Unterwegs auf biblischem Boden

Ein großer Teil der heiligen christlichen Stätten liegt im muslimischen Jordanien

  • Hilmar König
  • Lesedauer: 8 Min.
Nasrin al Fakir
Nasrin al Fakir

Mit dem Kajalstift schwärzt sich die 20 Jahre alte Nasrin al Fakir schnell noch einmal die Augenränder. Auch die ohnehin schwarzen Augenbrauen werden nachgezogen, dann das Kopftuch zurechtgezupft. Zufrieden schaut sie in den Spiegel. Nun ist sie bereit für ein Foto. Die junge jordanische Beduinin unterhält einen Souvenirshop auf dem weiten Gelände der verlassenen Stadt Petra, auf der es nur so von in- und ausländischen Touristen wimmelt. Nahezu 6000 Besucher täglich zählt der von der UNESCO ins Weltkulturerbe aufgenommene archäologische Komplex im Süden des haschemitischen Königreiches in Jordanien.

Schatzkammer des Pharao

Zu Nasrins Geschäft gehört aber auch, sachkundig Auskunft über die insgesamt 34 steinernen Sehenswürdigkeiten aus der Zeit der Nabatäer geben zu können. Ihr Stand, an dem sie vor allem von Beduinenfrauen gefertigten Schmuck, Ringe, Armreifen, Ketten sowie Figürchen, Vasen, Kännchen, Tücher und anderen Schnickschnack anbietet, ist nur ein paar Steinwürfe von der »Khazneh« entfernt, der mit Säulen und Statuen geschmückten »Schatzkammer des Pharao«. So jedenfalls heißt die aus mehrfarbigem Sandsteinfels gehauene 30 m breite und 43 m hohe Hauptattraktion. »Es gibt Archäologen«, erklärt Nasrin, »die den Petra-Komplex als achtes Weltwunder der Antike bezeichnen.« Allerdings ist nicht klar, was die im 1. Jahrhundert vor Christus geschaffene »Schatzkammer« wirklich war. Das Grabmal eines Nabatäer-Königs? Ein Tempel? Eine Halle für Versammlungen?

Fest hingegen steht, dass der arabische Stamm der Nabatäer sich in dieser Gegend vor rund 2200 Jahren niederließ und ein mächtiges Königreich aufbaute, das bis Damaskus, in Teile der Sinai-Halbinsel und in die Negev-Wüste reichte. Ost-West- und Nord-Süd-Karawanenwege kreuzten sich hier. Zwischen dem 3. Jahrhundert v. u. Z. bis zum 2. Jahrhundert u. Z. existierte hier eines der bedeutendsten Handelszentren im östlichen Mittelmeerraum. Der Handel mit Seide und Gewürzen aus Indien und dem Fernen Osten, mit Elfenbein und Tierfellen aus Afrika, mit Salz und Myrrhe aus Arabien florierte.

»Möglich, dass die Heiligen drei Könige auf ihrer Reise nach Bethlehem zur Geburtsstätte Jesus’ hier Weihrauch, Myrrhe und Gold erstanden«, vermutet Nasrin. Dieser Handel bildete das Fundament für einen bemerkenswerten zivilisatorischen Entwicklungsstand, zu dem Dämme, Kanäle, Wasserversorgungssysteme und gepflasterte Straßen gehörten. Und die weit über die Region hinausreichenden Kontakte förderten die Offenheit der Nabatäer gegenüber ausländischen kulturellen Einflüssen, die sich auch in der imposanten Architektur von Petra niederschlugen.

»Wenn Sie genügend Kondition haben, dann müssen Sie sich unbedingt auch die zweite Petra-Attraktion ansehen, Ad-Deir, das Kloster. Es liegt ganz am Ende des Geländes in den Bergen und ist nur durch mühsames Gekraxel über mehr als 800 Stufen zu erreichen.« Mit dieser Empfehlung schickt uns Nasrin al Fakir los, allerdings erst, nachdem sie uns ein paar hübsche Kleinigkeiten aus ihrer Warenkollektion aufgeschwatzt hat.

