• Vor 60 Jahren: Gründung der DDR

Ein Bankrotteur?

Ein Wirtschaftszwerg, aber nicht pleite

  • Christa Luft
  • Lesedauer: 5 Min.
Fakt ist, dass die DDR ein hochindustrialisiertes Land mit moderner Landwirtschaft und weltweitem Handel war.

Die Urteile über die Wirtschaft des verblichenen Staates gehen weit auseinander. Die einen haben noch die zu Zeiten Walter Ulbrichts aus Prestigegründen in Umlauf gesetzte These im Ohr, die DDR belege – gemessen am absoluten Produktionsumfang – Rang 10 unter den Industrienationen der Welt. Tatsächlich war die in Mengeneinheiten erfasste Produktion im internationalen Vergleich beachtlich. Nur war damit nichts über den Arbeitsaufwand, mithin über die Produktivität gesagt. Für andere glich der zweite deutsche Staat einem Bankrotteur. Diese Schmähthese soll dazu dienen, die überstürzte Art und Weise der D-Mark-Übertragung auf die DDR wie auch die Privatisierungsorgien der Treuhand mit dem hinterlassenen Schuldenberg von 257 Milliarden D-Mark als alternativlos zu rechtfertigen und die Bevölkerung demütig zu machen.

Beide Sichten widerspiegeln die Realität verzerrt. Fakt ist, dass die DDR ein hoch industrialisiertes Land mit moderner Landwirtschaft und weltweiten Außenhandelsbeziehungen war. Ihre größten Ex- und Importpartner waren die Sowjetunion und die BRD. Bis zum Ende ihrer Existenz belegte sie unter den RGW-Ländern in der Wirtschaftsleistung pro Kopf den ersten Rang. In Wissenschaft und Technik nahm sie einen Spitzenplatz ein. Das traf auch auf den Lebensstandard der Bevölkerung zu. Mit vielen entwickelten westlichen Ländern konnte sie sich ebenfalls messen.

Im Vergleich mit der BRD erwies sich die Produktivität der Wirtschaft als Achillesferse. Bereits in den ersten 15 Nachkriegsjahren war gegenüber dem Marshall-Plan-begünstigten Nachbarn ein Rückstand eingetreten, der bis zuletzt nicht mehr aufgeholt werden konnte. Neben systemeigenen Ursachen waren dafür äußere Erschwernisse maßgebend, so umfangreiche Reparationsleistungen an die UdSSR in Form von Demontagen und Entnahmen aus der laufenden Produktion, Embargomaßnahmen kapitalistischer Länder, die offene Grenze zum Westen und die Abwanderung hochqualifizierter Männer und Frauen, die Zugehörigkeit zu einem Verbund ökonomisch und ökologisch weniger entwickelter Länder.

Ende der 1980er Jahre hatte sich die ökonomische Lage der DDR zugespitzt. Erich Honeckers Kurs der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik war durch die reale Leistungsfähigkeit der Wirtschaft nicht abgedeckt. Das ökonomische Wachstum war gegenüber vorangegangenen Zeiträumen abgeschwächt, die Akkumulation rückläufig. Die knappen Investitionsmittel wurden auf ausgewählte Zweige (Mikroelektronik, Veredelungschemie, Erdöl- und Erdgaschemie) konzentriert. Das ging zu Lasten vor allem der verarbeitenden Industrie. Deren Kapitalstock alterte, in Infrastruktur und Umweltschutz stauten sich die Rückstände. Die Versorgung der Bevölkerung mit Waren des gehobenen Bedarfs stockte. Der Kaufkraftüberhang stieg. Die Auslandsverschuldung schwoll an, ein immer größer werdendes Inlandsprodukt musste für die Devisenerwirtschaftung aufgewendet werden, um den Schuldendienst zu leisten. Eine grundlegende Reformierung der Wirtschaft war überfällig.

Aber war die DDR pleite? Nein! Pleite ist ein Staat, wenn er seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen kann und als nicht mehr kreditwürdig gilt. Beides traf Ende 1989 nicht zu. Ob das bei unveränderter Politik in zwei, drei oder vier Jahren eingetreten wäre, ist Spekulation. Woher aber stammt die von Politikern der BRD ab Februar 1990 verbreitete Alarmmeldung, die DDR sei bankrott?

