Kerviel allein vor Gericht

Frankreich: In der Bankaffäre um milliardenschwere Fehlspekulationen bleiben die Chefs unbehelligt

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Der ehemalige Börsenhändler Jérome Kerviel, der durch misslungene Devisenspekulationen der französischen Großbank Société Générale einen Verlust von 4,9 Milliarden Euro eingebracht hat, soll sich dafür allein vor Gericht verantworten.

Die Untersuchungsrichter haben ihre seit Januar 2008 laufenden Ermittlungen im Fall des Devisenhändlers Jérome Kerviel nun abgeschlossen. Damit könnte es im ersten Halbjahr 2010 zum Prozess kommen. Dem Makler drohen fünf Jahre Gefängnis und 375 000 Euro Geldstrafe sowie eine Zivilklage auf Schadenersatz, an dem er sein Leben lang abzahlen dürfte.

Kerviels Verteidiger Olivier Metzner, der den Untersuchungsrichtern »Machtmissbrauch« vorwirft, rief den Kassationshof an. Diese hätten nur nach belastenden Fakten gesucht, die die Vorwürfe der Bank gegen ihren früheren Makler belegten, und alle ihn entlastenden Momente unberücksichtigt gelassen. Für juristisch fragwürdig hält der Anwalt den Vorwurf des Vertrauensbruchs, da sich Kerviel nicht bereichert, sondern nur unberechtigt die Computertechnik der Bank für seine Spekulationen benutzt habe. Wenn die Kassationsrichter den Einwurf für berechtigt halten, müssten die Ermittlungen neu aufgerollt werden.

Die Schlussfolgerungen der Untersuchungsrichter lauten auf eigenmächtige Spekulationen in Milliardenhöhe, Vertrauensbruch, Fälschung und Missbrauch der Computersysteme der Bank. Da Kerviel kein Geld veruntreut hat, ließ der Untersuchungsrichter den Vorwurf des »schweren Vertrauensbruchs« fallen, auf den die Staatsanwaltschaft gedrängt hatte.

Für seine Spekulationen hatte der heute 32-jährige Broker zeitweise mit bis zu 50 Milliarden Euro jongliert. Er habe sich von der »Spirale der Spekulation mitreißen lassen«, erklärte er in einer der ersten Vernehmungen. Die Justiz sieht in Kerviel einen Einzeltäter, der seine desaströsen Geschäfte mit raffinierten Tricks und dank der perfekten Ausnutzung von Schwächen im Computer-Kontrollsysten der Großbank monatelang geheim halten konnte. Dabei habe er die diversen Kontrollinstanzen belogen und bewusst getäuscht sowie fiktive Kauf- und Verkaufsaufträge oder andere Dokumente fabriziert. Diese Darstellung weist der Beschuldigte jedoch vehement zurück. Er wirft seinen Vorgesetzten vor, von seinen Spekulationen gewusst, aber weggeschaut zu haben, solange er der Bank Gewinne zu bringen schien. »Glauben Sie wirklich, ein Milliardengeschäft ließe sich unbemerkt abwickeln, ohne dass jemand in der Bank Fragen stellt?«, hielt Kerviel, der 38 Tage in Untersuchungshaft saß und dann unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt wurde, den Vernehmern entgegen. Doch seine unmittelbaren Vorgesetzten wurden von der Justiz »reingewaschen« und selbst gegenüber dem Assistenten von Kerviel, der zunächst als Mitwisser und Mittäter galt, ließ man jetzt diesen Vorwurf fallen.

Bankchef Daniel Buton musste seinen Hut erst nehmen, als die Bankenaufsicht die Société Générale wegen »schwerwiegender Unzulänglichkeiten des internen Kontrollsystems« verwarnte und eine Geldstrafe von vier Millionen Euro verhängte. Da lief das Untersuchungsverfahren gegen Jérome Kerviel schon fast ein halbes Jahr. Als Rente sollen Bouton ab 2010 pro Jahr eine Million Euro zustehen. Längst nutzte er die Zeit und löste alte Optionen zum billigen Erwerb von Aktien der ehemals von ihm geleiteten Bank ein. Durch den umgehenden Verkauf dieser Aktien strich er einen Gewinn von 1,3 Millionen Euro ein – ganz legal.

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