Wo Moses wandelte

Mit sichtlicher Eifersucht hat Sufian Ibrahim, unser Fahrer und Reiseleiter, die Konversation mit der geschäftstüchtigen Beduinin verfolgt. Eigentlich hat sie ihm ins Geschäft gepfuscht. Er wollte uns doch mit seinem Wissen über Petra beeindrucken. »Na ja«, tröstet er sich, »von der Bibel hatte sie jedenfalls keine Ahnung, denn auf Schritt und Tritt ist man in Jordanien auf biblischem Boden. Moses und die Israeliten kamen bei ihrem Auszug aus Ägypten auch durch Petra. An dessen Rande erstreckt sich nämlich das Wadi Musa, das Tal des Moses. Die dortige Quelle soll die Stelle markieren, an der er Wasser aus dem Felsen schlug und damit gegen Gottes Weisung verstieß, zu dem Felsen zu sprechen. Als Strafe durfte Moses später zwar vom Berg Nebo ins gelobte Land blicken, es aber nicht betreten.« In Petra soll auch Aaron, der erste Hohe Priester der Bibel, gestorben und auf dem Berg Jabal Harun begraben sein. Er wurde laut Altem Testament von Gott beauftragt, den Gläubigen den noch heute aktuellen Segensspruch zu überbringen. Sufian Ibrahim zitiert: »Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. Der Herr erhebe sein Antlitz über dich und schenke dir Frieden.«

Unsere Bibel-Reise führt nun schnurstracks auf der Wadi Araba Road nach Norden, Richtung Totes Meer. An einem Kontrollposten der Armee – etwas weiter westlich verläuft die Grenze zu Israel – steht auf Arabisch die patriotische Losung »Zuerst Jordanien!« In der Ortschaft Safi will uns Sufian jetzt an einem Berghang Lots Höhle zeigen. Nach der Flucht aus Sodom fand Lot, der Neffe Abrahams, hier mit seinen beiden Töchtern Zuflucht. Seine Frau war im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke geblieben und zur Salzsäule erstarrt, weil sie eine Weisung des Herrn missachtet und sich nach den »Sündenpfuhlen« Sodom und Gomorrha umgeschaut hatte, als diese mit Feuer und Schwefel ausgelöscht wurden. Das versteinerte Weib Lots werden wir eine halbe Stunde später auf einer Anhöhe erblicken.

Auf dem Weg zur Höhle versperren Bauschilder den Weg: »Betreten verboten«. Die historische Stätte wird renoviert. Doch unser unternehmungslustiger Reiseleiter kennt Schleichwege und bringt uns bis zum Eingang der Gruft. »Hier drinnen«, so weiß er aus den Büchern Moses, »gaben Lots Töchter ihrem Vater Wein und ließen sich von ihm schwängern. Jede gebar einen Sohn – die Urväter der Ammoniter und der Moabiter.« Von der Höhle aus sieht man in der Ferne bereits das Tote Meer, unser nächstes Ziel.

Die Wadi Araba Road hat ab jetzt ein starkes Gefälle, es geht hinab bis zum tiefsten Punkt der Erde. Der seit Jahren beängstigend schrumpfende Binnensee – der Jordan als Hauptzufluss ist nur noch ein Bach – liegt 410 m unterhalb des Meeresspiegels. In Arabisch heißt er »Bahr Lut«, Lots Meer. Andere Namen sind See von Arabah, Teufelsmeer, Salzsee oder Östliches Meer. Schlamm und Salz liefern den Rohsoff für Wellness-Einrichtungen mehrerer Hotels in Strandnähe sowie für eine Fülle teurer kosmetischer Produkte. Zu biblischen Zeiten nannte man das ausgedehnte fruchtbare Tal um den See »Garten des Herrn«.