Welche Ironie! Als »Kronzeugen« gelten bis heute der Vorsitzende der Staatlichen Plankommission, Gerhard Schürer, und der Chef des Außenhandelsbereiches Kommerzielle Koordinierung, Alexander Schalck-Golodkowski, sowie drei weitere Autoren einer von Egon Krenz am 24. Oktober 1989 in Auftrag gegebenen Geheimen Verschlusssache zur »Analyse der ökonomischen Lage der DDR mit Schlussfolgerungen«. Darin gehen sie von einer unmittelbar bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit aus. Für Ende 1989 erwarteten sie Bruttoschulden in konvertierbarer Währung in Höhe von 49 Milliarden Valutamark bzw. D-Mark.

Daran hätte die Volkswirtschaft tatsächlich ersticken können, weniger wegen der nominalen Höhe der Verbindlichkeiten, sondern weil die Mittel für den Schuldendienst mit immer höherem Inlandsaufwand erwirtschaftet werden mussten. In den 1980er Jahren waren 4,40 Mark der DDR für eine Valuta-/D-Mark aufzubringen. Das hatte die inländische Verwendung immer empfindlicher geschmälert, worunter die Bevölkerungsversorgung litt. Es zeigte sich jedoch bald, dass die Westverschuldung überhöht angegeben war. Doch die Panikziffer wurde von der BRD sofort aufgegriffen und als Hebel für die Durchsetzung eigener Interessen genutzt.

Bis heute werden genüsslich Verschuldungszahlen aus dem sogenannten Schürer-Papier kolportiert, obwohl diese mehrmals öffentlich korrigiert wurden. Schürer hatte bereits Ende November 1989 die Volkskammer der DDR darüber informiert, dass die Westverschuldung der DDR nicht 49 Milliarden D-Mark beträgt, wie im Geheimpapier genannt, sondern 38 Milliarden D-Mark. Unter dem Druck der Ereignisse hatte der Bereich Kommerzielle Koordinierung zu einem Teil seine bis dahin streng geheim gehaltenen, außerhalb der offiziellen Zahlungsbilanz geführten Devisenreserven offengelegt. Voll aufgedeckt waren sie zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht. Am 11. Mai 1990 gab der Finanzminister der de-Maizière-Regierung, Walter Romberg, vor dem Parlament bekannt, dass die Auslandsverschuldung gegenüber westlichen Ländern per 31. März 1990 in D-Mark umgerechnet 27,2 Milliarden betrug. Im Monatsbericht der Bundesbank vom Juli 1990 wurden die zu diesem Zeitpunkt erfassten Verpflichtungen in konvertierbaren Devisen mit 24,7 Milliarden D-Mark angegeben. Die Lage hatte sich also entdramatisiert.

Schließlich wies die Deutsche Bundesbank in einem Bericht vom August 1999 als Netto-Schuldenstand der DDR in konvertierbaren Devisen am 30. Juni 1990, also einen Tag vor Beginn der Währungsunion, 19,8 Milliarden D-Mark aus. Zum Vergleich: Berlin allein steckt heute mit über 60 Milliarden Euro in den roten Zahlen.

Was um die Jahreswende 1989/90 anstand, war: Modernisierungs- und Wachstumsblockaden lösen und zukunftsfähige Strukturen ausbauen. Auf bundesdeutscher Seite fehlte aber die Bereitschaft, der ostdeutschen Wirtschaft Zeit und Mittel dafür zu gewähren. Mitglieder der ost-west-gemischten Kommission zur Vorbereitung der Währungsunion berichteten, die Ost-Vertreter hätten immer am kürzeren Hebel gesessen, weil über allen Verhandlungen erschreckende Zahlen aus dem »Schürer-Papier« schwebten. Die Annäherung an die historische Wahrheit ist langwierig.

Prof. Christa Luft war in der DDR Rektorin der Hochschule für Ökonomie »Bruno Leuschner« in Berlin. In der Regierung unter Hans Modrow nahm sie das Amt des Wirtschaftsministers wahr.

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