Parteiauflösung endet, als Erfolg zu feiern. Das freudig erregte Gesicht von Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier am Wahlabend mochte deshalb nicht recht zum Ergebnis passen. Die SPD hat in einem Land (Thüringen) vier Prozent gewonnen, im zweiten (Saarland) 6,3 Prozent verloren und im dritten (Sachsen) schließlich ihr katastrophales Ergebnis vom letzten Mal halten können. Wenn dies schon der Durchbruch ist, kann zur Bundestagswahl in vier Wochen kaum noch etwas passieren.

Zweifellos folgt das Auftreten der SPD-Spitze jetzt auch psychologischem Kalkül. Nicht nur mit Blick auf die schwankende Wählerschaft vor der Bundestagswahl, sondern auch um die eigene Position in den Verhandlungen mit den potenziellen Koalitionspartnern in Thüringen und im Saarland zu stärken. Denn paradoxerweise ist zwar ein wirklicher Wahlerfolg der SPD ausgeblieben, aber die Tür zur Macht gleich zweifach geöffnet: in Thüringen und im Saarland. Während die Saar-SPD von Spitzenmann Heiko Maas mit 24,5 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit über 50 Jahren vermerken muss, hat sie dank der Stärke der LINKEN (21,3 Prozent) dennoch die Chance zur Regierungsbildung erhalten. Voraussetzung ist der Eintritt auch der Grünen in eine gemeinsame Koalition. In Thüringen, dem einzigen Land, wo die SPD überhaupt hinzugewonnen hat, reicht das Ergebnis von 18,5 Prozent allerdings nicht aus, den erhobenen Anspruch auf das Ministerpräsidentenamt ohne weiteres zu realisieren – ebenfalls dank der Stärke der LINKEN. Die Sozialisten haben 27,4 Prozent und damit nahezu zehn Prozent mehr erzielt als die Sozialdemokraten.

Die SPD-Spitze kann nicht behaupten, von dieser Situation überrascht worden zu sein. Spätestens seit der Hessen-Wahl Anfang 2008 weiß sie um die Tücke der eigenen Vorbehalte gegenüber der LINKEN. Den Vorwurf des Wahlbetrugs, dessen sich die dortige Kandidatin Andrea Ypsilanti nach ihrer Entscheidung für eine verdeckte Kooperation mit der LINKEN in Form einer Tolerierung erwehren musste, haben sich die Spitzenkandidaten Christoph Matschie und Heiko Maas erspart. Sie schlossen eine Koalition mit der LINKEN im Vorfeld lieber nicht aus.

Aber eine Wahl von deren Spitzenkandidaten zu Regierungschefs schlossen beide aus, und nur im Saarland geht das nun reibungslos auf, wo die SPD stärker ist als die LINKE, auch wenn diese sich aus dem Stand zu gleicher Augenhöhe aufrichtete. In Thüringen hingegen droht schon wieder die Ypsilanti-Falle – als Matschie-Falle. Trotz beträchtlichen Rückstands muss Christoph Matschie jetzt nicht nur den potenziellen Koalitionspartner, sondern auch die aufgeklärte Wählerschaft davon überzeugen, dass nur ihm das Amt des Regierungschefs gebührt. Wenn die SPD dabei bleibt, könnte sie freilich als Juniorpartner in einer Großen Koalition mit der CDU landen.

Die Gespräche zwischen Linkspartei und SPD, gegebenenfalls ergänzt durch die Grünen, deren Beteiligung rechnerisch allerdings für die »Reformmehrheit« in Thüringen nicht notwendig ist, dürften sich hinziehen. SPD-Chef Franz Müntefering selbst deutete am Montag an, dass seine Partei kein Interesse daran hat, noch vor der Bundestagswahl am 27. September zu einem Ergebnis zu kommen – die Gefahr einer weiteren Blamage der SPD vor dem Wähler liegt nahe, wenn alle Seiten bei ihrer Position bleiben.

Doch schon die Auftritte am Tag nach der Wahl taugten nicht wirklich als Werbung in eigener Sache, auch wenn die Sozialdemokraten diese auf Biegen und Brechen versuchten. Scheinbar blind für alle Realitäten, beharrte Müntefering darauf, dass seine Partei in vier Wochen das Bundeskanzleramt erobern werde, und zwar ohne Hilfe der LINKEN. Der Parteienforscher Ulrich von Alemann sprach angesichts dieses Realitätsverlusts in im Phoenix-TV von Zeiten, »in denen Wünschen noch geholfen hat« – Wahlkampfzeiten halt.

Erneut nannte Müntefering die bekannten Gründe, weshalb es im Bund vor 2013 zu keiner gemeinsamen Regierung kommen werde. Neben vermeintlicher Sozialromantik der LINKEN, neben Populismus, Vorbehalten gegenüber der EU und der Haltung der Partei zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr nannte Müntefering klar und deutlich die persönlich wichtigste Barriere: Linksparteichef Oskar Lafontaine. Der habe sein Ziel, im Saarland Ministerpräsident zu werden, nicht erreicht. Die »Welle Lafontaine«, so Müntefering, sei am Wochenende gebrochen.

So viel Realitätsverweigerung lässt unter den heutigen personellen Voraussetzungen kaum baldige Kurswechsel der SPD erwarten. Auch in den Ländern im Westen des Landes nicht, wie Äußerungen der nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden Hannelore Kraft zeigen. Sie begrüßte die neuen Bündnisoptionen, die sich für ihre Partei durch die LINKE in Thüringen und an der Saar eröffneten. Für die SPD in ihrem Land allerdings schloss sie ein Bündnis nach der nächsten Landtagswahl im Frühjahr 2020 aus. Schon wieder ist die Ypsilanti-Matschie-Falle zu erkennen. Und nicht ganz zu Unrecht beginnt die politische Konkurrenz bereits, der Sozialdemokratin aus Düsseldorf einen neuen Spitznamen zu verpassen: Hannelore Kraftilanti.

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