Auf dem Berg Nebo

Am nächsten Morgen bringt uns Sufian Ibrahim auf den biblischen Berg Nebo. Während der Fahrt erklärt er uns das Geschehen, wie es das Alte Testament überlieferte: Der Herr befahl Moses, auf den 800 m hohen Berg zu steigen, der im Land Moab gegenüber Jericho liegt. Von dort solle er in das Land Kanaan schauen, das Gott dem Volk Israel zum Besitz geben, das Moses aber nicht betreten werde. Das sei die letzte Handlung vor seinem Tode.

Wenig später schauen auch wir von dieser Stelle in die Moabebene, in der sich das bis auf den heutigen Tag unentdeckt gebliebene Grab Moses befinden soll. Auf einer Marmortafel stehen die Entfernungen – Nablus 66 km, Hebron 65 km, Ramallah 52 km, Bethlehem 50 km, Jericho 27 km, Jerusalem/Ölberg 46 km. Sie alle liegen auf der von Israel seit 1967 besetzten Westbank, dem von Palästinensern besiedelten westlichen Ufer des Jordans. Hier und später noch einmal an der Stelle, wo Johannes der Täufer Jesus taufte, wird uns bewusst, wie zerrissen und von Blut befleckt heute das »gelobte« biblische Land durch den Nahostkonflikt ist. Die Besuche und Gebete von Papst Johannes Paul II. im Jahre 2000 und in diesem Mai von Benedikt XVI. haben daran, wie erwartet, nichts geändert. Beide weilten auch auf dem Berg Nebo, der in der Bibel als Pisgah erwähnt wird und den arabischen Namen Siyagha trägt.

Auf dem Berg stehen heute die »Moses Gedenkkirche«, eine Stele, die an den Besuch Papst Johannes Pauls erinnert, und ein metallenes »Schlangenkreuz«. Es symbolisiert die Bronzeschlange, die Moses auf Geheiß Gottes während der Suche nach dem gelobten Land an einer Stange tragen ließ – als Schutz gegen die Pest. Die »heilende Schlange am Stab« wurde später ein Zeichen der Ärzteschaft und Apotheker.

Vom Berg Nebo zum Al Maghtas, der Stelle der Taufe Jesus’, den Christen als Bethanien hinter dem Jordan bekannt, ist es nur ein Katzensprung. 1996 wurde diese Stätte, inzwischen ein paar hundert Meter vom geschrumpften Jordan entfernt, von Experten als authentische Wirkungsstätte des Täufer-Johannes markiert. Jesus hat hier angeblich seine ersten Jünger Simon, Petrus, Andreas, Philip und Nathaniel um sich geschart.

Sufian Ibrahim lässt noch einmal sein Bibelwissen aufblitzen: »Jesus kam von Galiläa an den Jordan. Nachdem ihn Johannes getauft hatte, teilte sich der Himmel, und Jesus sah den Geist Gottes wie eine Taube auf sich herabkommen. Und aus dem Himmel tönte es: Dies ist mein Sohn. Ihm gilt meine Liebe. Ihn habe ich erwählt.«

Gegenwärtig sprießen zwischen der Taufstelle und dem Jordan Kirchen verschiedener christlicher Konfessionen wie Pilze aus dem Boden. Wie alle Touristen wollen auch wir natürlich bis ans Ufer des biblischen Flusses. Gar manche kommen, um sich mit dem trüben Jordan-Wasser taufen zu lassen. Gegenüber am anderen Ufer lockt Israel seine Besucher an die historische Stätte. Touristen auf beiden Seiten, die sich ebenso schweigend beobachten wie der jordanische und der israelische Grenzwächter. Nachdenklich treten wir unsere Rückfahrt an.

Infos: Jordanisches Fremdenverkehrsamt, c/o Kleber PR Network GmbH, Hamburger Allee 45, 60486 Frankfurt am Main, Tel.: (069) 71 91 36-62, Fax.: -51, E-Mail: germany@visitjordan.com, www.visitjordan.com

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