1001 Nacht im Kopf

Literaturfestival 1: Der Westen und die arabische Welt

  • Sybille Walter
  • Lesedauer: 2 Min.

Die Arabische Welt ist Schwerpunkt des Internationalen Literaturfestivals Berlin: Literatur aus Ägypten, Irak, Libanon, Palästina, Saudi-Arabien und vielen anderen so verschiedenen arabischen Ländern – die Unterschiede sind hierzulande kaum bewusst. So wurde am Freitagabend im Haus der Berliner Festspiele vor allem über unsere Sicht auf diese Region, den alten Orient, gesprochen: Unter der Moderation von Susanne Stemmler diskutierten Malek Alloula (Algerien), Sonja Hegasy, Andreas Pflitsch, Stefan Weidner (Deutschland) und Francois Zabbal (Frankreich) darüber, ob wir die arabische Welt tatsächlich vorwiegend mit Terrorismus, religiösem Fanatismus und Unterdrückung der Frauen verbinden: Wie differenziert nehmen wir diese Länder wahr?

Sonja Hegasy vom Zentrum moderner Orient konstatiert eine Verhärtung des Blicks und die Zunahme stereotyper Urteile. Schuld hierfür trügen vorwiegend die Medien, die mit ihren Berichten auf vorhandene Bilder setzten. – Eine These, die in der Debatte nur verhalten Anklang fand. Natürlich, so ein Besucher, entscheiden politische und ökonomische Interessen darüber, welche Bilder aus der arabischen Welt uns erreichen. Doch der Wahrnehmungsprozess ist komplizierter. Der in Libanon geborene und seit 1984 in Frankreich lebende Publizist Francois Zabbal erinnerte daran, dass in der westlichen Welt seit dem 19. Jahrhundert enorm viel Wissen über die arabische Welt erarbeitet wurde. Es sei jedoch sehr schwierig, einen komplizierten Sachverhalt innerhalb von 30 Sekunden im Fernsehen zu erläutern. Dort wirkten Bilder intensiver und dauerhafter.

Der Autor Stefan Weidner betonte, dass sich Stereotypen wechselseitig beeinflussen: Ich nähere mich der arabischen Kultur mit meiner Sicht auf die Welt und muss mich zugleich fair gegenüber einer anderen Sicht erweisen. Das wirkt nach, wenn moderne arabische Poesie heute mit blumigen Sprachbildern ins Deutsche übersetzt wird, die unserer Gegenwartssprache nicht entsprechen. Hier sieht der Literaturwissenschaftler Andreas Pflitsch eine Wurzel des Problems: Unsere Vorstellung vom Orient ist nach wie vor von den Geschichten aus 1001 Nacht geprägt. Dabei wissen wir, dass in marokkanischen oder libanesischen Großstädten Autos die Kamele ersetzt haben. – Solch ein Klischee hatte sich der Schriftsteller Malek Alloula zunächst zum Hobby gemacht, bevor er einen Essay darüber veröffentlichte: Er hatte schon als Kind die damals verbotenen Ansichtskarten mit Haremsdamen in lasziver Haltung gesammelt. Sie waren Anfang des 20. Jahrhunderts in französischen Fotoateliers entstanden, zu einer Zeit, als die algerische Frau in der Öffentlichkeit nicht sichtbar war. Als er 1980 diese Entblößung seines Volkes in einem Essay kolonial nannte, erntete er Empörung.

Nicht gesprochen wurde an diesem Abend leider darüber, inwiefern nicht eingestandene Ängste einer fremden Kultur gegenüber uns empfangsbereit machen für schlechte Nachrichten.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal