Quote, Saldierung, Faktor

Warum die Milchbauern kein Gehör bei der deutschen Politik finden

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.
Im Mai hat Angela Merkel die Milchpreisentwicklung zur Chefsache ernannt. Geschehen ist seither wenig. Dabei droht vielen Milchbauern das Aus, denn die Nachfrage sinkt derzeit – doch die Quoten steigen.

Ewald Grünzweil sieht sich schon auf den Barrikaden. »Wir unterstützen den europäischen Bauernaufstand«, tönte der Chef der »IG Milch« gerade auf der Rieder Messe in Oberösterreich, »und rufen in Österreich alle Bauern auf, nicht nur die Milchbauern, die Milchlieferungen einzustellen und unserem Beispiel zu folgen!«

Auch anderswo stehen die Zeichen auf Sturm. In Frankreich und Belgien wird schon Milch verschüttet, weitere Staaten könnten bald folgen. Auch deutsche Milchbauern können sich beteiligen, obwohl der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) nicht offiziell aufrufen darf.

Gründe gibt es jedenfalls genug: Schon im Mai hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Milch zur Chefsache erklärt. Allerdings war sie bei einem demonstrativen Hofbesuch in Niedersachsen mit Vertretern des Deutschen Bauernverbandes (DBV) zusammengetroffen, der gegen den Boykott gewesen war – und nicht mit dem BDM, der das Kanzleramt belagert hatte. Geschehen ist seither wenig. Berlin schiebt die Verantwortung auf Brüssel, wo Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) erwartungsgemäß keinen Erfolg hatte mit der Forderung nach einer Aussetzung der Milchquotenerhöhung.

Nach wie vor sind BDM und DBV uneins über die richtige Milchpolitik. Der BDM, der die Interessen kleiner, spezialisierter Höfe vertritt, will grundsätzlich eine Mengenreduzierung. Deshalb wendet er sich nicht nur gegen die geplante neuerliche Erhöhung der Quote um ein Prozent, sondern fordert ein Aussetzen der Saldierung. Dabei wird die Unterproduktion eines Erzeugers im Rahmen der nationalen Quote mit der Überproduktion eines anderen verrechnet. Würde dieses Verfahren gestoppt, ließe sich der Preis leichter durch Absprachen steuern.

Zudem fordert der BDM eine Korrektur des Umrechnungsfaktors. Milch wird in Litern geliefert und in Kilo bezahlt, bei der Berechnung geht man von 1,02 Kilo pro Liter aus. Untersuchungen zeigen aber, dass der Faktor veraltet ist und 1,03 eher der Realität entspräche. Von der Anpassung des Faktors verspricht sich der BDM eine Reduzierung der Produktion, ein Bauer müsste für den gleichen Erlös weniger liefern.

Die Aktionsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), Umweltorganisationen wie der BUND sowie Linkspartei und Grüne teilen diese Position. Die SPD verhält sich widersprüchlich: Während Landespolitiker wie die bayrische Agrarexpertin Maria Noichl den BDM-Kurs unterstützt, sendet die Bundespartei andere Signale: Der Bundestagsabgeordnete Wilhelm Priesmeier etwa hat sich jüngst für eine einmalige Aussetzung der Saldierung ausgesprochen – wenn dies EU-weit durchgesetzt werde. Das aber ist sehr unwahrscheinlich, da Agrarindustrie-Staaten wie Dänemark sich widersetzen.

In Deutschland bestimmend ist der den Unionsparteien nahe DBV, dem nachgesagt wird, auf Seiten der großen Molkereien zu stehen. Der DBV fordert zwar auch die Aussetzung der Quotenerhöhung, akzeptiert aber grundsätzlich die Entwicklung eines liberalisierten Milchmarktes. Der derzeitigen Situation, in der die Quote trotz Nachfragerückgangs steigt, will der DBV durch »absatzfördernde Maßnahmen« begegnen – auch durch »Stützungskäufe«, die legendären Milchseen und Butterberge.

Die sind aus vielen Gründen fragwürdig – und helfen auch nicht weiter. Die EU-Interventionsschranke liegt bei einem Erzeugerpreis von 22 Cent pro Liter. Ein Familienbetrieb braucht laut BDM aber 35 bis 40 Cent.

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